Bourse de Commerce

Apokalypse, jetzt!

In Paris versammelt die Pinault Collection Werke, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen. Manche geben Hoffnung, andere feiern den Untergang

Von Laura Storfner
13.06.2023

Alles liegt still da. Nur ein paar Luftblasen steigen im trüben Wasser auf. Doch dann bricht das Leben hinein in „Présage“, die raumfüllende Videoarbeit des marokkanischen Künstlers Hicham Berrada. Es scheint, als würde auf dem Meeresgrund plötzlich ein kleines Atlantis emporwachsen. Korallen sprießen im Zeitraffer aus dem Boden, Sandkörner wirbeln durch das Bild. Doch irgendetwas stimmt nicht. Die Pflanzen wirken unnatürlich, ihre Farben strahlen radioaktiv. Im Handumdrehen hat sie ein Sturm dem Erdboden gleichgemacht. Was wie eine Unterwasseraufnahme aus der Tiefsee aussieht, ist in Wirklichkeit eine große Simulation: Seit 2007 lässt Berrada für „Présage“ in kleinen Aquarien Mineralien und chemische Stoffe miteinander reagieren. Er experimentiert wie ein Naturwissenschaftler, nur ist er dabei nicht auf der Suche nach Erkenntnis. Berrada sucht nach poetischen Bildern, die sich in die Tradition der Landschaftsmalerei einreihen können. Nicht mehr die Übermacht der Naturdarstellung zeichnet seine Interpretation des Genres aus, sondern die Fähigkeit des Menschen, Naturkräfte zu imitieren und anschließend alles zu zerstören.

Wäre es nach Berrada gegangen, hätte man die aktuelle Ausstellungssaison am Pariser Standort der Pinault Collection wohl nicht „Avant l’orage“ – vor dem Sturm – nennen dürfen. Denn der Sturm, der ist in seiner Videoarbeit bereits entfesselt und tobt. Dieser eher pessimistische Blick auf das Anthropozän verbindet den Großteil der Werke, die im aktuellen Zyklus in der Bourse de Commerce vertreten sind. Lässt man sich durch den Rundbau aus dem 18. Jahrhundert treiben, den der Megasammler François Pinault vom Stararchitekten Tadao Ando zu einem Privatmuseum umbauen und 2021 eröffnen ließ, entdeckt man Werke von insgesamt 15 Künstler:innen. Sie alle – darunter bekannte Namen wie Judy Chicago und Cy Twombly – beschäftigen sich im weitesten Sinne mit dem Klimawandel.

Manche Arbeiten machen Hoffnung auf ein neues Paradies nach dem Weltuntergang: Da sind die Gemälde von Frank Bowling, die immerzu wirken, als würden sie von innen her leuchten. In den neblig aufgetragenen Farbverläufen verwebt der Künstler Erinnerungen an die Regenwälder seiner Kindheit in Guyana mit den Großstadtskylines von New York und London, wo er heute lebt. Die Sonne geht auch in den kleinformatigen Seestücken von Lucas Arruda nie unter. Der junge Brasilianer malt melancholische Landschaften aus Öl und Bienenwachs, was den Szenen eine übernatürliche Qualität verleiht. Seltsam entrückt wirken die Versuchsanordnungen der belgischen Künstlerin Edith Dekyndt. Ihre Hybrid-Stillleben sind Märchenbüchern entsprungen: Da sieht man Rosen, eingehüllt in dickes Plastik, und ein Aquarium, in dem sich wallendes blondes Haar sanft im Wasser wiegt.

Im Obergeschoss hat Pierre Huyghe ein weiteres Aquarium installiert. Träge schwimmen kleine Fische durch das Wasser, mitten durch ein versunkenes Tropfsteinreich. Der Clou: Nur einer der Fische kann sehen, der Rest ist aufgrund eines evolutionären Zufalls fast gänzlich erblindet. Weil die Tiere nicht mehr der Abfolge von Tag und Nacht, Helligkeit und Dunkelheit folgen können, hat Huyghe das Aquarium nach ihren Bedürfnissen ausgelegt. Es passt sich in den Lichtverhältnissen den Umgebungsdaten und Temperaturen vor Ort an.

Das Bewusstsein für radikale Umweltveränderungen paart Huyghe, 1962 in Paris geboren, häufig mit fantastischen Weltentwürfen. Seine Werke bewegen sich dabei immer an der Grenze zwischen Natur und Kultur; Insekten und Vierbeiner spielen seine Hauptrollen. So präsentierte er auf der Documenta 13 nicht nur eine liegende Frauenskulptur, die statt ihres Kopfes einen Bienenstock auf dem Hals trug, sondern auch den heimlichen Star der Schau: die Podenco-Hündin Human mit ihrem rosa gefärbten Bein. In Paris gibt es nun ein Wiedersehen, wenn auch nur auf dem Screen. Der Film „A Way in Untilled“ folgt Human bei ihren Streifzügen durch die Kasseler Karlsaue. Die Aufnahmen erlauben, die Welt durch die Augen des Hundes sehen, der die Umwelt vollkommen frei durchstreift.

Einen unverstellten Blick auf die Natur beweist die Britin Tacita Dean bereits seit den Neunzigerjahren. In Paris findet sie poetische Bilder für Umweltphänomene, die im Verschwinden begriffen sind. Einen Gletscher, der an Caspar David Friedrichs Eismeer erinnert, hat sie mit Kreide auf eine sieben Meter breite Schiefertafeln gemalt – genau wie der Schnee schmelzen wird, löst sich Deans Werk über die Jahre langsam auf. Die Fragilität von Naturgiganten untersucht Dean auch in den neuen Fotoarbeiten „Sakura (Taki I)“ und „Sakura (Jindai I)“, die tausend Jahre alte, heilige japanische Kirschbäume zeigen. Die Künstlerin fotografierte sie in voller Blüte und betonte zugleich ihre Endlichkeit: Pfähle müssen die Stämme und Äste stützen, die mittlerweile so zerbrechlich sind, dass sie allein nicht mehr stehen könnten. Die Sakura werden in ihren Arbeiten zum Memento mori für das Hier und Jetzt.

Als eine Ode an die Gegenwart lässt sich dagegen die Videoarbeit verstehen, mit der Dean die Rotunde des Hauses füllt. In einem konkaven Pavillon unternimmt man, geleitet von der Künstlerin, eine kleine Welt- und Zeitreise: Über Ausschnitte aus persönlichen Super-8-Filmen, die am Anfang ihrer Karriere entstanden, und Aufnahmen von historischen Postkarten aus ihrer eigenen Sammlung schafft Dean einen Sturm an Bildern und Eindrücken. Der Wirbel trägt das Publikum aus dem Museum und hinein in die Welt – in die Wüste, ans Meer und in die Arktis.

Dean veranschaulicht so in starken Bildern, was der Philosoph Emanuele Coccia im Katalog der Ausstellung beschreibt: „Alles auf der Erde ist eine Naturgewalt. (…) Man weiß nicht wirklich, ob man sich vor oder nach dem Sturm befindet, weil gerade für die ganze Welt eine Unwetterwarnung gilt. Und dieser Sturm ist das Lied des Lebens.“ Wie diese Komposition aussehen und klingen könnte, zeigt die Bourse de Commerce auf eindrückliche Weise.

Service

AUSSTELLUNG

„Avant l’orage“

Bourse de Commerce – Pinault Collection, 

bis 11. September

pinaultcollection.com

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