Ruth Baumgarte in Wien

Bunt, aber nicht naiv

Die Albertina in Wien blickt ohne postkoloniales Auge auf die Afrikabilder von Ruth Baumgarte – und entdeckt dennoch eine komplexe Malerin aufs Neue

Von Gabriela Walde
23.01.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 209

Afrika ist Farbe. Der Himmel kippt auf die Wüstenlandschaft und verschlingt sich in einem Farbwirbel: rotorange, grün, gelb, blau. Wer an diesem klirrend kalten Dezembernachmittag die Albertina in Wien betritt, fühlt sich inmitten des Afrika-Zyklus von Ruth Baumgarte wie von der Sonne geküsst, so leuchtend sind die Ölbilder der Künstlerin. Erstaunliche Wirkung der Schau „Africa: Visions of Light und Color“: Uns zieht es ganz nah an die einzelnen Werke heran. Was sie malte? Frauen und Kinder in Alltagsszenen, beim Ausruhen, bei der Rast, Männer bei der Ernte, tanzende Paare. Die Gemälde ergänzte Angela Stief, Direktorin der Albertina Modern, mit Aquarellen und Grafiken der Künstlerin. 

Nicht lange ist es her, 2017, da entdeckten deutsche Museen die 1923 in Coburg geborene Ruth Baumgarte, stellten sie aus, mal retrospektiv, mal auf Afrika konzentriert. Glücklicherweise gibt es die Kunststiftung Ruth Baumgarte, die seit dem Tod der Künstlerin im Jahr 2013 den Nachlass vertritt und für Forschung und Museumsbetrieb öffnet. Nun liegt zudem ein Werkverzeichnis vor.

Ruth Baumgartes Stream of Time
Ruth Baumgartes „Stream of Time“ entstand zwischen 1995 und 1997. © Kunststiftung Ruth Baumgarte

An die 40 Reisen auf dem afrikanischen Kontinent unternahm Baumgarte. In den Fünfzigerjahren begann sie, in den frühen Achtzigerjahren reiste sie intensiver. Da war sie immerhin schon in ihren Sechzigern. Es gibt keine Notizen, die genauere Auskunft geben könnten über ihre Beweggründe. Vermutlich war es eine Mischung aus Abenteuerlust und der Idee, ihrem Werk und ihrem Leben frische Impulse zu geben. Als Ehefrau eines Großindustriellen hatte sie in Zeiten der jungen Bundesrepublik wohl einige gesellschaftliche Normen zu erfüllen, ihre Freiräume als Künstlerin waren vermutlich hart erkämpft. Geld alleine schafft keine Kunst.

Zuerst also Ägypten, später Südafrika, Namibia, Botswana, Simbabwe, Mosambik, Kenia, Uganda, Tansania und Äthiopien. Oft blieb sie Wochen, manchmal bis zu drei Monaten. Entweder war sie mit dem Jeep unterwegs oder dem Zug, mal allein, mal in Begleitung eines ortskundigen Journalisten. Mitunter geriet die blonde Frau in heikle Situationen, Hotelpersonal musste ihren Eifer bremsen: „Um Gottes Willen, Sie dürfen hier nicht alleine rumlaufen, sonst verschwinden Sie!“ Für die Familie war das nicht leicht, wenn es wochenlang keinen Kontakt gab nach Bielefeld, wo Baumgarte, aufgewachsen in Berlin, mit ihren Lieben lebte. Wo auch immer sich die Künstlerin in Afrika aufhielt, ihre Landschaftsimpressionen bleiben seltsam ortlos. Geografische Profile der einzelnen Länder sind nicht auszumachen.

Ruth Baumgarte Misunderstanding
„Misunderstanding“ von 1993 zeigt die Dynamik zwischen Frau und Mann. © Kunststiftung Ruth Baumgarte

Eine weiße Frau aus Europa malt schwarze Menschen im Licht der Sonne: Kann man solche Afrikabilder vor dem Hintergrund der aktuellen, zum Teil hysterisch geführten Debatten um künstlerische Aneignung, Rassismus und Kolonialismus heute ohne Kontextualisierung zeigen? Antwort der Albertina: Ja. Es gebe „keine Rhetorik der Überlegenheit“, argumentiert Angela Stief. Baumgarte habe ihre afrikanischen Szenerien zu einem Zeitpunkt entworfen, als „kulturelle Enteignung“ noch nicht diskutiert wurde. Tatsächlich gibt es bei ihr keine exotischen Paradiese, die das Ursprüngliche beschwören. Die Welt, die Baumgarte malte, mag aus heutiger Sicht an einigen Stellen naiv wirken, heil ist sie dennoch nicht: Brände, gnadenlose Sonne und Stürme bringen Gefahr. Im Zentrum sind die Landschaft und ihre Menschen, ihre Gesichter. Und Baumgarte war eine geniale Porträtistin. Die Künstlerin übrigens entzog sich von Anfang an der gesellschaftskritischen Einordnung: „Ich bin kein Käthe-Kollwitz-Typ.“ Kollwitz arbeitete sich in ihrem Œuvre direkt an Themen wie Krieg, Gewalt und Tod ab.

Natürlich wusste die Künstlerin um die politischen Spannungen in den Ländern. Wenn Baumgarte sie „übersetzte“, dann ausschließlich in ästhetischen Kategorien: mit der Auflösung der Formen, mit der gewaltigen Energie der komplementären Farbigkeit. Koloristische Bezüge – zu den Fauvisten, Expressionisten, Jungen Wilden – sind nicht zu übersehen. Angela Stief will den Bogen gar bis zu Katharina Grosse gespannt sehen, die in der Gegenwart grenzauflösende Installationen schafft, die wie Farbtsunamis wirken: „Beide Künstlerinnen sind Koloristinnen.“

Ruth Baumgarte Shadows Falling Behind Your Back
„Shadows Falling Behind Your Back“ (1995) ist bis zum 5. März in der Wiener Albertina zu sehen. © Kunststiftung Ruth Baumgarte

Wien schaut also weniger mit dem postkolonialen Auge auf Baumgarte. Dass es kritische Stimmen gibt, damit geht man im Museum locker um. Schließlich hat man mit Afrika Diversität ins Haus geholt, afrikanische Kunst erlebt in der Kunstwelt seit einigen Jahren einen enormen Aufschwung. Mit dem 38-jährigen Künstler Athi-Patra Ruga, dem aktuellen Preisträger der Kunststiftung Ruth Baumgarte, wird ein südafrikanischer Zeitgenosse parallel ausgestellt. Er beleuchtet Baumgartes modernen Zugriff. Ruga selbst verarbeitet spielerisch westliche Traditionen und Inhalte. Genderfragen und queere Themen sind sein Ding. Wobei er mit nur zwei Tapisserien und einer Zeichnung untergeht im Farbuniversum der Ruth Baumgarte. Das wirkt dann doch ein wenig unvermittelt und unterrepräsentiert.

Mit Ruth Baumgarte wird eine historische Künstlerinnenposition des 20. Jahrhunderts aufgearbeitet. Wie sehr Kunst von Frauen in letzter Zeit im Fokus liegt, war bei der Biennale in Venedig im vergangenen Jahr nicht zu übersehen: 90 Prozent der Gezeigten waren weiblich. Auf dem Kunstmarkt reißen sich die großen Galerien um die wichtigsten Nachlässe. Bemerkenswert sei, so Stief, dass immer noch herausragende Nachlässe auftauchen, die Experten nicht kennen. Es gehe um Anerkennung, Neuverständnis, ja, Neuvermessung der Kunstgeschichte, weil der Kanon erweitert werde. Schade also, dass Baumgartes Biografie mit all den Brüchen des 20. Jahrhunderts, ihre nicht leichte Zeit in Berlin, nicht mehr Raum bekommt. 

Ruth Baumgarte African Vision Ausstellung
Im Rausch der Farben: Gruppenbild „African Vision“ von 1998. © Kunststiftung Ruth Baumgarte

Baumgarte war keine Malerin, die schnell zum Pinsel griff, um Erlebtes sofort zu verarbeiten. Sie tat das, was sie als studierte Grafikerin und Illustratorin am besten konnte: vor Ort skizzieren. Erst Wochen oder Monate später, aus Afrika zurück in Bielefeld, stellte sie sich vor die Leinwand. In ihren Zeichnungen und Aquarellen sieht man, wie leichthändig und dynamisch sie in der Strichführung ist. Anfang der Vierzigerjahre arbeitete sie in den Berliner Zeichentrickstudios von Wolfgang Kaskeline. Da musste jedes Detail sitzen. Mit ihren Motiven bedeckte sie Zettelchen, Servietten oder Zeitungen.

Es lag eine Zeitschiene zwischen dem, was sie erlebt hatte und dem, was sie am Ende in Öl übertrug. Imagination und Realität verschmelzen in emotionaler, mal auch psychedelischer Übersteigerung. Das geht bis ins Fantastische und Apokalyptische, wie das Triptychon „Sogar der Elefant stirbt innerhalb eines Tages“ (1995–1997) zeigt. Die Geier stürzen aus dem gelben Nichts wie gefledderte Engel in Peter Paul Rubens’ „Höllensturz“. In „Stream of Time“ (1995–1997) hocken Adler auf dekonstruierten Gesteinsschichten in schwindelerregender Höhe. In beiden Gemälden löst sich die Landschaft auf in Farbe. Der Mensch wird im Strudel der Pinselstriche („Alles was kräht war am Anfang ein Ei“, 1995) sogar zur Staffage. Und so führt uns die Ausstellung vor, wie Ruth Baumgarte mit ihrem Afrika-Spätwerk zu ihrer Malerei fand: zur Farbe selbst.

Service

Ausstellung

„Ruth Baumgarte – Africa: Visions of Light and Color“,

bis 5. März,

Albertina, Wien

albertina.at

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