Cindy Sherman

Rollenbilder

Für die Künstlerin Cindy Sherman ist die Modewelt seit vielen Jahrzehnten eine Quelle der Inspiration und der Subversion. Sie spielt humorvoll mit den Klischees und stellt zugleich kritische Fragen nach Identität, Alter und Gender

Von Gesine Borcherdt
10.01.2023

Wie ein Geist sitzt sie da und schaut ins Leere. Die blonden kurzen Haare zerzaust, der Wollgürtel des grauen Strickkleides wie ein Strang um den Hals gelegt. Auf einer Gesichtshälfte erheben sich wulstige Narben, die auch das Make-up nicht wegbekommt. Alles hier ist düster, krank, kaputt. Der schöne Schein der Modewelt, radikal ins Gegenteil verkehrt. Statt auf ein makelloses Model blicken wir auf eine Frau, die weder süß noch sexy ist, sondern wie ein Zombie wirkt, mit einer suizidalen Aura, die von Gewalt und Grausamkeit erzählt.

Ein dunkler Touch

Es ist das Jahr 1984, als die französische Vogue die Künstlerin Cindy Sherman um eine Art Anti-Modefotostrecke bittet, und zwar auf die irritierende Weise, mit der Sherman ein paar Jahre zuvor berühmt geworden ist. Ihre merkwürdig überzeichneten Selbstporträts, für die sie sich bis zur Unkenntlichkeit kostümiert und schminkt, zeigen Frauen in typischen Rollen, die ihnen die Gesellschaft zuweist. Was Sherman nun aber der Vogue liefert, ist der Chefredaktion zu viel. Die Bilder von geschlagenen, in sich zusammengesunkenen Frauen mit Narben und Augenringen seien den Lesern nicht zuzumuten. War Cindy Sherman die Richtige für den Job? „Es stößt mich ab, wie Menschen sich zurechtmachen, um hübsch auszusehen“, wird sie später erklären. „Ich wollte mich über Mode lustig machen.“

Die Staatsgalerie Stuttgart widmet diesem Aspekt in Shermans Werk nun mit „Cindy Sherman. Anti-Fashion“ eine ganze Ausstellung. Und tatsächlich wird erst in der Rückschau klar, wie wichtig diese Modestrecken für Shermans Arbeit sind. Die Künstlerin beginnt genau hier, ihre Bilder ins Groteske, Abstoßende und Horrorartige zu wenden und eine morbide Atmosphäre zu verbreiten, die seitdem ihre Kunst prägt. Zwar haben Shermans Bilder von Beginn an einen dunklen Touch. Doch bis dahin inszeniert sie sich vor allem in verführerischen oder verängstigten Posen, die man als Klischees aus Hollywood-Filmen und Magazinen kennt. Fotografie ist ihr Mittel zum Zweck, um eine Gesellschaft des schönen Scheins zu dekonstruieren, in der weibliche Stereotype von den Medien immer weiter fortgeschrieben werden. Doch wie kommt sie überhaupt dazu? Wer ist diese Frau, die bis heute weltweit zu den einflussreichsten Künstlerinnen zählt?

Cindy Sherman Untitled #462
Das lustige Doppel-Selbstporträt „Untitled #462“ entstand in den Jahren 2007/08. Sherman präsentiert sich hier als Fashion Victim in Instagram-tauglicher Pose. © Cindy Sherman

Cindy Sherman wird 1954 in New Jersey geboren und wächst in Long Island auf, unweit von Manhattan. Ihre Generation ist die erste, in der der Fernseher zur Familie zählt. Sherman liebt es, sich als alte Frau oder als Monster zu verkleiden. Das findet sie lustiger als den Barbie-Look. 1972 beginnt sie, in Buffalo, westlich von New York, Malerei zu studieren.

Analyse mit der Kamera

Doch bald greift sie zur Kamera und fängt an zu experimentieren. Es ist die Zeit, in der Amerika eine regelrechte Flut innovativer Künstlerinnen hervorbringt. Pop Art, Minimal Art, Konzeptkunst und Land Art erweitern den traditionellen Kunstbegriff. Den eigenen Körper einzusetzen und Performances zu machen, für deren Dokumentation und Inszenierung Film und Fotografie eine zentrale Rolle spielen, wird wichtig, um Geschlecht und Gesellschaft zu analysieren.

Als Erstes entsteht 1975 eine 23-teilige Porträtserie, in der sie sich, damals noch Studentin, vom bebrillten Mädchen in einen Vamp verwandelt. Sie führt die Idee fort, in fünf Aufnahmen ihres zur Karikatur verzogenen Gesichts. Diese wirken wie Casting-Fotos, auf denen Schauspieler ihr Können zeigen. Die Bildserien werden zum Grundstein dessen, was Shermans Arbeit bis heute auszeichnet: Die bis ins Extrem getriebene Selbstinszenierung. Dass das durchaus Unterhaltungswert hat, gehört zu Shermans Strategie. „In der Kunsthochschule stieß es mich zunehmend ab, dass Kunst etwas Religiöses oder Heiliges war“, sagt sie später, „Ich wollte etwas machen, das die Leute begreifen können, ohne vorher ein Buch darüber zu lesen.“

Cindy Sherman Untitled #602
„Untitled #602“ aus dem Jahr 2019. © Cindy Sherman

Die Untitled Film Stills

Im Jahr 1977, mit 23, zieht sie nach New York und schreibt mit ihren Untitled Film Stills Kunstgeschichte. Die Stills sind kleinformatige Schwarzweiß-Fotos, die wirken, als seien sie am Filmset entstanden. Sie zeigen Frauen in klassisch weiblichen Rollen (Sexbombe, Hausfrau, Vamp) und sind inspiriert von Filmen der 1950er- und 60er-Jahre. Auf jedem Bild setzt sich Sherman akribisch in Szene und blickt, wie es sich beim Film gehört, niemals direkt in die Kamera. Allein diese Nähe zur Performance macht klar, dass sie nicht nur Fotografin ist.

Die Stills zählen zu den wichtigsten Werken der Kunst des 20. Jahrhunderts. Sie legen den Grundstein für eine Karriere, in der Sherman ihr Publikum auf nonchalante Weise immer wieder aufs Neue überrumpelt. Wenn man bedenkt, wie sehr Kameras heute unser Leben im Griff haben, wird klar, wie weit sie ihrer Zeit voraus war.

Ihr Starruhm wächst, als sie 1981 in einer sattfarbigen Bildserie im Posterformat junge Frauen in Nahaufnahmen zeigt, wie immer von ihr selbst dargestellt. Meist liegen sie auf dem Rücken, so angeschnitten, dass sie regelrecht in den Bildrand gepresst werden. Sie wirken angsterfüllt, unterwürfig, melancholisch oder sehnsüchtig – was eine heftige Debatte lostritt über die passive Opferrolle von Frauen und den dominanten männlichen Blick. „Ich wollte, dass sich männliche Betrachter angesichts der Verletzlichkeit unwohl fühlen“, sagt Sherman, „so wie wenn man seine Tochter in einem verletzlichen Zustand sieht.“

Cindy Sherman Untitled #133
In „Untitled #133“ inszeniert sich Cindy Sherman 1984 als verstört wirkendes Model. © Cindy Sherman

Später fängt Sherman an, aus ihren Bildern herauszutreten und mit Prothesen und Puppen Szenen zu bauen, die sich aus zerstückelten, nackten und monströsen Wesen, Fleischbrocken und Erbrochenem zusammensetzen. Wer würde das schon kaufen, fragt sie und wird – längst ein Darling des Kunstmarkts – auch hier eines Besseren belehrt. Dann persifliert sie die Versuche alter reicher Damen (die dem Typus ihrer Sammlerinnen entsprechen, aber natürlich wird Sherman auch nicht jünger), gegen die Zeit anzuarbeiten. Und in jüngster Zeit sind es die Posen der Influencerinnen, für die sie sich auf das Feld der Schönheits-OPs und digitalen Manipulation begibt. Doch wen auch immer sie aufs Korn nimmt: Am Ende sind es ihre Horrorbilder, die den Unterton für eine Kunst bilden, die die Lügen, Maskeraden und Verführungen der medialen Bildwelt thematisiert und symbolisch auf den Menschen überträgt.

Dass Sherman weiterhin Modestrecken inszeniert – mit Dior, Galliano, Vivienne Westwood oder Stella McCartney – dass sie dabei die Atmosphäre der Modewelt durch den Kakao zieht, nur um dann wieder Mode als Befreiungsschlag zu zelebrieren, ist nur konsequent. Cindy Shermans Maskenball ist immer auch ein Totentanz. Sie lockt uns auf die dunkle Seite und hält uns den Spiegel vor: Alter und Verfall, denen wir bei allen Rollenspielen nicht entkommen können. Genauso wenig wie unserem wahren Ich – ihr eigenes hat Sherman bisher selbst erfolgreich verborgen.

Service

AUSSTELLUNG

„Cindy Sherman. Anti-Fashion“,

Deichtorhallen/Sammlung Falckenberg, Hamburg,

bis 3. März

deichtorhallen.de

Ausstellung

„Cindy Sherman. Anti-Fashion“,

21. April bis 10. September,

Staatsgalerie Stuttgart

staatsgalerie.de

Zur Startseite