Roy Lichtenstein

Siegeszug der Sprechblasen

Seine Comicbilder sind bis heute ein Inbegriff der Pop-Art: Die Wiener Albertina würdigt Roy Lichtenstein mit einer großen Retrospektive

Von Antonia Eggers
06.03.2024

Der Künstler, so erzählt es die Legende, entdeckt den Cartoon auf der Innenseite eines Kaugummipapiers. Auf der einen Seite steht Donald Duck, mit Sprechblase versehen, und ruft aufgeregt: „Schau, Micky, ich habe einen großen Fisch am Haken!“ Hinter ihm lacht sich Micky Maus ins Fäustchen. Denn die Angel leistet nur deshalb Widerstand, weil sie sich in Donalds Mantel verfangen hat. Im Jahr 1961 malt Roy Lichtenstein diese Szene auf einer 1,20 mal 1,75 Meter großen Leinwand nach. Er gibt seinem Werk den Titel „Look Mickey“ und bietet es dem New Yorker Galeristen Leo Castelli an. Der ist begeistert und nimmt es in seinen Ausstellungsraum auf. Im folgenden Frühjahr widmet er dem Maler dessen erste Einzelschau.

Die Albertina in Wien würdigt Roy Lichtenstein mit einer umfassenden Retrospektive

„In diesem Bild imitiert Lichtenstein erstmals den unpersönlichen, grafischen Stil der Comiczeichner“, sagt Gunhild Bauer. Sie ist die Kuratorin der bevorstehenden Retrospektive, mit der das Museum Albertina in Wien Roy Lichtenstein anlässlich seines 100. Geburtstags würdigt. „Look Mickey“, ein Schlüsselwerk der Pop-Art, das heute zur Sammlung der National Gallery of Art in Washington gehört, zählt zu den Highlights der Ausstellung. Präsentiert wird Lichtensteins umfangreiches Œuvre „als Teil einer über 100 Werke umfassenden Schenkung der Roy Lichtenstein Foundation an die Albertina“, so Bauer. Zusätzlich werden Leihgaben aus europäischen und US-amerikanischen Institutionen gezeigt, darunter das New Yorker MoMA und das Whitney Museum oder das Museum Ludwig in Köln. Auch internationale Privatsammlungen schickten Werke.

„Einen besonders wertvollen Schwerpunkt bilden die bekannten Comicmalereien der kurzen Zeitspanne von 1961 bis etwa 1965“

Superman, Captain America und Wonder Woman gehören ab den 1930er-Jahren zur Alltagskultur der USA. Roy Lichtenstein, geboren am 27. Oktober 1923 in New York, wächst mit ihnen auf. „Einen besonders wertvollen Schwerpunkt bilden die bekannten Comicmalereien der kurzen Zeitspanne von 1961 bis etwa 1965“, erzählt Gunhild Bauer. Lichtenstein übertrug die kleinen Cartoons auf wandfüllende Leinwände und benannte sie nach der lautmalerischen Comicsprache: „Whaam!“ (1963) oder „Grrrrrrrrrrr!!“ (1965). Genauso berühmt und ebenfalls Teil der Retrospektive sind seine traurig schönen Blondinen, die sich weinend nach ihren Männern verzehren. Der Künstler ergänzt sie mit Sprechblasen, in denen sich allerlei Sehnsüchte tummeln. „Crying Girl“ von 1963 etwa demonstriert überspitzt: Liebeskummer als das höchste der Gefühle für die Frau der Sechziger.

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