Die Berliner Bildhauerin, deren zentrales Thema unser Umgang mit Tieren war, ist im Alter von 50 Jahren verstorben
ShareSie war eine Pionierin. Denn dass wir unser Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, neu denken müssen, das wusste sie schon sehr früh. Und machte dies zum Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Lin May Saeed, 1973 in Würzburg als Tochter einer deutschen Mutter und eines irakischen Vaters geboren, schuf außergewöhnliche Tierskulpturen und vieldeutige Reliefs, die in mythologischen Motiven wurzeln. Sie integrierte arabische Texte, als sie dieser Sprache selbst noch gar nicht ganz mächtig war – die zunehmende Auseinandersetzung damit war für sie auch eine mit ihrer Herkunft. Ihr bevorzugtes Material war Styropor, ihr Markenzeichen, ein vernachlässigter, oft im Abfall landender Stoff, den sie im Geist der Arte povera so benutzte, als wäre er Marmor. Ein Material, das, so sperrig und porös es selbst haptisch wirken mag, von großer Dauerhaftigkeit ist und als Kunststoff ein Symbol für das Anthropozän. Obwohl sie ihre Wurzeln in der Tierrechtbefreiungsbewegung hatte, war sie in diesem Punkt nie missionarisch, wie auch ihre langjährige Frankfurter Galeristin Jacky Strenz erzählt. Die Kunst war ihr Weg, ihrer Botschaft einer tiefgreifenden Harmonie zwischen Mensch und Tier kraftvoll Ausdruck zu verleihen.
Lange blieb der Bildhauerin die große Anerkennung verwehrt, sie galt als ein klassischer Artist’s Artist, von Kunstschaffenden respektiert und bewundert, doch dem breiten Publikum noch wenig bekannt. Seit einigen Jahren änderte sich das. 2020 hatte sie eine wichtige Ausstellung im Clark Art Institute in Massachusetts. Und Mitte September eröffnet ihre erste große institutionelle Einzelausstellung in Deutschland im Berliner Kolbe Museum, wo ihre Werke in Dialog mit denen der Bildhauerin Renée Sintenis gesetzt werden, die vor hundert Jahren für ihre Tierbronzen bekannt wurde. Eine Wahl, die Lin May Saeed selbst getroffen hat. Als die Vorbereitung für diese Ausstellung im Winter 2022 begann, wusste sie bereits, dass sie sehr krank war. Dennoch ist sie fast bis zum Schluss in die Arbeit an dieser Schau eingetaucht, konnte sie so gestalten, wie sie es sich gewünscht hat. Im poetischen Titel „Im Paradies fällt der Schnee langsam“ klingt das Bewusstsein ihres nahenden Todes an. Gestern Nacht ist Lin May Saaed an den Folgen eines Gehirntumors verstorben. Die Ausstellung im Kolbe Museum, die am 14. September eröffnet, wird nun ihr Vermächtnis.