Vor 150 Jahren wurde mit dem Impressionismus eine neue Kunst geboren. Heute für viele der Inbegriff von Schönheit, galt diese Malerei einst als skandalös. Ausstellungen in Paris und Köln blicken nun auf die Anfänge
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15.03.2024
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 224
Monet, Renoir, Degas, Morisot, Pissarro, Sisley und Cézanne. Muss man noch mehr sagen? Kann ein Artikel über die Erfindung des Impressionismus mit diesen gewaltigen Namen nicht gleich wieder schließen? Was ist noch hinzuzufügen? Dass sie alle in der ersten Impressionismus-Ausstellung im April 1874 im Pariser Zentrum zusammenkamen und bis heute berühmt, begehrt, bewundert sind – das ist fast so, als hätten Ronaldo, Ramos, Iniesta und Messi zusammen Real Barça gegründet, falls Sie verstehen, was ich meine. Als hätten Dürer und Caspar David Friedrich sich in Dresden ein Atelier und Jonathan Franzen und Robert Frost in den USA eine Bibliothek geteilt, als hätte Frida Kahlo Isa Genzken morgens immer zur Arbeit gefahren, will sagen: ein fast unwahrscheinlicher Reigen von Berühmtheit und Exzellenz.
Und doch lohnt es sich, in die frühe Phase des Impressionismus einzutauchen, weil die gewaltige Selbstverständlichkeit und der Glanz der Künstlernamen im Paris der 1870er-Jahre noch gar nicht vorhanden waren. Viel mehr als Talent und eine große Klappe hatten die frühen Impressionisten nicht. Doch, eine Sache war da noch: ein untrügliches Gespür dafür, dass die große Zeit der Historiengemälde, der Ideallandschaft und der romantischen Kunst vorbei war.
Diese Malerinnen und Maler wuchsen in eine Welt des rasanten Städtewachstums hinein, ins Zeitalter der Eisenbahn und der Reproduktion von Sinnlichkeit. Romantische Gefühle? Bürgerlicher Standard! Nachzulesen in Guy de Maupassants Roman „Bel-Ami“ (1885), wo es das Protagonistenpaar in einer stickigen Pariser Sommernacht nach draußen in den Wald treibt: „Ein Heer von Droschken führte ein ganzes Volk von verliebten Pärchen spazieren. Ein Wagen folgte dicht auf den anderen … Man hörte nur das dumpfe Rollen der Räder.“ Doch warum bis zum Wald warten, in Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“ kopuliert die titelgebende Hauptfigur 1857 gleich in einem mit zugezogenen Vorhängen durch Rouen schaukelnden Pferdewagen – der Kutscher wundert sich: „Er begriff nicht, welche Bewegungsgier diese zwei Menschen dazu trieb, nicht mehr anhalten zu wollen. Er versuchte es ab und zu, sogleich aber hörte er hinter sich wütende Rufe.“
Die typischen romantischen Orte und Motive hatten ausgedient, das merkten Künstler wie Monet deutlich. Sie begründeten eine neue Ära der Modernität, der Befreiung der Farbe, der Natürlichkeit des Lichts. Deshalb setzte Monet sich lieber einfach irgendwo an einen Fluss oder eine Wiese, suchte nicht heroische oder besonders liebliche Plätze, sondern fand das Liebliche im Alltäglichen, wie 1873 auf dem „Mohnfeld bei Argenteuil“. Und er setzte als einer der ersten den Dampf der geschwindigkeitsrevolutionären Eisenbahn bildwürdig in Szene, siehe „Der Bahnhof Saint-Lazare“ (1877). Später, als er wohlhabend war, schuf er sich seine eigene Motivwelt; er beschäftigte sechs Gärtner, um seinen Garten mit den Seerosen zu pflegen. Und Édouard Manet, der malte schon seit den 1860ern unmittelbar modern mit Schockwirkung.
Obwohl er 1874 bei der legendären Impressionismus-Ausstellung im ehemaligen Atelier des Fotografen Nadar auf dem Boulevard de Capucines nicht dabei war, war Manet ein echter Vorläufer und Weggefährte dieser neuen Kunst, der prototypische „Maler des modernen Lebens“, so der Titel eines zeitgenössischen Essays des Schriftstellers und Kritikers Charles Baudelaire. Manets „Die Eisenbahn“ von 1873, ein junges Mädchen am Bahnhof, die uns Betrachtende anschaut, als wollte sie uns kennenlernen, während ihre kleine Schwester daneben, so kann man es sich zusammenreimen, mit abgewandtem Gesicht die mächtigen Züge bestaunt: ein Bildausschnitt wie direkt auf dem Perron gesehen, die Leinwand mit echtem Leben belichtet. Oder sein Paar auf einer Bank im „Wintergarten“ (1877), die seelische Spannung zwischen ihnen klirrt wie Eis, das Bild selbst allerdings lässig wie ein Schnappschuss, gleichzeitig fein wie ein mittelalterlicher Konrad Witz, nur ohne Gold, kirchlichen Pomp, ohne historische Aufladung – danke nochmals, Museumsdirektor Hugo von Tschudi, ohne den Berlin so ein Jahrhundertbild gar nicht hätte, sondern nur rasselnde Anton von Werners oder so!