Jean-Michel Basquiats kurzes Leben liest sich wie ein Märchen ohne Happy End. Mit nur 21 Jahren malte er in Modena acht monumentale Gemälde. Diese vereinigt die Fondation Beyeler nun in einer Ausstellung – eine kleine Sensation
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15.06.2023
Schon beim ersten Großformat in der Eingangshalle fällt der schwarz gekleidete Wachmann auf. Betritt man den großen Ausstellungssaal, sieht man sich mit weiteren Hütern der millionenschweren Werke konfrontiert. Fotografieren ist gleich bei mehreren der Bilder nicht erlaubt, ihre Besitzer wünschen es so. Basquiat, der nie eine Kunsthochschule besucht hat, schuf rund 1000 Werke in nicht mal zehn Jahren. Mit nur acht von ihnen eine Ausstellung zu bestücken, mutet da etwas unbeholfen an, wäre da nicht ihre furiose Präsenz und die dazugehörige Entstehungsgeschichte.
Der Galerist Emilio Mazzoli lud im Juni 1982 den jungen New Yorker nach Modena ein, eine Stadt, die man vor allem mit ihrem weltberühmten Weinessig verbindet. Er sollte in einer Lagerhalle Bilder für eine Ausstellung herstellen. Die Leinwände von 2,4 Metern Höhe und 4,2 Metern Breite waren eine Herausforderung, denn noch nie arbeitete Basquiat auf so riesigen Flächen. Bereits ein Jahr zuvor richtete Mazzoli die weltweit erste Einzelausstellung des damals noch unter seinem Street-Art-Namen Samo aktiven Nachwuchskünstlers aus. Resonanz? Keine. Beim zweiten Anlauf sollte alles anders werden, dachte vor allem der nach Anerkennung durstende Maler. Mazzoli änderte aber seine Meinung und verkaufte die Bilder. Vier von ihnen erwarb Basquiats Galerist Bruno Bischofberger aus Zürich. Er verkaufte sie weiter an private Sammler. Die Demütigung konnte der überrumpelte Basquiat schnell verwinden. Er kam immerhin zu Geld, konnte in eine eigene Wohnung ziehen und wurde noch im selben Jahr mit erst 21 Jahren zur documenta 7 eingeladen.
41 Jahre später lässt Museumsdirektor Sam Keller in der Fondation Beyeler das einst missglückte Projekt Wirklichkeit werden. Er hat alle acht Bilder aufgespürt – ein Kraftakt, denn die Werke gehören zum Teuersten, was man heute auf dem Kunstmarkt erwerben kann. Allein die Versicherungssumme beträgt 800 Millionen Franken, hundert Millionen pro Bild. Der höchste Preis, den je ein Basquiat-Gemälde aus der Modena-Serie erzielte, beträgt 85 Millionen Dollar. Der japanische Milliardär und Kunstsammler Yusaku Maezawa verkaufte im Jahr 2022 das Gemälde „Untitled (Devil)“ im Auktionshaus Philipps für diese Summe. Der neue Besitzer, der nicht genannt werden möchte, stimmte der Leihgabe zu. Einige der Sammlerinnen und Sammler, die man als Leihgeber gewann, zeigten sich unwissend darüber, dass sie ein Modena-Painting erworben hätten. Denn nur sechs der acht Gemälde tragen auf der Rückseite den Vermerk, dass sie dort gemalt worden seien. Heute befinden sie sich in US-amerikanischen, asiatischen und Schweizer Privatsammlungen und sind gegen eine Milliarde Dollar wert.
Vor dem Auftrag hatte Basquiat nur mit kleinen Formaten experimentiert. Die von Mazzoli zur Verfügung gestellten Leinwände waren eigentlich für den in Rom lebenden Marion Schifano bestimmt, der immer wieder in Modena malte. Auf fünf der Gemälde steht eine männliche Figur im Zentrum, eines zeigt eine Frau mit lockigem Haar und einen weiblichen Torso, auf zwei weiteren sind Kühe platziert. Sieben der acht Bilder bersten vor Energie, wenn nicht sogar vor Aggressivität, mit den aufgerissenen Augen und Mündern von Monstern mit Heiligenscheinen, die die Betrachtenden mit Feindseligkeit begegnen. Nur „The Field Next to the Other Road“ könnte man für eine ländlich friedliche Szenerie halten. Die Kuh an der Leine einer roten, zum Skelett gewordenen männlichen Figur verweist auf die bäuerliche Umgebung der italienischen Stadt. Und auf die Hölle? Basquiat kombinierte jedenfalls die vermeintliche Idylle auf der rechten Seite des Bildes mit einer Figur, die einem Totentanz entnommen sein könnte.
Die nackte schwarze Frau auf „Untitled (Woman with Roman Torso ,Venus’)“ trägt mit ihren gekräuselten Haaren Züge der von Poseidon vergewaltigte Medusa und irritiert zugleich mit einer strahlenden Gloriole. Den Bildhintergrund unterteilte Basquiat in einen schwarzen und einen gelben Kontinent, über dem ein antiker Venus-Torso schwebt. Diese großen Erzählungen kontrastieren mit der archaisch anmutenden Malweise, den rasch mit dem Pinsel skizzierten Körpern, den gesprayten oder mit dem Filzstift gemalten Buchstaben und Zahlen. Das hochbegabte Energiebündel nahm alles in sich auf und reagierte auf jeden Impuls. Auf „Untitled (Devil)“ etwa bewegt sich der Teufel auf einer Fläche aus Farbschlieren à la Pollock, ein Zwischenwesen aus afrikanischer Maske und modernistischem Porträt im Stil von Picasso. Ob Comic-Elemente, heidnische Urmythen oder Zitate großer Meister der Renaissance, die Stilelemente verwebt Basquiat zum wilden Schauspiel aus jüngstem Gericht und Voodoo-Zauber. Die Engel sind genauso furchteinflößend wie die Teufel in dieser reizüberfluteten Welt, in der sich Basquiat selbst als „Boy“ in Begleitung eines Höllenhunds darstellte – ein meisterliches Selfie, das auch noch den Digital Natives einen Schauer über den Rücken laufen lässt.
„Basquiat. The Modena Paintings“,
bis 27. August,
Fondation Beyeler, Riehen bei Basel