Das Kunsthistorische Museum Wien präsentiert Raffaels prächtige Tapisserien und zeigt, wie sie die flämische Textilkunst prägten
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27.09.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 218
Was macht ein Papst, wenn sein Vorgänger eines der bedeutendsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte in Auftrag gab und er selbst auch als Mäzen und wichtiger Kirchenmann in Erinnerung bleiben will? Papst Leo X. stammte aus dem kunstsinnigen Geschlecht der Medici. Als er im März 1513 sein Amt antrat, war die Ausstattung der Sixtinischen Kapelle mit der Enthüllung von Michelangelos Deckengemälden erst seit vier Monaten abgeschlossen. Papst Julius II. hatte die Fresken beim gefeierten Maler geordert. Da nun keine Steinflächen mehr frei waren, verlegte sich Leo X. darauf, der Kapelle ein temporäres Highlight hinzuzufügen: Er beauftragte Raffael, schon damals ein Star, mit den Entwürfen für einen zehnteiligen Tapisseriezyklus. Zu hohen Feierlichkeiten würde dieser die Sixtina schmücken. Das Thema der Werke, die später in der Brüsseler Werkstatt von Pieter van Aelst gewebt wurden, war das Leben der Apostel Peter und Paulus.
Damit wollte sich der Papst „zweifellos als Nachfolger Petri, als auserwählter Stellvertreter Christi auf Erden feiern lassen“. Das schreibt die Kunst- und Textilhistorikerin Katja Schmitz von Ledebur im Katalog zu der von ihr kuratierten Ausstellung „Raffael. Gold & Seide“ im Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM). Die Schau wartet mit einer Reihe monumentaler Tapisserien sowie Entwürfen, Zeichnungen, Stichen und Kunstkammerobjekten auf. Zu erkennen ist, wie Raffael mit seiner Apostelserie dieses Medium revolutionierte.
Dass der italienische Renaissancemaler auf dem Gebiet der Teppichherstellung keinerlei Erfahrung besaß, sollte kein Hindernis sein, wie Katja Schmitz von Ledebur der WELTKUNST erklärt: „Raffael hatte sich noch nie zuvor mit Tapisserie beschäftigt. Das war ein Vorteil, denn so konnte er auf neue Art damit umgehen.“ Mit seiner Werkstatt schuf er in den Jahren 1515 und 1516 zehn Kartons, die dann in Tapisserien übersetzt wurden. Und zwar nicht nur einmal für den Vatikan, sondern in insgesamt rund 50 Versionen: Bis ins 19. Jahrhundert hinein produzierten flämische, englische und französische Manufakturen die Apostelserie. So landeten auch Arbeiten daraus im KHM, das die Wandteppiche aus konservatorischen Gründen allerdings selten zeigt. In der Ausstellung präsentiert man nun ein Werk aus einer Serie, die wie jene für den Vatikan unter Pieter van Aelst hergestellt wurde, sowie fünf weitere, die auf 1600 datiert sind.
Die Schau unterstreicht zudem den immensen Einfluss von Raffaels Kartons. Deren Prominenz ist wohl auch dadurch begründet, dass der Maler es verstand, die Bilder weiterzuverbreiten – mithilfe des Kupferstechers Marcantonio Raimondi. Neu an den Tapisserien war, dass die Figuren an Volumen und Raum gewannen, dass die Architekturen perspektivisch aufgefasst wurden, dass Landschaften ins Bild rückten. Anregungen, die flämische Künstler wie Barend van Orley, Michiel Coxcie und Pieter Coecke van Aelst – nicht identisch mit Pieter van Aelst – aufnahmen. Von Letzterem zeigt man ein weiteres Highlight, fünf der „Sieben Todsünden“ (1533/1534), die bis zu 867 cm lang sind. Was einiges aussagt über den Repräsentationsanspruch dieser Textilkunstwerke.
Die aufwendig hergestellten Tapisserien aus Tausenden Fäden – manche davon aus Metall – sind so wertvoll wie empfindlich: Daher präsentiert man sie unter gedimmtem Licht. Architekt und Designer Michael Embacher entwarf dafür ein passendes Display: Parallel nebeneinanderlaufende Fäden hinterfangen die Textilarbeiten. Ihr auratischer Charakter erzählt bis heute von der sagenhaften Prachtentfaltung, von Glanz und Glamour, mit denen Päpste und Herrschende sich einst feiern ließen.