In Berlin startet das neue Fotografiska Museum mit drei Ausstellungen zum Thema Fotografie und einem ambitionierten gastronomischen Konzept
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08.09.2023
So viel Körperlichkeit überwältigt. Besonders hier, auf dem blitzsauber, fast schon aseptisch gestalteten Areal des einstigen Berliner Tacheles an der Oranienburger Straße. »Nude« heißt die Ausstellung, die sich gegen diese cleane Atmosphäre stemmt. Mit Haut und Haaren und auffallend vielen männlichen Akten.
Nackt, das waren im Tacheles zuletzt vielleicht mal die Modelle jener Künstler, die den Osten der Stadt nach dem Mauerfall für sich entdeckten: In den Ateliers der Ruine, einst ein luxuriöses Kaufhaus, haben sie gemalt oder Figuren aus Stahl zusammengeschweißt. Erst für sich, dann zunehmend für ein touristisches Publikum. Jetzt wirbt der Investor mit dem symbolischen Kapital der legendären Kreativstätte für eine kühle Shoppingmall, und nichts erinnert mehr an die wilde Vergangenheit. Oder doch?
Huxtable, Jahrgang 1987, ist schon länger als Resident-DJ im Berghain, als Dichterin und Performerin unterwegs. Ihr fotografisches Werk, auf dem sie sich per Bodypainting und PC in halb menschliche, halb tierische Wesen verwandelt, ist jedoch im Fotografiska entstanden und wird dort erstmals gezeigt. Ein Stockwerk über »Nude«, als Premiere eines jungen Talents, das dank der Fotografiska-Dependancen anschließend global touren kann. Dass man Akzente setzen und mehr sein möchte als ein reines Ausstellungshaus, so formuliert es Hammoudah. Produktion, Diskurs, Workshops, ein Musikprogramm – für alles wird es künftig auf den sechs Stockwerken einen Raum geben. Im obersten Ausstellungsbereich, einem dunkelgrau gestrichenen Dachgeschoss, bricht Tageslicht durch die Scheddächer. Es gibt kaum Hängeflächen, aber das macht nichts, denn hier zieht zur Eröffnung Candice Breitz mit ihrer Zweikanal-Videoinstallation »Whiteface« ein. Konzeptkunst mit kritisch-politischem Anspruch: Breitz thematisiert die Privilegien, auf die Weiße immer noch wie selbstverständlich Anspruch erheben.
Mit dieser Dreiteilung – Blockbuster, Newcomer und diskursive Position – soll das Publikum auch künftig ins Fotografiska gelockt werden. Bis spät in den Abend, denn man will auch eine jüngere Klientel gewinnen. Das ist ehrgeizig, passt aber zu Yoram Roth, der hinter dem Fotografiska Museum steht. Wer den millionenschweren Investor nicht kennt, der gewinnt in luftiger Höhe, wo die Stararchitekten Herzog & de Meuron eine grandiose Bar als Kuppel auf das Haus gesetzt haben, einen Eindruck von seiner letzten prominenten Intervention: Von hier aus blickt man über das alte Scheunenviertel bis in die Auguststraße auf »Clärchens Ballhaus«. Eine Institution in ehemaligen DDR-Zeiten und lange danach. Als Roth 2019 das »Clärchens« erwarb, gab es heftigen Widerstand aus der Kunstszene. Ein Unternehmer im kreativen Biotop, da sahen viele bloß den Umwälzer, der das Haus auf Kosten seiner Patina profitabel macht. Roth, Erbe eines Immobilienimperiums, fühlt sich missinterpretiert. Schon sein Urgroßvater habe in Prenzlauer Berg Jugendstilhäuser gekauft, der Vater investierte in Bürogebäude und Hotels. 1938 floh die Familie nach Palästina, 1954 kehrte sie nach Berlin zurück und wurde nun von der DDR enteignet. Erst nach der Wende gingen die Immobilien in Berlin zurück an ihre jüdischen Eigentümer. Der Vater wiederum wähnte Yoram Roth als Nachfolger an der Spitze des Imperiums – doch der studierte lieber Fotografie und gibt sein Geld für Projekte aus, die wie »Clärchens Ballhaus« das widerständig Nonkonforme der Metropole verkörpern und Freiräume versprechen. Laufen müssen sie aber schon.
So stieg Roth finanziell bei Fotografiska ein, als die Stockholmer Gründer expandieren wollten. Die Pläne stockten, der gebürtige Berliner übernahm ganz. Seit 2020 sind die Brüder Broman nicht mehr für das Museum tätig. Im ehemaligen Tacheles ist Roth Mieter, und man ahnt, dass die Quadratmeter im Herz der Metropole zu den teuersten der Stadt gehören; auch wenn Letztere verfügt hat, dass die einstige Ruine allein für kulturelle Zwecke genutzt werden darf. Roth muss querfinanzieren, der Eintritt allein wird Fotografiska niemals tragen. Also plant Roth Gastronomie auf allen Etagen, vom preiswerten Coffeeshop bis zum exklusiven Restaurant. Sein Engagement ist auch hier beeindruckend. Für das Interieur hat er den Designer Werner Aisslinger gewonnen, der farbige Kacheln verbaut und auf eine Neo-Variante von Art déco setzt. Für die Ausstellungen wirkt als Kuratorin Marina Paulenka, selbst künstlerisch und darüber hinaus für diverse Fotofestivals tätig. Zuletzt leitete sie die Unseen Amsterdam, eine Messe für fotografische Avantgarde.
»Nude«, aus dem New Yorker Haus übernommen, kommt dem schon einmal sehr nahe. Mit frischen Perspektiven und Namen, die Entdeckungen versprechen. Etwa Bettina Pittaluga, die so hart wie sensibel auf marginalisierte Menschen fokussiert. Oder die Slowenin Viki Kollerová mit ihren Protagonisten in seltsam artifiziellen Posen. Joanne Leah lässt Akte wie Marshmallows aussehen oder wickelt sie in Lebensmittel. Momo Okabe, 1981 in Tokio geboren und vielfach ausgezeichnet, kandiert den Alltag ebenfalls. Es herrscht eine große Lust am Leben, aber auch Kritik am prekären Dasein viel zu vieler der hier Abgebildeten.
Fotografiska Museum, Berlin
Eröffnungswoche vom 7. bis 16. September