Das K20 in Düsseldorf zeigt erstmals Hilma af Klint neben Wassily Kandinsky, zwei Leitsterne der Abstraktion. Ein Gespräch mit der Direktorin Susanne Gaensheimer und der Kuratorin Julia Voss
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11.03.2024
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 222
Der Impuls kam von Direktorin Susanne Gaensheimer, die Kuratorin Julia Voss griff ihn freudig auf: Mit dem K20 widmet sich erstmals ein Museum dem Dialog von Hilma af Klint und Wassily Kandinsky, zwei Pionieren der abstrakten Kunst. Af-Klint-Biografin Voss wurde kuratorisch von Daniel Birnbaum unterstützt, der das Werkverzeichnis der Schwedin mit herausgegeben hat.
Susanne Gaensheimer: Mit dieser Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen feiern wir quasi ein kunsthistorisches Ereignis. Bisher trafen die Werke af Klints und Kandinskys nur vereinzelt in Gruppenausstellungen aufeinander. Mit insgesamt rund 120 Ölgemälden, Aquarellen, Gouachen und Zeichnungen werden sie jetzt zum ersten Mal innerhalb einer Schau dialogisch gegenübergestellt. Hilma af Klint zählt heute, neben den etablierten Künstlern wie Wassily Kandinsky, zu den Pionierinnen der abstrakten Malerei. Mit dieser Ausstellung gelingt es uns, eine weitere Leerstelle der Kunstgeschichte aufzuzeigen und die Geschichte der Abstraktion aus einer neuen Perspektive zu betrachten.
SG: Das hat mehrere Gründe. Das Nachleben der beiden Künstler:innen hätte nicht unterschiedlicher sein können. Beide starben 1944. Kandinskys Gemälde tourten nach dem Zweiten Weltkrieg um die Welt. Sein Name und die Abstraktion verschmolzen miteinander und begründeten eine Erfolgsgeschichte. Af Klint wurde erst viele Jahrzehnte später wiederentdeckt. Der Sammlungsschwerpunkt der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen lag in den Gründungsjahren auf der abstrakten Malerei, die dem damaligen Kanon entsprach, und Künstlerinnen waren nicht vorhanden. In der Kunstsammlung gab es bei meiner Ankunft 2017 keine der wichtigen Vertreterinnen der Moderne. Aus heutiger Perspektive fehlt af Klint, und genau das ist es, worauf wir mit dieser Ausstellung aufmerksam machen wollen.
Julia Voss: Beide waren in ihrem 45. Lebensjahr, als sie diese Bilder schufen. Sie sind frühe Hauptwerke der Phase, in der af Klint und Kandinsky die akademische Malweise, die sie jeweils gelernt haben, hinter sich lassen und sehr weit in die Abstraktion gehen. Af Klint wirkt organischer, Kandinsky landschaftlicher. Aber beide sind absolut überzeugt davon, dass das, was sie erschaffen, eine Bewegung hin zu einem geistigen Wahrnehmen ist. In beiden Fällen gibt es immer noch Konkretes zu sehen. Bei af Klint erkennt man eine Blume, bei Kandinsky Hügel. Der Maler verstand das als eine Art Köder für den Betrachter.
JV: Ja, er hat dieses Vorgehen thematisiert. In seiner berühmten Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ betont er, dass es noch nicht sinnvoll sei, vollständig abstrakt zu malen. Er spricht von verschleierten Motiven, die Betrachter hineinziehen sollen. Solche gegenständlichen Elemente sind aber auch die Frucht einer intensiven Beschäftigung mit der Kunstgeschichte, die beide betrieben haben. Kandinsky war der Auffassung, dass es in der Geschichte der Kunst immer schon Abstraktion gab. In der Auseinandersetzung mit alten Bibelillustrationen gab er seinen Bildern oft apokalyptische Titel. „Sintflut“, „Auferstehung“ oder „Jüngstes Gericht“. Spuren davon findet man in der „Komposition IV“ von 1911, die er auch „Die Schlacht“ nannte.