Mit dem Gestus des Abstrakten Expressionismus erzählt Cecily Brown von weiblichem Begehren. Nun widmet das Metropolitan Museum der britischen Malerin eine große Schau
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09.05.2023
Im Grunde beginnt Cecily Browns Ausstellung, lange bevor man ihren Saal betreten hat. Man muss sich den Gang durchs Museum, vorbei an antiken Vasen, niederländischen Barockstillleben und Farbfeldmalerei, als Ouvertüre vorstellen zu dem, was kommt: Genauso wie man selbst von einem Raum zum anderen geht, bewegt sich Brown seit mittlerweile 30 Jahren durch die Kunstgeschichte. Sie ist tief mit den Epochen vertraut und bedient sich spielerisch an ihren Motiven – angefangen bei Bildern von Pieter Bruegel und Jean-Honoré Fragonard bis hin zu Chaïm Soutine.
Browns eigene Geschichte beginnt 1969 in London. Als Tochter der Schriftstellerin Shena Mackay verkehrt sie früh in Intellektuellenkreisen. In die Welt der Malerei führt sie ein Freund der Familie ein, der berühmte britische Kunsthistoriker David Sylvester, der sich später als ihr Vater zu erkennen gibt. Nach dem Studium an der renommierten Slade School of Art zieht Brown Anfang der Neunzigerjahre nach New York. Hier dauert es nicht lange, bis Larry Gagosian auf ihre energiegeladenen Bilder aufmerksam wird und sie in sein Programm aufnimmt: Browns Karriere nimmt Fahrt auf – und das nicht zuletzt, weil sie den Gestus des Abstrakten Expressionismus, des ultimativen Männerclubs, nutzt, um von weiblichem Begehren zu erzählen. Brown ist jung, ihre Motive sind explizit und angesagt. Als Malerin ist sie in Abstraktion und Figuration, High und Low Culture, zu Hause, sie spricht die Stilsprachen fließend und wechselt ohne Mühe zwischen ihnen. Bei Auktionen erzielen ihre mit schnellen Pinselstrichen hingeworfenen Körperfeste bald Millionen, auf ihren Vernissagen treffen sich Schauspielerinnen und Kunstkritiker. Cecily Brown ist das unbestrittene It-Girl der Kunstszene des Millenniums.
Doch im Metropolitan Museum lernt man die heute 54-Jährige von einer anderen Seite kennen. Kurator Ian Alteveer hat all den Hype ausgeblendet. Was ihn interessiert, sind allein Browns mal mehr, mal weniger offensichtliche kunsthistorische Bezüge. Für die Schau wählte er rund 50 Werke aus, darunter auch Zeichnungen und Skizzenbücher, die sich alle mit Vergänglichkeit sowie den damit verknüpften Motiven von Vanitas und Memento mori auseinandersetzen. Es ist Browns erste Museumsschau in New York.
Wie Brown Befindlichkeiten der Gegenwart mit historischen Zitaten verbindet, führen die Bilder der letzten Jahre, darunter „Selfie“ von 2020, vor. Während der Pandemie beschäftigte sich Brown wie viele Künstler, die isoliert zu Hause arbeiteten, mit Selbstporträts. Das Sich-Selbst-Erkennen steht auch im Mittelpunkt der älteren Vanity-Variationen, für die Brown nicht nur auf Illustrationen des letzten Jahrhunderts zurückgriff, sondern auch immer wieder ihre eigenen Arbeiten als Vorlage nutzte. Den Prozess des Kopierens begriff sie dabei wörtlich und übermalte Digitalprints ihrer Gemälde auf der Leinwand.
In „Untitled (Vanity)“ von 2005 und in „All is Vanity (after Gilbert)“ von 2006 sehen wir sie vor einem Schminkspiegel sitzen. Zunächst fällt bloß ihre eigene Reflexion auf, die verzerrt zurückschaut, dann offenbart sich das Bild als Kippfigur: Der Spiegel mitsamt seinen Make-up-Döschen formt sich zum fratzenhaften Totenkopf. Der Schädel schwebt über der Schönheit, die junge Frau flirtet mit dem Sensenmann. Der Tod als Liebhaber ist eine Figur, die sich in Browns Gemälden häufig findet. „Ich liebe Bilder der Hölle“, hat sie einmal gesagt. „Man sagt ja, der Teufel hat die besten Tunes, er kennt die besten Lieder.“
„Death and the Maid“ haben Brown und Alteveer die Schau daher genannt und auch bei dieser Titelgebung ihr intertextuelles Händchen bewiesen. Angelehnt an Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ (Death and the Maiden) von 1824, zeigt Brown auf sprachlicher Ebene wie ihre Art des Remixes zu verstehen ist: direkt, komprimiert und zeitgemäß. Und am Ende natürlich doch selbstreferentiell: Denn Brown arbeitete als junge Frau ebenfalls als maid – als Haushälterin. Ordnung hielt Brown aber nur in den Häusern anderer, ihre eigenen Wohnungen blieben stets chaotisch. So sind auch ihre Interieurszenen bis heute herrlich unaufgeräumt. Ein Verhau aus Kleidung, Decken und Bettzeug, gestapelt bis zum Bildrand. So beispielsweise in „Hangover Square“ von 2005, ein Wortspiel auf den Londoner Hanover Square südlich der Oxford Street, bei dem die Katerstimmung schon über das Durcheinander im Wohnraum fühlbar wird.
Das Überbordende und Bildsprengende zeichnet auch eines ihrer neuen Stillleben aus, das sich an den reich gedeckten Tischen des Niederländers Frans Snyders anlehnt: „Lobsters, Oysters, Cherries, and Pearls“ von 2020 feiert den Überfluss. Doch nicht der reich gedeckte Tisch, auf dem das Rot der Krustentiere und Kirschen ineinanderfließt, zieht den Betrachter an, sondern das, was unter der Tischdecke liegt: eine schwarze Katze, deren leuchtende Augen herausfordernd blitzen. Ein wenig ist Brown über all die Jahre wie dieses Tier gewesen – eine, die auf leisen Pfoten durch die Kunstgeschichte streift, konzentriert alles aufnimmt und doch stets an dem interessiert bleibt, was unter der Oberfläche brodelt.
„Cecily Brown: Death and the Maid“
The Metropolitan Museum of Art, New York
bis 3. Dezember 2023