Museum Rietberg

Last der Dinge

Mit der Ausstellung „Wege der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen“ erforscht das Museum Rietberg in Zürich Provenienzen und das Erbe des Kolonialismus

Von Christiane Meixner
02.03.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 210

Ohne Kunst könne sie nicht leben, notierte Nell Walden 1954. Eine Fotografie ihrer Berliner Wohnung, die sie drei Jahrzehnte zuvor inmitten ihrer Sammlung zeigt, lässt keinen Zweifel an der Passion der Journalistin und Künstlerin, die mit ihrem Mann, dem Galeristen Herwarth Walden, bis weit in die 1920er-Jahre zur Avantgarde der Stadt gehörte. Nell sammelte sowohl moderne als auch außereuropäische Kunst. Dass Letztere heute im Zürcher Museum Rietberg zu sehen ist, hat mit der deutschen Vergangenheit zu tun: Die Nationalsozialisten machten aus ihrer Verachtung der Artefakte keinen Hehl. Deshalb brachte Nell Walden, ebenso wie der Wuppertaler Großsammler Eduard von der Heydt, zahllose Exponate aus Sorge um deren Zukunft in die Schweiz.

Beider Sammlungen sowie Waldens Verkäufe an das Museum, dessen Kollektion außereuropäischer Kunst auf von der Heydts rund 1600 Objekten gründet, sind entsprechend gut dokumentiert. Wie aber verhält es sich mit den Artefakten selbst: Wie kamen sie nach Europa? Verbergen sich in ihnen Geschichten brutaler Beutezüge und Kolonisation, wurden sie gehandelt oder aus Gründen der Diplomatie verschenkt? Immerhin besitzt das Haus inzwischen an die 25 000 Objekte und kauft weiterhin: Holzschnitzereien, Steinskulpturen, Keramikgefäße, Bronzen, Textilien und Fotografie, deren Kontextualisierung zur Pflicht geworden ist. Die erste kuratorische Intervention, Ergebnis einer zehnjährigen Provenienzforschung, fand 2018 statt und sollte innerhalb der Dauerpräsentation für das Thema sensibilisieren. „Wege der Kunst“, die aktuelle Ausstellung darüber, wie die Objekte ins Museum gelangen, nimmt nun erneut zwischen den angestammten Vitrinen Platz.

Gut zwanzig optisch herausstechende Stationen greifen Aspekte der Zürcher Sammlungsgeschichte auf. Darunter die Kulturpolitik der Nazis und die daraus resultierenden Übereignungen etwa von der Heydts, mit denen auch vier der berüchtigten Objekte aus dem Königspalast Benin ins Haus gelangten. Es geht aber auch um unbekanntere Sammler wie den Schweizer Ingenieur Sidney W. Brown, dessen Sohn dem Museum mehr als zwei Jahrzehnte nach Browns Tod 1941 diverse Speere und Dolche von den Admiralitätsinseln, einen Gürtel aus Neuguinea sowie einen Armreif vom Bismarckarchipel übergab. Damals sprach er von „interessanten Trophäen“ seines Vaters, die dieser angeblich gekauft hatte. Inzwischen ist klar, dass Sidney W. Brown um 1888 im Auftrag seines Arbeitgebers Ozeanien bereiste, um Goldminen ausfindig zu machen. Über Umwege gelangte er in den Besitz der ozeanischen Artefakte, mit denen damals gewinnbringend gehandelt wurde. Doch statt die Objekte wie vereinbart nach der Reise an das Australian Museum abzugeben, behielt Brown sie für sich und behauptete, die Waffen seien „theilweise durch die lange Seereise gründlich defekt angelangt“. Was nicht stimmte. Klar ist nach den Recherchen, dass er sich die Dinge unrechtmäßig aneignete. Und natürlich werfen solche Erkenntnisse auch Fragen nach der Legitimität der Schenkung auf.

Konsequenzen resultieren daraus erst einmal keine. Die Ausstellung mit ihren multiperspektivischen Ansätzen versucht stattdessen, die unterschiedlichen Interessen transparent zu machen: Echte Begeisterung, Gier, aber auch die Ignoranz den Kulturen gegenüber, in deren Besitz sich die oft rituellen Exponate ursprünglich befanden, leuchten nahezu an jeder Station auf. So verschiebt sich der Fokus von einer rein ästhetischen Betrachtung zugunsten der Objektbiografie mit begleitenden Fotos, Urkunden und Dokumenten aus den Archiven. Dem Haus gelingt dennoch eine wunderbare Balance zwischen der Faszination an der Kunst und ihrer wechselhaften Geschichte. Erstere wird gerade nicht zum reinen Anschauungsobjekt degradiert, wie es in einigen Ethnologischen Museen vor lauter historischer Einordnung inzwischen der Fall ist. Dass beides hier parallel funktioniert, mag daran liegen, dass sich das Museum Rietberg mit seinem Gründungsdirektor Johannes Itten von Anfang an als ein Kunstmuseum verstanden hat.

Service

Ausstellung

„Wege der Kunst. Wie die Objekte ins Museum kommen“,

bis 24. März 2024,

Museum Rietberg, Zürich

rietberg.ch

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