Eine Ausstellung in der Münchner Glyptothek zeigt beeindruckend, mit welch künstlerischem Aufwand in der römischen Antike künstliches Licht erzeugt wurde
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13.01.2023
Sie rufen allgemeine Bewunderung hervor, die zeitlos-schönen nackten Jünglinge der Antike. Locker auf Stand- und Spielbein scheinen sie uns mit vorgestreckten Armen und lebhaftem Blick gleichsam wie zur Begrüßung entgegenzutreten. Nun lernen wir mit Erstaunen, dass die großartigen Bronzestatuetten mit eingesetzten Glas- oder Elfenbeinaugen eine praktische Funktion hatten und einst als Lampenträger dienten! Die aktuelle Ausstellung „Neues Licht aus Pompeji“ in den Staatlichen Antikensammlungen in München führt anhand von rund 180 Bronzeexponaten aus den untergegangenen Vesuvstädten vor Augen, wie die Menschen vor dem Vulkanausbruch 79 nach Christus der Dunkelheit mit unterschiedlichsten Lichtgeräten entgegenwirkten. Begraben unter einer dicken Ascheschicht, kamen diese erst mit den Ausgrabungen ab Mitte des 18. Jahrhunderts wieder zum Vorschein. Die Ausstellung beruht auf dem gleichnamigen Forschungsprojekt des Instituts für Klassische Archäologie der Ludwig-Maximilian-Universität in München in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Nationalmuseum in Neapel, dem Archäologischen Park von Pompeji und den Antikensammlungen, wo sie nun stattfindet.
Spätestens nach Einbruch der Dunkelheit sorgten unterschiedlichste Lampen, Kandelaber und Fackelträger nicht nur für Helligkeit, sondern auch für Atmosphäre und Ästhetik. So kam dem Kunstlicht eine Schlüsselfunktion im antiken Alltag zu. Was im Licht steht, wird unmittelbar erfahrbar. Das künstliche Licht bot dank seiner Helligkeit die Kontrolle über die Welt und vermittelte gleichzeitig seine geheimnisvolle Wirkung etwa im Schattenspiel beim Bankett mit Gästen. Kein Wunder, dass Kunstlicht als immaterielles Kulturerbe verstanden wird. Nun erweckt das römische Kunstlicht in der Schau die Antike zum Leben.
Bronze war das Material der Wahl für all die verschiedenen Lichtgerätschaften, die nun hier vereint sind. Für ihre Wartung waren Sklaven zuständig. Da sind wir wieder bei den eingangs erwähnten schönen Bronze-Epheben. Denn die Arme leicht angewinkelt, trugen sie einst auf den geöffneten Händen rankenverzierte Tabletts für die Lampen, wie sich aus den Funden solcher Einzelteile rekonstruieren lässt. Südlich der Alpen dienten Pflanzenöle, vor allem Olivenöl, als Brennstoff. Die Strahlkraft wurde gelegentlich durch Salz verstärkt. Als Dochte verwendete man seinerzeit meist Fasern aus Flachs-, Hanf- oder auch Papyrus. Lampen waren allgegenwärtig. Sie spenden Licht und kreieren angezündet bewegte Licht-und-Schatten-Bilder. Ihrer Gestaltung scheinen kaum Grenzen gesetzt worden zu sein, wenn man allein die Objekte der Schau betrachtet: Die unterschiedlichsten Facetten von Mensch, Tier und Natur wurden weit über nützliche Anforderungen hinaus verbildlicht.
Die herrlichen Kouros-Statuetten, die einst mit rankengeschmückten Tabletts als Lampenträger dienten, wurden eingangs schon erwähnt. Eher pummelige nackte Knaben in lebhafter Bewegung des Heraneilens waren einst Fackelträger. Hohe Kandelaber mit schlanken Schäften oft über einem dreibeinigen Raubtierfuß und bekrönendem Lotosblütenkelch leuchteten dagegen die Räume aus. Bei den höhenverstellbaren Kandelabern zierten und kaschierten oft plastische Doppelhermen – etwa Amor und Psyche, Bachus und Satyr, Merkur und Perseus oder Afrika und Asia – attraktiv den Ausziehmechanismus. Tischlampenständer wurden über dem Sockel vielfach als Baum mit verzweigten Ästen gestaltet, die wiederum Lampenteller tragen. Andere erheben sich wiederum oft über drei ornamental verzierten Beinen mit Tierklauenfüßen oder Tatzen. Zwei- und dreiflammige Lampen, die sogenannten Bilychnis und Trilychnis, sind aufwendig mit Tänzerstatuetten oder einem bärtigen Silen auf dem Deckel und floralen, palmettenartigen Reflektoren dekoriert. Auch als Fledermäuse mit weit ausgebreiteten Flügeln gestaltete Reflektoren waren beliebt.
Bei formal eher schlichten einflammigen Öllampen beschränkt sich das Figürliche auf die Griffe, die etwa als Panther-, Gänse- oder Schwanenkopfes gestaltet sind. Häufig kommen auch Lampen in Gestalt menschlicher Köpfe mit ausgeprägten, teils negroiden Gesichtszügen vor. Auch sogenannte Fußlampen waren beliebt. Naturalistisch sind dabei die Zehen ausgeformt, und der Fuß steckt in zeittypischen Riemensandalen. Sie setzen uns ebenso in Erstaunen wie als Schnecken geformte Hängelampen. Viele plastisch-figürlichen Objekte würde man ohne Vorkenntnis gar nicht für Lampen oder Lichtgeräte halten. So etwa die Tintinnabulum genannten Lampenensembles, mit zweiflammiger Hängelampe und Glöckchen, die auch an einem großen Phallus hängen können. Denn auch die Erotik nimmt breiten Raum ein. Bei den „ithyphallischen Figurenlampen“ mit einem Docht an der Spitze leuchtete ihr riesiger Phallus selbst. Dagegen wirken die Laternen zweckgebunden-nüchtern. Auch Speisenwärmer. Kohlebecken und Räucheraltäre sind ausgestellt. Zuletzt sei aus der Fülle der Exponate mit der Statuette der Fortuna auf Bronzethron aus der Casa della Fortuna noch ein Highlight erwähnt. Alten Fotografien zu Folge, scheint sie eine leider verlorene Spenderschale aus Silber im Arm gehalten zu haben. Uns steht sie nur mehr als voll ausgeführte vielteilige bronzene Kleinplastik allererster Güte gegenüber.
Welch künstlerischer Aufwand zur Erzeugung des Kunstlichts in der römischen Antike betrieben wurde, ist überwältigend. Wie man sich die Behausungen vorstellen muss, in denen sich das Leben der Elite am Fuße des Vesuvs mit den vielgestaltigen Lichtträgern zugetragen hat, veranschaulicht das Modell der Casa del Poeta Tragico im Nord-Süd-Schnitt. Im Maßstab 1:20 erahnen wir das Leben umgeben von prächtigen Wandmalereien im Vierten pompejanischen Stil und den kunstvoll bearbeiteten Fußböden aus dem Antikenmuseum der Universität in Leipzig. Der Nachbau des Wintertrikliniums im Pompejanum in Aschaffenburg, das sich König Ludwig I. nach seiner Reise an die Originalschauplätze hat erbauen lassen, verkörpert nicht zuletzt die Faszination, die das verschüttete Pompeji nach seiner Wiederentdeckung bei Reisenden wie Goethe oder Mozart hervorgerufen hat.
Die mehrere kiloschwere, über 500 Seiten starke Begleitpublikation mit einer Anzahl wissenschaftlicher Beiträge ist sehr viel mehr als ein Katalog. Innerhalb der Vielzahl von Einzelbeiträgen ausgewiesener Fachleute nimmt die Metallurgie breiten Raum ein. Viele Objekte wurden erst jüngst restauriert. Der Ausstellungsbesucher sieht den Gerätschaften und wunderbaren Bronzestatuen nicht an, aus wie vielen Einzelgüssen sie zusammengesetzt sind und dank Silbertauschierungen, Knochen- oder Elfenbein-Augen und Kupferwimpern sie ihr lebendiges Aussehen erhalten haben. Herausgegeben von Ruth Bielfeldt u.a. ist der Band im Nünnerich-Asmus-Verlag erschienen (ISBN 978-3-96176-207-1) und kostet 30 Euro.
„Neues Licht aus Pompeji“
Staatliche Antikensammlungen, München
bis 2. April 2023