Die Hamburger Kunsthalle blickt zurück auf über 50 Jahre Schaffenszeit des deutschen Grafikers Werner Nöfer, der in den Sechzigerjahren gemeinsam mit Dieter Glasmacher das erste Wallpainting Europas schuf
ShareDreißig Jahre lang schmückten drei große Emailleschilder den Sockel der Hamburger Kunsthalle. Sie kommentierten die Verkehrssituation rund um den Wallring: zu viel Alphalt und nicht genug Natur. 1992, als der Neubau der Galerie der Gegenwart begann, wurden die farbenfrohen Arbeiten, ein Gemeinschaftswerk der Künstler Werner Nöfer und Dieter Glasmacher, abgehängt und eingelagert. Straßen inklusive ihrer Verkehrsschilder als Symbol gesellschaftlicher Restriktionen sind ein wiederkehrendes Motiv im Werk von Werner Nöfer, dem die Hamburger Kunsthalle noch bis zum 24. September eine Überblicksausstellung widmet. Sie zeigt rund 40 Grafiken, die meisten davon aus einer Schenkung des Künstlers, die er 2017 der Kunsthalle übergab.
Anlässlich der Schau wurden auch die sechs mal vier Meter großen und aus je 30 Einzeltafeln bestehenden Tableaus vom Wallring wieder ausgepackt. Trotz der langen Lagerzeit haben sie nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt. Nach einer gründlichen Reinigung hängen sie nun seit Anfang Juni in der Gleishalle am Hamburger Oberhafen. Die temporäre Präsentation ist nicht nur eine gelungene Ergänzung der Ausstellung, sondern gleichzeitig auch ein Suchaufruf. Alle Ideen für einen neuen permanenten Standtort in Hamburg sind willkommen!
Das grafische Werk von Werner Nöfer, geboren 1937 in Essen, prägt seit Ende der Sechzigerjahre das Stadtbild von Hamburg. Sein Studium begann Nöfer an der Folkwang-Hochschule, 1960 zog es ihn in die Hansestadt, wo er an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste weiterstudierte. In dieser Zeit entstanden seine ersten Siebdrucke. Mit ihrer klaren Farbigkeit und Form waren sie ein wichtiges künstlerisches Ausdrucksmittel der Pop-Art. An vielen Hochschulen wurden damals Druckwerkstätten eingerichtet. Die Druckgrafik galt als demokratisches und soziales Medium, da sie durch ihre hohen Auflagen relativ günstig verkauft werden konnte und so eine breites Publikum erreicht. Darum ging es auch der revolutionären Künstlergruppe „CO-OP“, zu dessen Gründungsmitgliedern Werner Nöfer gehörte. Gemeinsam wollten sie die Funktion von Kunst in der Gesellschaft verändern. Durch eigene Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten sollten die Werke direkt an die Käuferinnen und Käufer gelangen. Durch Verzicht auf den Zwischenhandel wurde die Kunst erschwinglicher. Als freischaffender Künstler schlug Nöfer immer wieder neue Wege abseits des etablierten Kunstbetriebs ein.
Im Jahr 1968 bekamen Werner Nöfer und Dieter Glasmacher den Auftrag, eine 70 Meter lange Brandmauer vor der Diskothek Gruenspan in St. Pauli zu gestalten. Es wurde das erste Wallpainting Europas und ein Wahrzeichen der Hamburger Musik- und Clubszene. Die innovative Fassadenarbeit steht mittlerweile unter Denkmalschutz und soll demnächst restauriert werden. Das Wandbild markierte für Nöfer damals einen Umbruch in seiner Wahrnehmung als Künstler.
Es folgten weitere Arbeiten im öffentlichen Raum: Die Wandbilder am Eingang des Abaton-Kinos sowie Arbeiten aus Emaille im Centrum für Naturkunde sind heute noch immer zu sehen. Auch außerhalb Hamburg hinterließ der Grafiker seine Spuren: 1972 gestaltete er das visuelle Leitsystem für den Flughafen Berlin-Tegel, eines seiner größten Projekte. Was aus diesem wird, nun da der Flughafen nicht mehr als solcher genutzt wird, ist ungewiss.
Es kommt immer wieder vor, dass Arbeiten aus öffentlichen Räumen verschwinden, eingelagert oder zerstört werden. Auch Werke von Werner Nöfer sind auf diese Weise bereits verschollen. Umso wichtiger erscheint in diesem Kontext die Restaurierung des Wallpaintings am Gruenspan-Club. Ein Teil der Arbeit basiert auf Nöfers Siebdruck „periskopisch“ (1967). Seit den späten Sechzigerjahren beschäftigt sich Nöfer mit der technischen Reglementierung unserer Umwelt. Und das, obwohl es damals weder Laptops noch Smartphones gab. Hat der Blick durch optische Apparate unser Verständnis von Landschaft verändert? Periskope werden dazu genutzt, um Ausschau zu halten, meist in einem militärischen Kontext, denn mit dem Sehrohr kann man aus Bunkern oder U-Booten schauen. Im Mittelpunkt der Grafik befindet sich eine runde Messscheibe, durch die eine einfache Landschaftsdarstellung sichtbar wird. Doch statt eines feindlichen Angreifers strahlt uns ein blauer Himmel entgegen. Am Horizont funkeln weiße Wolken. Das Gras leuchtet in sattem Grün. Voller Sehnsucht blickt man auf die ferne Landschaft, das berühmte norddeutsche Flachland, das man in der eng bebauten Stadt nie zu sehen bekommt.
Wie können Informationen optischer Art möglichst einfach vermittelt werden? Technische Geräte beeinflussen, wie wir die Welt um uns erleben. Oft sind es einfache Formen, ein Kreis, ein Quadrat oder ein Rechteck, die unseren Erinnerungen einen Rahmen geben. Die unterschiedlichen Formate besitzen einen hohen Wiedererkennungswert und können dabei helfen, Dinge richtig einzuordnen.
Werner Nöfers Arbeiten wollen immer selbsterklärend sein. In Anlehnung an die Signalwirkung von Straßenschildern vermittelt er innerhalb seiner Bildwelten erst ein Gefühl von Orientierung und Kontrolle, nur um dieses dann durch absurde Kombinationen aus Natur und Technik kritisch zu hinterfragen.
Der passionierte Segler lebt heute im niedersächsischen Oberndorf an der Oste. Er zeichnet auch mit 86 Jahren noch immer jeden Tag. Mittlerweile besitzt Nöfer um die 60 Skizzenbücher, von denen einige ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Die Darstellung von Technik und Landschaft beschäftigt ihn noch immer. Und so fügt sich die Aquarellarbeit „Landschaft mit iPhone“ von 2022 nahtlos in sein Œuvre ein und unterstreicht dessen heutige Bedeutung und Aktualität.
„Periskopisch! Werner Nöfers Grafik zwischen Pop und Agitation“
Hamburger Kunsthalle
bis 24. September 2023
„Erinnerungen an Landschaften. Werner Nöfers Arbeiten im öffentlichen Raum“
Hrsg. von Jutta Drewes, Andreas Homann und Jörg Schilling mit Texten von Leona Marie Ahrens und Petra Roettig, Till Briegleb und Jörg Schilling
Schaff Verlag, Hamburg
36 Euro