Eine Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts erzählt die wechselvolle Geschichte des eigenen Bestands an Werken von Albrecht Dürer
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07.08.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 216
An Popularität hat es ihm nie gemangelt. Albrecht Dürer, 1471 in Nürnberg geboren und dort 1528 gestorben, durfte selbst erleben, wie vor allem seine Auflagenwerke reißenden Absatz fanden. Als Vierzigjähriger war der Grafiker und Maler bei Sammlern bereits so beliebt, dass es nicht wenige Kopisten und Fälscher seiner Werke gab, deren Umtriebe sogar den Stadtrat beschäftigten. Um 1600 kam es dann zur ersten posthumen „Dürer-Renaissance“. Selbst Kaiser Rudolf II. sparte damals nicht, um ein Konvolut von Originalzeichnungen des Nürnberger Meisters aus dem ehemaligen Werkstattbestand zu erwerben. Diese Blätter gelangten 1796 in die Wiener Albertina, wo sie heute quasireligiöse Verehrung erfahren und nur sehr selten gezeigt werden.
Das alles vorausgeschickt, um besser zu verstehen, dass die Dürer-Begeisterung im Berlin des 19. Jahrhunderts keineswegs aus dem Nichts kam. Mit „Dürer für Berlin“ widmet das dortige Kupferstichkabinett eine interessante Schau eben jenem Phänomen: den Bemühungen von höchster Stelle, an der Verehrung des Nürnberger Meisters adäquat teilzuhaben. Der Bezug auf Dürer als deutschen Künstler dürfte dem preußischen Königreich dazu gedient haben, seine Vormachtstellung zu unterstreichen. Als im April 1828 in Berlin die große Feier zum 300. Todestag des Künstlers zelebriert wurden – die Dekoration hatte immerhin der Baumeister Karl Friedrich Schinkel entworfen – war das neue Museum im Lustgarten noch nicht schlüsselfertig übergeben. Zwei Jahre später öffnete es für die Allgemeinheit und im Folgejahr wurde hier das Kupferstichkabinett gegründet, in dem schon ein gewisser Dürer-Bestand vorhanden war. 1835 wurde noch die Kollektion des preußischen Generalpostmeisters Karl Ferdinand Friedrich von Nagler angekauft, der ebenfalls den Künstler gesammelt hatte. Plötzlich war Berlin ein Dürer-Zentrum.
Die Nagler-Sammlung erwies sich im Nachhinein jedoch als etwas tückisch. Unzweifelhaft gehören einige echte Meisterwerke zum Konvolut, wie „Das Rhinozeros“. Das Werk schuf Dürer 1515, ohne je selbst ein solches Tier gesehen zu haben, aber mit bemerkenswert gutem Gespür für dessen Anatomie. Dieser Holzschnitt ist nach wie vor ein Publikumsliebling. Die zahlreichen kolorierten Kupferstiche der Sammlung Nagler hingegen, die nach dem Tod des Künstlers zu unbestimmter Zeit von unbekannter Hand deckend ausgemalt wurden, entsprechen keineswegs mehr dem heutigen Geschmack. Die einstigen Trophäen wirken umso trauriger, da sie in der Ausstellung mit den zum Glück ja ebenfalls im Kupferstichkabinett vorhandenen farblosen Ursprungsvarianten verglichen werden können. Und man sieht schnell: Das Kolorit übertüncht die subtilen Tonabstufungen in Dürers Werken, sodass etwa die „Nemesis“ (1501) ein bisschen nach Comicfigur aussieht. Und die fein erdachte Lichtregie, die im Meisterstich „Heiliger Hieronymus im Gehäus“ (1514) ursprünglich den gesamten Innenraum sanft zur Einheit verbindet, wird in der Farbvariante durch eine grelle Spot-Beleuchtung abgelöst.
Ernsthaft blamabel wurde das Nagler-Konvolut für seine Besitzer allerdings aus einem ganz anderen Grund: Ausgerechnet zu Dürers 400. Geburtstag im Jahr 1871 veröffentlichte das Kupferstichkabinett einen mächtigen Katalog mit 70 reproduzierten Zeichnungen, mit besonderem Fokus auf zehn Porträtbildnissen aus der Nagler-Sammlung. Letztere bezeichnete Moritz Thausing, der Leiter der Wiener Albertina, sogleich als Fälschungen. Der „Dürer-Streit“ entbrannte, an dessen Ende man die Zuschreibung der Zeichnungen zurückzog.
Blickt man auf die wohl um 1518 eher zweidimensional und recht flüchtig ausgeführten Profilköpfe eines Friedrich II. von der Pfalz oder eines Kardinal Matthäus Lang, versteht man auch nicht so recht, wie sie als Werke des Nürnbergers eingestuft werden konnten. Zumindest wenn man sie mit wesentlich lebensechteren und charaktervolleren Zeichnungen in der Schau vergleicht, wie dem „Bildnis eines jungen Mannes“ von 1520 im selben Raum oder auch dem Porträt von Willibald Pirckheimer von 1503. Dürer war auf sein zeichnerisches Können selbst sehr stolz; er hatte es 1502 mit seinem aquarellierten „Feldhasen“ (heute im Besitz der Albertina) werbewirksam demonstriert. Dass er lukrative Auftraggeber mit Porträts minderer Qualität abgespeist hätte, ist ziemlich unwahrscheinlich. Tatsächlich fand man später heraus, dass die Zeichnungen von einem Zeitgenossen Dürers angefertigt wurden, dem Augsburger Medailleur Hans Schwarz, der ab 1518 daraus eine Serie von Bildnismedaillen schuf. Die Zeichnungen waren vermutlich nur ein Mittel zum Zweck.
Der herbe Verlust des Kupferstichkabinetts musste jedenfalls kompensiert werden: 1877 glückte dem Direktor Friedrich Lippmann in Paris der Ankauf zweier Konvolute von Zeichnungen und Druckgrafiken Dürers – der Sammlungen Posonyi-Hulot und Firmin-Didot. Sie umfassten Werke wie die um 1489 oder 1494 aquarellierte Landschaft „Die Drahtziehmühle“ oder eine perspektivisch exakte Entwurfsstudie von 1502 zur Serie „Das Marienleben“, die vor Augen führen, wie Dürer die Errungenschaften der italienischen Renaissance in die deutsche Kunst übertrug. Der „Marienleben-Zyklus“ – diese Abfolge von 19 religiösen Szenen, viele in perspektivisch korrekten Räumen als intime Kammerspiele dargestellt – war ebenfalls in der Sammlung Posonyi-Hulot vorhanden. Vor allem dank Lippmann wurde Berlin wieder eine der weltweit wichtigen Anlaufstellen für Dürer-Fans. Das Kupferstichkabinett erhielt damals Preziosen wie das Bildnis von Dürers Mutter Barbara aus ihrem Todesjahr 1514, ein höchst individuelles und ungeschöntes Kohlezeichnungsporträt, in dem jedoch jeder Strich, bis ins letzte Augenbrauenhaar und die kleinste Wangenrunzel hinein, von offensichtlicher Zuneigung aufgeladen ist. Wer die anderen Besucher betrachtet, die fasziniert vor dieser meisterlichen Beobachtung der menschlichen Natur verharren, begreift, dass so ein Fest für die Augen niemals unpopulär werden wird.
„Dürer für Berlin. Eine Spurensuche im Kupferstichkabinett“,
Kulturforum, Berlin
bis 27. August