Interview mit Barbara Klemm

„Plötzlich gibt es dann diesen Moment“

Barbara Klemm, die berühmte Redaktionsfotografin der FAZ, zeigt im Historischen Museum Frankfurt erstmals ihre Bilder aus der Mainmetropole

Von Catherine Peter
08.11.2023

Im Katalog der Ausstellung habe ich gelesen, Sie wären am Anfang skeptisch gewesen, ob Sie überhaupt genug Frankfurtbilder für eine Ausstellung zusammenbringen?

Genau, weil Lutz Kleinhans bei der Zeitung für die Stadt zuständig war. Nur ab und wann mussten mein Kollege Wolfgang Haut und ich ihn vertreten. Das war am Anfang immer ein bisschen schwierig. Es gab auf der Seite Eins im Lokalteil etwas, das nannte man das „Schmuck-Bild“, ein freies Bild. Da musste man los in die Stadt und irgendwas finden, was Bestand hatte, was etwas erzählen konnte. Das war die ersten zwei Tage immer sehr schwierig, langsam hat sich dann was angehäuft, manche Themen mussten wir dann auch zwingend machen. Ich habe das fotografiert, was ich sah, wenn ich mich einfach so herumtrieb. Diese Frankfurter Bilder sind eigentlich 60 Jahre meines Lebens. Da war mir nicht so klar, ob das für Andere auch interessant sein würde.

Wie haben sie dann diese Auswahl von 250 Frankfurt Bildern treffen können?

Ich habe Wochen im Archiv verbracht und Negative gesichtet, mir Dinge aufgeschrieben, Filme mit nach Hause genommen. Ich habe angefangen, kleine Bilder in der Dunkelkammer zu machen und mich da so langsam durchgewühlt. Auch wenn ich mit dem Vorschlag der verschiedenen Kapitel der Ausstellung nicht recht glücklich war, hat es dem Ganzen eine gewisse Struktur gegeben und hat mir die Arbeit dann auch erleichtert. Zum Beispiel bei den „Schaufenstern“: da wusste ich, ich habe ein paar wunderbare Sachen, und habe dann gezielt danach geguckt und so weiter und so weiter. Als die Auswahl dann nach viel Arbeit stand, musste ich in die Dunkelkammer. Wenn es gut ging, habe ich zwanzig Abzüge am Tag geschafft. Es gibt Bilder in der Ausstellung, die ich überhaupt noch nie vergrößert hatte.

Auf diese Szene an einem Kiosk im Gallusviertel stieß Barbara Klemm 1971 während der Mittagspause © Barbara Klemm

Sind die Bilder zum Großteil im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entstanden?

Die Auswahl ist wirklich eine Mischung aus Auftragsarbeit und Dingen, die ich zufällig gesehen . Ich hatte meine Kamera ja immer dabei: Im richtigen Moment muss man ganz schnell sein können. Für manche Straßenaufnahmen stand ich aber auch ganz lange und habe gewartet, bis sich dann zum Glück irgendwann etwas ergab. Als Fotografin muss man den Mut haben, immer wieder mal auszuscheren. Und da ich nie blitze, war der Umgang mit dem Licht nicht immer einfach. Die Bilder haben dann einfach diese andere Atmosphäre.

Ihre Bilder sind wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Es ist alles vertreten, Politik, Gesellschaft, Arbeiterwelt, Stadtbilder, Kultur, Mode…

Ich habe mich für alles interessiert, und ich glaube, das kann man auch sehen. Es hat mich dazu auch immer interessiert, wie ich fotografisch mit ungewohnten Themen zurechtkomme. Zum Beispiel habe ich auch mal Fußball gemacht oder ich war bei den Leichtathletik-Meisterschaften in Stuttgart, unter strömendem Regen. Bei der Veranstaltung habe ich eine enorme Hochachtung vor den Sportfotografen gekriegt. Das gab es noch keine Digitalfotografie, und unter den Bedingungen dort den richtigen Moment einzufangen war wahnsinnig schwer. Ich habe mich dann gerettet mit komischen Szenen, wenn etwa Sportler in Pfützen lagen.

Barbara Klemm
Barbara Klemm, Blockade der Goethe Universität, 16. Mai 1968. © Barbara Klemm

Die Aufnahmen der Studentenbewegung 1968 eröffnen die Ausstellung. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Diese Bilder waren auch zugleich der Beginn meiner journalistischen Arbeit. Im Jahr 1967 habe ich meinen Mann kennen gelernt, er war Medizinstudent und nahm mich auf Demonstrationen mit. Das fand ich spannend und so kamen die ersten Aufnahmen zustande. Damals hatte ich noch keinen Fotografenvertrag. Ich musste Druckvorlagen für die FAZ herstellen und hab das Fotografieren so nebenher gemacht. Immer wieder hatte ich einen Nachmittag frei und konnte – wenn es sich ergab – etwas Aktuelles machen. Dann habe ich angefangen, die Bilder an verschiedene Zeitungen zu schicken. Erst wurden viele zurückgeschickt, bis irgendwann der Durchbruch kam, der dann bis zum Vertrag bei der FAZ führte.

Barbara Klemm
Barbara Klemm in der Bildedaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 1982. © HMF/Calle Hesslefors

In Zusammenhang mit ihrer Zeit bei der FAZ kommt sehr oft der Name von Wolfgang Haut vor.

Mit ihm habe ich fast dreißig Jahre zusammengearbeitet. Er war zehn Jahre älter, und er hat zehn Jahre früher aufgehört, was ich sehr bedauert habe. Die ganze Zeit sind wir gut miteinander ausgekommen. Bei meinen Eltern zu Hause gab es die Zeitung. Mit 16, 17, 18 Jahren habe ich nur nach Hauts Bildern geschaut und mir gedacht: Sowas würde ich gerne machen! Seine Bilder waren für mich das Tollste. Als ich dann bei der FAZ anfing, hieß es „Helfen sie mal dem Haut“. Dann habe ich für ihn die Bilder vergrößert, kleine Korrekturen gemacht. Als ich dann meine eigenen Bilder vergrößerte, schaute er sie sich an: „Mach da noch ein bisschen dunkler oder hier noch ein bisschen härter“. Und plötzlich kriegten die Bilder einen ganz anderen Halt.

Und sie haben sich auch einen gemeinsamen Arbeitsraum geteilt nicht?

Ja. Wenn wir gleichzeitig da waren, zeigten wir uns immer gegenseitig die Bilder, bevor wir sie in die Redaktion brachten. Weil es wichtig und auch schön ist, dass jemand auf die Bilder schaut, der eine Veranstaltung oder einen Moment nicht selbst erlebt hat. So kann man herausfinden, ob das, was man gesehen hat, nicht nur oben im Kopf stattfindet, sondern auch auf dem Bild zu sehen ist.

Haben sie denn auch die Bildunterschriften mitbestimmen können?

Das war leider immer die Redaktion, da durften wir nicht mitreden. Und manchmal war es ärgerlich, was unter dem Bild stand. Oft waren es politische Aussagen. Meine Hoffnung war, die Leute können etwas sehen und sich ihre eigenen Gedanken machen.

Barbara Klemm Andy Warhol
Barbara Klemm, Andy Warhol vor Goethe im Städel, 1981 © Barbara Klemm

In Frankfurt entstanden auch mehrere ihrer berühmtesten Künstlerportraits, unter anderem das von Andy Warhol. Wie kam es denn zu der Aufnahme?

Mein Mann und ich sind ins Städel gegangen um uns irgendeine Ausstellung anzuschauen. An der Kasse beim Eingang stand eine Gruppe von vier oder fünf Leuten. Ich dachte, das könnte der Warhol seien. Dabei stand Klaus Gallwitz, der damalige Direktor, da habe ich gefragt, ob ich mit der Gruppe gehen könnte. Warhol wollte sich Tischbeins Goethe-Gemälde anschauen. Den Kopf hatte er schon für einen Siebdruck benutzt, aber das Original aber noch nie gesehen. Die Aufnahme ist schwierig zu interpretieren, durch die Hände wirkt er etwas eingeschüchtert. Es ist jedenfalls sehr eindrucksvoll.

Besonders gefällt mir auch das Bild von Hitchcock am Frankfurter Bahnhof.

Von diesem Moment gibt es mehrere Varianten. Seine Selbstinszenierung, wie er da am Hauptbahnhof thronte, war fantastisch. Er kam nach Frankfurt für die Pressearbeit zu seinem Films „Frenzy“. Das war natürlich ein Gewühl, viele Kollegen waren da, man musste Stehvermögen haben und schauen, dass man immer dran bleibt. Plötzlich gibt es dann diesen Moment, in dem sich das Gedränge auflöst und ich eine Chance habe.

Barbara Klemm
Die Fotografin Barbara Klemm vor dem Historisches Museum Frankfurt, November 2023 © Catherine Peter

Bis heute werden sie von keiner Galerie vertreten und kümmern sich um alles selbst.

Ab und zu hatte in Ausstellungen in Galerie, wie vor zwei Jahren Peter Sillem in Frankfurt. Aber ich wollte mich nie binden, ich wollte nie hören „Wir brauchen das“ oder „Ich hätte gerne davon noch“. Limitierte Auflagen habe ich nie gemacht. Fotografie ist eine Vervielfältigung und das Originale daran sind meine selbst gemachten Vergrößerungen. Da wird auch nicht jeder Abzug wie der andere. Ich habe mein Leben lang journalistisch gearbeitet, da gehört die Vervielfältigung einfach dazu.

Service

AUSSTELLUNG

Barbara Klemm – Frankfurt Bilder
Historisches Museum, Frankfurt am Main
9. November bis 1. April 2024

Katalog erschienen bei Steidl, Göttingen

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