Hier galt Luxus, Überfluss und schöner Schein: Im Barock erlebte das Stillleben in den Niederlanden seine große Blütezeit. Die Gemäldegalerie in Dresden besitzt viele dieser Meisterwerke, kann aber nur wenige zeigen. Jetzt wird die Sammlung erstmals in einer opulenten Ausstellung gewürdigt
Von
24.01.2024
/
Erschienen in
Weltkunst Nr. 223
Glanz und Verfall, Leben und Tod, Genuss und Neid sind hier nicht zu trennen. In verschwenderischer Fülle türmen sich auf einem Tisch einheimische und exotische Früchte, in der Mitte ein gewaltiger Hummer als rot aufglühendes Kraftzentrum. Eine aufwendig zubereitete Pastete, Krebse, Artischocken, Zitronen und gebratenes Federvieh demonstrieren unmissverständlich: Hier mangelt es an nichts. Teure Gläser, ein kostbar schimmernder Buckelpokal und andere Goldschmiedearbeiten, aber auch die achtlos abgelegten Instrumente einer ganzen Musikkapelle zeugen von Reichtum, den der Antwerpener Stilllebenspezialist Adriaen van Utrecht 1647 in fast fotorealistischer Feinmalerei in Szene setzte.
Doch der Luxus hat seine Risse. Weinblätter beginnen zu verwelken, die angeschnittene Zitrone sieht auch nicht mehr so frisch aus. Und was hat das Eichhörnchen mit der angeknabberten Walnuss auf dem Säulensockel hinter der Prunktafel zu suchen? Vorne auf dem Boden liegen abgenagte Hühnerknochen herum. Ob das Schoßhündchen oder die Katze, die sich in Drohhaltung gegenüberstehen, die unappetitlichen Reste hinterlassen haben, ist unklar. Aber die Botschaft ist unmissverständlich: Luxus und Reichtum sind vergänglich, überhaupt alles Leben der Schöpfung.
Die Katze war in der frühen Neuzeit ein Symbol von Sünde und Wollust, der Hund verkörperte animalische Triebe und Gier. Macht man sich erst einmal auf die Suche, dann sind überall im Bild menschliche Tugenden und Untugenden zu entdecken. Quitte und Melonen standen damals für Fruchtbarkeit, die Zitrone für Lebenskraft, Wein und Weintrauben für Wohlstand, aber auch für den christlichen Glauben, denn bei der Eucharistie während des Gottesdienstes bezeugen Brot und Wein die Präsenz von Christi Leib und Blut. Gebildete Menschen des 17. Jahrhunderts waren mit der Symbolik von Tieren und Pflanzen vertraut. Sie konnten neben all der Pracht, die natürlich das zentrale Thema war, die zusätzlichen Bedeutungsschichten lesen.
Wenn uns solche Stillleben selbst in unseren heutigen Zeiten mit all den Bilderfluten aus der Luxuswelt in so verwirrtes Staunen versetzen, dann fragt man sich: Wie haben wohl die Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts auf solche Darstellungen von Reichtum und Überfluss reagiert? Vor allem die Menschen jenseits der höfischen, aristokratischen und großbürgerlichen Welt, die schwer schuften mussten, um überhaupt jeden Tag etwas auf dem Tisch zu haben. Prunkstillleben zielen auf Überwältigung. Man soll große Augen machen, und je fassungsloser die Betrachterinnen und Betrachter schauten, desto mehr freuten sich die reichen Besitzer. Unwillkürlich denkt man an Instagram, wo auch viele Menschen ihr ach so tolles Leben und die Trophäen ihres Erfolgs vorführen.
Überbordend gedeckte Tische, wie sie Frans Snijders, Jan Davidsz de Heem oder Adriaen van Utrecht malten, waren Statussymbole, die zeigen: Seht her, solch eine Tafel voller Köstlichkeiten, mit chinesischem Porzellan und goldenen Pokalen kann ich mir auch in der Realität leisten. Und noch dazu ein so wertvolles Gemälde, das die Natur und die Dinge in verblüffendem Realismus darstellt. In der Dresdner Gemäldegalerie können wir jetzt ausführlich in solchen Bildern schwelgen. Zur Sammlung, die zum größten Teil im 18. Jahrhundert von Kurfürst August dem Starken und vor allem seinem Sohn Friedrich August II. aufgebaut wurde, gehören mehr als 130 Stillleben, die meisten davon flämische und holländische Werke des 17. Jahrhunderts. In der Dauerpräsentation sind davon nur rund 30 zu sehen, der Rest lagert im Depot. Dieses Missverhältnis hat die betreuenden Kunsthistoriker des Hauses schon lange gestört. So entstand die Ausstellung „Zeitlose Schönheit“, die jetzt neun Monate lang 92 Stillleben aus diesem Fundus zeigt.
Die Schau ist ein Bilderfest, aber zugleich verfolgt sie die Entwicklung dieser Gattung, fächert die verschiedenen Typen vom Blumenstillleben über die augentäuschenden Trompe-l’Œil-Darstellungen bis zur Verewigung von Jagdtrophäen auf und verweist auf den wirtschaftlichen, religiösen und kunsthistorischen Kontext. Nachhaltige Museumspolitik ist also gar nicht so schwer, wenn man damit beginnt, die Stärken der eigenen Sammlung auszuspielen, unnötige Reisen von Leihgaben zu vermeiden und längere Laufzeiten als die üblichen drei Monate einzuplanen. Das Publikum dankt es, die Dresdner Stillleben-Ausstellung ist immer gut besucht. Kein Wunder, es gibt ja viel sehen und zu staunen. Und auch ziemlich viel zu lernen.