Eine Ausstellung des Frankfurter Städel zeigt, wie nördlich der Alpen die Renaissance in Augsburg zur Blüte gelangte und in Basel ihren Triumph feierte
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01.11.2023
Es ist ein irritierendes Doppelporträt: das Bildnis des Augsburger Malers Hans Burgkmair des Älteren und seiner Gemahlin Anna, geb. Allerlay, das sein Schüler Lukas Furtenagel 1529 fertigte. In einem Konvexspiegel, den die Frau in ihrer Rechten hält, haben sich die Eheleute selbst als Totenköpfe erkannt. An der auf die Betrachtenden weisenden linken Hand trägt Burgkmair seinen Siegelring mit der Inschrift „Mors Vincit“: Der Tod siegt. Es ist eine Vanitas Allegorie, deren ursprüngliche Bildfindung wohl auf ein verlorenes Gemälde Burgkmairs selbst zurückgeht; dafür spricht auch die ungeschönte Wiedergabe Annas mit offenem Haar. Jedenfalls ist diese Lindenholztafel unter den Porträts und Ehepaarbildnissen der Zeit einzigartig – als ein der eigenen Memoria dienendes Werk.
Alles beginnt in Augsburg, um das Jahr 1500. In der Reichsstadt sitzen schwer vermögende Kaufleute, allen voran die Fugger. Sie sind die bedeutendsten Finanziers Kaiser Maximilians I., der sich bevorzugt dort aufhält. Das ist auch für die Künstler Augsburgs wichtig; der oberste Herr bevorzugt ihre Fähigkeiten, erteilt ihnen Aufträge für Klöster und Kirchen. Auch die Fugger, besonders Jakob Fugger, genannt „der Reiche“, beteiligen sich an diesem Aufblühen der Künste. Dafür steht die Fuggerkapelle, ein Initialmoment der Renaissance, geschaffen als Memorialort und Grablege der Finanzdynastie. An der Planung und Ausstattung waren – neben dem Nürnberger Albrecht Dürer – Hans Burgkmair und Jörg Breu beteiligt. Breu schuf die Flügelbilder der kleinen Orgel des Prachtbaus, mit ihrem ungewöhnlichen säkularen Thema der Geschichte der Musik.
Diese Orgelflügel sind, wie auch Furtenagels Doppelbildnis, vom 2. November an in der Ausstellung „Holbein und die Renaissance im Norden“ im Frankfurter Städel Museum zu sehen. Rund 130 Gemälde, Grafiken und Skulpturen – dazu ein Reiterharnisch für Maximilian I., den „Letzten Ritter“, von 1485 – legen in der umfangreichen Schau eindrucksvoll Zeugnis ab vom Ineinandergreifen politischer wie pekuniärer Macht und selbstbewusster künstlerischer Repräsentation. Den Parcours kuratiert hat Jochen Sander, Sammlungsleiter der deutschen, holländischen und flämischen Malerei vor 1800 und stellvertretender Direktor des Städel.
In der Ausstellung kommen dabei auch Leben und Werk von zwei Augsburger Kunstschaffenden zur Wiedervorlage: Das sind eben Hans Burgkmair d. Ä. (1473–1531) und Hans Holbein d. Ä. (1465–1524). Es ist eine spannungsreiche Begegnung; die beiden Idealkonkurrenten, die in den Anfängen auch zusammengearbeitet haben, begegnen sich auf Augenhöhe. Beide waren zu ihren Lebzeiten berühmt. An ihrem unterschiedlichen Schaffen lässt sich das Maß des Einflusses der italienischen Renaissance, die Transformation des südlichen Vorbilds auf die eigenständige Adaption nördlich der Alpen ermessen. Burgkmair stand Italien näher, er war sehr wahrscheinlich auch selbst bis nach Venedig gekommen und bediente sich in seinen Werken der für den Norden neuen „welschen“ Formen, etwa Rundbögen statt gotischem Maßwerk. Holbein, der schon bald in den Schatten seines berühmten Sohnes geraten wird, hielt sich näher bei den Niederlanden wie auch der Spätgotik.
Burgkmair, knapp zehn Jahre jünger als Holbein, verlieh seinem vom humanistischen Denken geprägten Selbstverständnis auch in zahlreichen Selbstbildnissen Ausdruck. Wohl bekanntestes Beispiel ist eine Kreidezeichnung von 1517 mit modischer Netzhaube. Albrecht Dürer wird den Kollegen ein Jahr später ähnlich porträtieren. Der Künstler inszeniert sich hier als Bürger im Geiste der Renaissance, die Inschrift auf dem Blatt benennt selbstbewusst Beruf und Alter. Burgkmairs Fähigkeit psychologischer Durchdringung belegt das Halbporträt eines unbekannten jungen Mannes von 1506, der trotz seiner patrizischen Kleidung einen Hang ins Melancholische zeigt. Holbein d. Ä. verharrte länger bei seiner angestammten Domäne, der religiösen Tafelmalerei. Dafür stehen prominent die Flügelbilder und die Predella vom Hochaltar der Frankfurter Dominikanerkirche. Dass aber auch er ein talentierter Bildnismaler war, beweist eine Ahornholztafel um 1509/1510, die vielleicht die Augsburger Patriziertochter Katharina Schwarz anmutig im Rollenporträt als heilige Katharina von Alexandrien darstellt.
Die Kunstfertigkeit des Vaters insistiert dann im Sohn: Das Finale der Schau, der Trumpf der „Renaissance im Norden“, gilt Hans Holbein dem Jüngeren. Er kam 1515 als Geselle nach Basel, wo er schnell erfolgreich wurde. Herzstück ist eines der berühmtesten und schönsten Altmeistergemälde der Welt, die 1526/1528 dort entstandene „Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“, auch „Darmstädter Madonna“ nach ihrem Aufenthaltsort bis 2003 genannt. Sie ist nun wieder in Frankfurt zu sehen, wo sie zuletzt bis 2011 im Städel hing. In jenem Jahr wurde das Andachtsbild von seinen Besitzern, der Adelsfamilie Hessen, verkauft, die, wie es hieß, Geld für fällige Steuern ihrer Hessischen Hausstiftung brauchte.
Seit 2009 hatte es Verhandlungen über den Erwerb für das Frankfurter Museum gegeben, einem privat-öffentlichen Konsortium unter Führung des damaligen Städel-Direktors Max Hollein war es gelungen, 40 Millionen Euro zusammenzubringen. Die Gegenseite brach die Gespräche jedoch ab, man hielt die Summe für zu gering. Schließlich erwarb der Unternehmer Reinhold Würth das Gemälde, der Preis lag vermutlich um 50 Millionen Euro. Als wahrer Segen hatte sich dabei erwiesen, dass das Meisterwerk als nationales Kulturgut Deutschland nicht auf Dauer verlassen darf. Würth zeigt die Schutzmantelmadonna seither in der ehemaligen Johanniterkirche in Schwäbisch Hall.
Weil Würth die kostbare Holztafel nun ausgeliehen hat, findet eine ziemlich einzigartige Begegnung statt. Denn das Städel macht den Vergleich der „Darmstädter Madonna“ mit Holbeins ähnlich großer „Solothurner Madonna“ von 1522 aus dem dortigen Kunstmuseum möglich. Nachdem das Werk dem reformatorischen Bildersturm in Basel 1528/1529 entronnen war, gelangte es in den katholisch gebliebenen Kanton Solothurn. Außerdem kann das Städel aus eigenem Bestand noch Jan van Eycks zierlichere, doch ebenso berückende „Lucca-Madonna“ von 1437 hängen. Dieses Kleinod der Hochgotik ist Beleg dafür, dass Holbein Werke von van Eyck gesehen haben muss.
Von Hans Holbein d. J. sind keinerlei schriftliche Selbstäußerungen überliefert. In seinem Schaffen kulminiert die nordische Renaissance, sein Blick erfasste die Niederlande so gut wie den Süden. Die heute im Louvre aufbewahrte „Felsgrottenmadonna“ von Leonardo da Vinci sah er wohl schon um 1524 in Fontainebleau, als er sich vergeblich um eine Anstellung am Hof des französischen Königs Franz I. bemühte. Als 1529 in Basel die Reformation eingeführt wurde, war seine Lebensgrundlage bedroht. So verließ er die Stadt 1532 Richtung London. Seine Karriere als eminenter Bildnismaler begann am Hof Heinrichs VIII., dessen obere Chargen er porträtierte. Als kleine Pointe hängt daher ganz am Schluss das Profilbildnis des elegant-galanten Landadligen Simon George of Cornwall.