Das Glitzern des Meeres und sommerliche Strände wurden im 19. Jahrhundert von der Malerei als atmosphärische Motive entdeckt. Eine Bilderreise zu den schönsten Küsten der jüngeren Kunstgeschichte
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21.09.2023
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 216
Der spanische Maler Joaquín Sorolla, geboren 1863 in Valencia und in Deutschland immer noch wenig bekannt, schaute ganz genau hin und war immer ganz nah dran: an den Menschen und ihrem Umfeld. Er malte nicht nur Trachten und Sitten seiner Heimat, spanischen Glanz und spanisches Elend, sondern auch große Gemälde vom Strand direkt vor Ort. Von wehenden wabernden Tüchern beschattet – es gibt Filmaufnahmen – war er selbst zwar nicht immer im Anzug mit Weste, aber doch bis oben zugeknöpft, wie es sich gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts. Kitsch und soziale Härte, weiß gekleidete Schönheiten beim Strandspaziergang und arme Waisenkinder mit Behinderungen, wie auf seinem Gemälde „Trauriges Erbe!“, ausgezeichnet mit dem Ehrenpreis der Pariser Weltausstellung von 1900 – kaum je geht das alles so eng zusammen wie bei ihm, selbst Vollwaise aus einfachen Verhältnissen. Vor allem aber verarbeitete Sorolla, dieser Verehrer des dunkel leuchtenden Velázquez, die heiße Sonne der iberischen Halbinsel in seiner Malerei. Spaniens Meister des Lichts, so nennt man ihn. Seine Sonnenlust sucht ihresgleichen – aber man findet sie in anderer Form doch auch immer mal wieder. Denn die Neuentdeckung der Helligkeit kommt im 19. Jahrhundert über Europa wie eine Erleuchtung. Den Gemälden der jetzt zumeist unter freiem Himmel malenden Künstler geht im Wortsinne ein Licht auf – ein anderes zumindest als vorher. „Ich male keine Kühe, sondern Lichteffekte“, sagte der niederländische Künstler Willem Maris, zur Haager Schule gerechnet, um 1870. Und ganz ähnlich denken, reden und arbeiten viele andere europäische Maler in dieser Zeit.
Damit sei nichts gegen die älteren Granden der Hell-dunkel-Regie gesagt, gegen Rembrandt oder El Greco, nichts gegen die zarte Kunstbeleuchtung von Botticellis Gemälden oder gegen das göttlich-goldene, dann auch himmelblaue Strahlen Giottos. Aber durch die neuen Pleinair-Techniken, durch die Erfindung tragbarer Ölfarben in Tuben kommt zum weiterhin wichtigen Hauptplatz des Künstlers, dem Atelier, noch ein weiterer hinzu: das Vor-Ort-Sein. Die Maler können den unmittelbaren Licht- und Farb-Eindruck sofort auf Pappe oder Papier skizzenhaft festhalten und mit ins Atelier bringen. Ob sie nun gleich vor Ort finalisieren, wie Sorolla, oder doch eher nicht: der skizzenhafte Eindruck bekommt immer mehr Hauptwerkcharakter, deutlich zu sehen bei den französischen Impressionisten, aber auch bei vielen anderen Künstlern. Kaum ein Maler versteckt damals noch den Pinselstrich, umgekehrt wird er zum stolzen Ausweis künstlerischen Schaffens.
Ganz besonders stark wirkt das Licht, das ist auch heute noch so, am Meer. Die unendlich spiegelnde Wasserfläche macht die Küste zum Wunderort der Helligkeit – nur dass das lange niemanden interessierte, der Strand galt als unheimlich, eine zumeist karge und öde Fläche, nur von Seeleuten oder Fischern frequentiert. Man denke an Friedrichs einsamen Mönch am Meer, eine dunkle Figur im schillernden Dunkelblau, von heiserem Möwengeschrei begleitet. Hier wird nicht flaniert oder gebadet, hier wird noch nicht einmal Atem geschöpft. Hier wird nur, am Treffpunkt der Elemente Erde und Wasser, die Existenz ertragen. Auf Friedrichs „Küstenlandschaft im Morgenlicht“ regiert zwar eine freundlichere, aber kaum weniger einsame Stimmung. Zwei Fischer nehmen das Arbeitsgerät des Tages in Betrieb, dass sie viel miteinander sprechen, kann man sich nicht vorstellen. Der Kampf der Sonne gegen die Fesseln der Nacht ist farbenprächtig, jedoch unentschieden, der Maler gibt gerade genug Licht bei, damit man alles schemenhaft erkennt – übrigens ist das kleine Gemälde im Atelier entstanden, doch gibt es Vorzeichnungen, mit denen Friedrich dann arbeitete.
Beim Anblick des Bildes greift man automatisch am Körper nach unten, wo Jackenknöpfe vermutet werden, denn eine gewisse Kühle strahlt schon ab, trotz der lieblichen Himmelsfarben. Die schichtartige Bewölkung deutet eine Wetterverschlechterung an. Dass hier am Ende des Tages eine Mythengestalt wie Hans Christian Andersens Meerjungfrau im Netz der Fischer zappeln könnte, würde man bejahen, aber mag man dort in diesen Jahren um 1820, als das Gemälde an der Ostsee bei Greifswald entstand, eine Sonnenliege oder einen Strandkorb aufstellen? Eher nicht.
Der Strand als Urlaubs- und Erholungsort, das wird erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer großen Sache. Plötzlich fahren die Bürger nach Scheveningen, Trouville und Le Havre, nach Skagen. Und bei dem spanischen Impressionisten Joaquín Sorolla, für den im 100. Todesjahr 2023 viele gute Ausstellungen stattfinden, etwa im Museo Sorolla in Madrid, aber vor allem auch in seiner Geburtsstadt Valencia, flanieren stolze Spanier in blendend weißen Kleidern nur wenige Zentimeter vom Schäumen des Mittelmeers entfernt, als sei der Strand eine Einkaufsstraße. Doch er ist eben genau das Gegenteil: kein enges Ladengeschäft begrenzt, keine buckelnden Verkäufer stehen im Weg, und der strenge Überwachungsblick der Verwandtschaft, vom strahlenden Sonnenschein geblendet, kommt mit dem Maßregeln einmal nicht hinterher. Die jungen Menschen können in Ruhe toben, tuscheln, lachen. Und abends träumen selbst die strengsten Tanten in das Farbenspektakel des Sonnenuntergangs – in diesem Moment sind die nordischen und südlichen Farben übrigens ähnlich bunt, hier kann ein niederländischer Anton Mauve mit seinem Gemälde „In Scheveningen“ mit Sorollas stets rötlich-gelbem Licht mithalten (oder auch Hendrik Willem Mesdags goldener „Sonnenuntergang mit Krabbenfischern“).
In anderen Zusammenhängen unterscheidet sich die Helligkeit auf den Bildern des 19. Jahrhunderts enorm. Das hat teils tatsächlich etwas mit der geografischen Lage zu tun, mit Norden und Süden. Zum Beispiel, wenn man den niederländischen und den französischen Impressionismus vergleicht. Rein ausstellungsmäßig kann man das gerade sehr gut, indem man im Grimaldi Forum in Monaco die Schau „Monet en pleine lumière“ besucht und dann gemütlich Richtung Potsdam hochfährt, wo man im Museum Barberini, dem wohl wichtigsten Impressionismus-Zentrum der Welt außerhalb Frankreichs – es hat dort jetzt 38 Monets! –, die Ausstellung „Wolken und Licht. Impressionismus in Holland“ anschauen kann.