Calouste Gulbenkian Museum

Im Zeichen des Falken

Vor mehr als einem halben Jahrhundert eröffnete in Lissabon Portugals bedeutendstes Museum. Dank seines legendären Stifters Calouste Gulbenkian entstand ein bis heute überzeugender Kunstraum, der die Klarheit der Moderne mit dem Geist des Orients in Einklang bringt

Von Beate Schümann
13.06.2023
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 166

Schmucklos erhebt sich der graue Gebäudekomplex aus seiner parkähnlichen Umgebung. Gerade war man noch auf der Avenida Berna im Fegefeuer des hupenden Großstadtverkehrs unterwegs gewesen, aber dann abgebogen in eine grüne Idylle. Schlagartig herrscht Ruhe. Man fühlt, dass man ein Paradies betritt.

In dem sachlichen, schachtelartigen Flachbau ist das größte, umfassendste, bedeutendste Kunstmuseum Portugals untergebracht. Vor einem halben Jahrhundert wurde das Museu Calouste Gulbenkian in Lissabon eigens für die private Sammlung eines besessenen Kunstliebhabers gebaut, 1969 eröffnet und für eine Zeitreise vom alten Ägypten bis in die Gegenwart konzipiert. Auf einer Fläche von 25.000 Quadratmetern, in lichtdurchfluteten, frei verbundenen Räumen schauen sich jährlich eine halbe Million Besucher Gemälde, Skulpturen und die Schätze der angewandten Kunst an.

Einen kleinen Vorgeschmack auf den gulbenkianschen Kunstgenuss kann man vorher schon in den nahen Metrostationen Praça de Espanha oder São Sebastião bekommen, die von der portugiesischen Künstlerin Maria Keil 1959 mit Fliesen in unterschiedlichen Farben und Formen gestaltet wurden. Auf der Rasenfläche vor dem Museum empfängt der großzügige Stifter selbst: der armenische Ölmagnat Calouste Sarkis Gulbenkian, drei Meter hoch in Bronze gegossen, in seinem Rücken die noch viel höhere steinerne Falkenskulptur des ägyptischen Gottes Horus. Der Falke als Lichtfigur, elegant, pfeilschnell, weitsichtig, mächtig – wie der Kunstmäzen. Vielleicht nicht schön, aber symbolträchtig.

Das Kunstmuseum erzählt die märchenhafte Geschichte vom orientalischen Dollarmillionär, der in den 1940er-Jahren seine Liebe für das arme Land Portugal entdeckte und ihm alles schenkte. Es war, als hätte jemand an der Öllampe gerieben. Dem damals von der Salazar-Diktatur unterdrückten „Armenhaus Europas“ muss der Philanthrop wie eine Gestalt aus Tausendundeiner Nacht erschienen sein. Heute tragen Museum und Stiftung den Namen von Calouste Gulbenkian.

Calouste Gulbenkian Lissabon Portugal
Der legendäre Stifter des Museums Calouste Gulbenkian, circa 1900. © Calouste Gulbenkian Museum

1869 in Istanbul als Sohn eines wohlhabenden Teppichhändlers geboren, studierte Calouste in London, engagierte sich als junger Ingenieur auf den Ölfeldern des Nahen Ostens und stieg von den Wellblechbaracken in der Wüste in die Chefetagen der Wall Street auf. Geschäftstüchtigkeit, Verhandlungsgeschick und der unbestechliche Blick für Kostbarkeiten machten ihn innerhalb weniger Jahre zum reichsten Mann der Welt und zu einem der bedeutendsten Kunstsammler seiner Zeit. Wegen seiner fünfprozentigen Beteiligungen am internationalen Ölgeschäft wurde er „Mister Five Percent“ genannt. Schon zu Lebzeiten war Gulbenkian eine Legende.

Im Zweiten Weltkrieg, 1942, flüchtete der in Paris lebende Armenier mit englischem Pass ins neutrale Portugal. Seine Gemäldesammlung, die er der Londoner National Gallery als Leihgabe überlassen hatte, wurde als enemy property beschlagnahmt. Weil er Wirtschaftsgesandter der iranischen Botschaft in Paris und Akteur des Vichy-Regimes war, fiel Gulbenkian bei den Engländern in Ungnade. Mithilfe des portugiesischen Rechtsanwaltes José de Azeredo Perdigão holte er die Kunstwerke nach Lissabon.

Als Gulbenkian 1955 im Alter von 86 Jahren starb, wurde sein Vermögen auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Sein Sohn Nubar, der für Kunst keinen Sinn hatte, erhielt aus dem Erbe nur einen kleinen Teil. Dem Land, das ihm dreizehn Jahre lang Exil gewährt hatte, hinterließ er den Hauptteil seines Vermögens. Dazu zählten rund 6000 Werke sowie rund 67 Millionen USDollar. Das Kapital wurde angelegt. 1975 hatte es sich bereits vervielfacht. In seinem Testament verfügte der Gönner, dass die Kunst in einem Museum der Öffentlichkeit zugänglich werden und die Gelder ausschließlich wohltätigen, künstlerischen, erzieherischen und wissenschaftlichen Zwecken dienen sollten. Reichtum verstand er als soziale Verpflichtung.

Calouste Gulbenkian Museum
Das Museum von innen. © Calouste Gulbenkian Museum

Die Schenkung veränderte die Kulturlandschaft in Portugal grundlegend. Dieser für dortige Verhältnisse nie zuvor da gewesene finanzielle Spielraum machte die Fundação Calouste Gulbenkian zur bedeutendsten Förderin von Kunst, Bildung und Wissenschaft. Sie unterstützt bis heute junge Wissenschaftler und Künstler durch die Vergabe von Stipendien, kauft Kunstwerke an. Sie fördert Bibliotheken, Schulen und Krankenhäuser, unterhält ein eigenes Orchester, ein Ballett, Konferenzräume, ferner Lesesäle, ein Freilichttheater, ein Planetarium, einen Park, drei Cafés und zwei Museen: das für die ursprüngliche Sammlung und das Centro de Arte Moderna, kurz CAM genannt, das 1983 für die portugiesische Kunst der Gegenwart eingerichtet wurde.

Der weitläufige Museumskomplex entstand als Gesamtkunstwerk. Die horizontale Architektur – das avantgardistische Werk des Architektentrios Alberto Pessoa, Rui Jervis Atouguia und Pedro Cid – wirkt monolithisch, jedoch nicht sperrig, sondern eher diskret. Anders als andere museale Monumentalbauten macht dieser den Besucher nicht klein, sondern heißt ihn vielmehr willkommen. Zwischen anmutigen Wasserspielen steigt ein kurzer Weg zum Hauptportal an, durch das man in die Welt einer atemberaubenden Kunstbetrachtung gelangt. An der linken Wand im Foyer liest man das handschriftliche Zitat von 1953, mit dem der Schöngeist eine Liebeserklärung an seine Kunstwerke abgibt: „Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, dass ich sie alle als meine „Töchter“ betrachte. Ihr Wohlergehen ist mein größter Wunsch. Sie bedeuten fünfzig bis sechzig Jahre meines Lebens. Ich habe sie ausschließlich nach meinem persönlichen Geschmack ausgewählt.“ Natürlich habe er sich beraten lassen, gesteht er. „Aber ich fühle mit Herz und Seele, dass sie meine sind.“

Gulbenkian wollte ein Dach für seine Sammlung. Tatsächlich entstand 1969 eine Art Apartment für seine „Töchter“ mit zahlreichen Fenstern zum Garten und natürlichem Lichteinfall. Auch im Innern beschränkt sich die klare Bauart auf das Wesentliche: auf die Exponate. Beim Eintreten überwältigt die enorme Großzügigkeit der Räume und der respektvolle Umgang mit den einzelnen Objekten, zwischen denen reichlich Abstand gelassen ist, sodass sie atmen und ihren Zauber voll entfalten können. Alles sagt einem: Fühl dich wie zu Hause. „Durch die Art der Präsentation wird eine optimale Beziehung zwischen Werk und Betrachter hergestellt“, sagt Penelope Curtis, die das Museum seit 2015 leitet. Die meisten Museen veränderten im Laufe der Zeit Konzept und Gestalt beträchtlich, so Curtis. Doch dieses blieb seinem Anfangskonzept treu. Es musste sich nicht neu erfinden. Es ist nach wie vor modern.

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