In diesem Monat bestaunen wir die Stadtbilder von Edward Hopper in New York, spüren den Rhythmus der Natur im Franz Marc Museum und entdecken die Filme von Fiona Tan in Amsterdam
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01.12.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 207
Hamburger Kunsthalle, bis 15. Januar 2023
Luft hat keine Gestalt und doch ist sie in der Kunst zum beliebten Motiv geworden, wie diese Ausstellung demonstriert: Auf barocke Gemälde mit aus atmenden Protagonisten wie Hendrick ter Brugghens „Querpfeife spielender Knabe“ (1621) oder den „Raucher“, den Hendrik van Somerens um 1615–1625 malte, bezieht sich der Österreicher Markus Schinwald mit seinem Bild „Phoebe“ (2017). Die Seifenblase, klar, steht für die Luft und symbolisch für das fragile Leben, das in einem Augenblick zerplatzen kann.
Eye Filmmuseum, Amsterdam, bis 8. Januar 2023
Spiegel waren im 18. Jahrhundert ein äußerst wertvolles Gut. Die reflektierenden Glasflächen, die damals auf der venezianischen Insel Murano gefertigt wurden, mussten deswegen zu Fuß von speziellen Trägern über die Alpen transportiert werden. Fiona Tans Film „Gray Glass“ (2020) begleitet einen solchen Wanderer auf seiner Reise. Im Spiegel reflektiert sich die Berglandschaft. In ihrer neuesten Arbeit „Footsteps“ (2022) begibt sich die indonesische Filmemacherin auf eine Reise in ihre Vergangenheit. In einer faszinierenden Gegenüberstellung kombiniert sie altes Filmmaterial aus den Niederlanden mit Auszügen aus Briefen, die sie von ihrem Vater aus Australien erhielt, während sie in Amsterdam studierte. Die Retrospektive mit dem poetischen Titel „Mountains and Molehills“ wirft einen umfassenden Blick auf Tans Œuvre und die Darstellbarkeit von Zeit und Raum.
Franz Marc Museum, Kochel am See, bis 12. März 2023
Die Landlust ist keine Erfindung unserer hochtechnisierten Gegenwart. Schon vor einem Jahrhundert flohen die Künstler des Blauen Reiter aus dem Moloch München. Die freie Natur lockte mit ihren Lebensentwürfen und fand sich in Meisterwerken wie Franz Marcs „Rote Rehe II“ (1912) festgehalten. Adolf Erbslöh malte kantige Alpengipfel und Wassily Kandisky idyllische Ruderbooteskapaden an der ligurischen Küste. Die Schau zeigt auch Werke gegenwärtiger Künstler wie Anselm Kiefers monumentales Bild „Under der Linden an der Heiden“ oder Ingrid Amslingers Dokumentation des Projekts „Boot aus Stein“ von Hannsjörg Voth – eine Pyramide, die 1981 als bewohnbares Refugium im Ijsselmeer taugte.
Whitney Museum of American Art, New York, bis 5. März 2023
Über den Ehrentitel der weltbesten Stadt lässt sich streiten. Der weltbeste Stadtmaler hingegen steht schon lange fest: Es ist Edward Hopper, der 1908 vom Örtchen Nyack am Hudson River nach Manhattan zog. Die weltbeste Hopper Ausstellung kann also nur in New York stattfinden, und zwar im Whitney – das mit über 200 Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen des Malers einen grandiosen Überblick bietet. Hoppers Darstellungen vereinsamter Innenstädter wie „Office in a Small City“ (1953) berühren noch heute. Ebenso faszinieren fünf erstmals gemeinsam gezeigte, architektonisch exakte Stadtpanoramen, darunter „Manhattan Bridge Loop“ und „Blackwell’s Island“ (beide 1928). Danach läuft man durch die Straßen der Metropole. Und fühlt sich wie in einem Hopper Gemälde.
Kunst Museum Winterthur, bis 12. Februar 2023
Dass 1500 Kilometer weiter im Osten gerade die Waffen sprechen, daran muss uns niemand erinnern. Man sollte die aktuelle Ausstellung in Winterthur deshalb nicht als Mahnung begreifen und schon gar nicht als Trost. Sondern als theoretischer Befund, dass Bilder der Zerstörung (leider) immer auch eine Faszination auf uns distanziert Betrachtende ausüben. Die Eindrücke, die Félix Vallotton aus den Schützengräben Nordfrankreichs mitbrachte wie „Paysage de ruines et d’incen dies“ (1915) oder Goyas Radierungszyklus „Die Schrecken des Krieges“ sind als Anblick kaum zu verarbeiten. Aber genau aus diesem Grund eben auch großartige Kunst.
Wallraf-Richartz-Museum, Köln, bis 26. Februar 2023
„Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ – der Untertitel zeigt den Geisteswandel: Die biblische Geschichte von Susanna im Bade, die von zwei lüsternen Richtern bedrängt wird, wurde lange von Malern als erotische Anekdote verbrämt und von Sammlern gerne gekauft. Heute erkennen wir diese Gemälde klar als Verbildlichungen von sexueller Gewalt. Die Ausstellung zeigt, wie lohnend es ist, das Susanna Thema einmal gründlich zu hinterfragen. Wenn man etwa weiß, dass die Malerin Artemisia Gentileschi als junges Mädchen vergewaltigt und im Prozess gegen den Täter vor Gericht gefoltert wurde, sieht man das persönliche Leid hinter ihrem Bild „Susanna und die Alten“ (1622).