Josėfa Ntjam zeigt zur Biennale in Venedig in der Kunstakademie und im Meeresforschungszentrum ihre Ausstellung „swell of spæc(i)es“. Ein Gespräch über Plankton, die Symbolkraft des Wassers und die Gewalt der Sklaverei
ShareDas Wasser nimmt in meinen Arbeiten viele verschiedene Bedeutungen an und steht unter anderem für Fluidität. Die Geschichte Venedigs und dessen Wasserwege sind allerdings nicht direkt in „swell of spæc(i)es“ eingeflossen, die Bezüge dieser Arbeit stammen aus anderen Quellen. Allerdings sind für mich alle Wassergeschichten miteinander verbunden – und sie sind politisch. In meiner Arbeit ist die Geschichte des Wassers mit der Sklaverei verbunden. Die Nähe zum Wasser hat Venedig wohlhabend gemacht. Wir wissen, dass über diese Stadt viele Sklaven gehandelt wurden. Die Geschichte des Wassers, das diese Stadt umgibt, ist daher von Finanzinteressen und Migration geprägt. Wenn man Migrationsgeschichte kartiert, kann man automatisch verfolgen, wie verschiedenen Mythologien um die ganze Welt reisen. Viele Mythologien sind vom afrikanischen Kontinent in die Vereinigten Staaten gewandert. Und wenn man genau hinsieht, erfährt man dabei etwas über den Horror und die Gewalt der Sklaverei. Ich beziehe mich in meiner Arbeit auf Mami Wata als eine wichtige Gottheit und starke Figur, die gegen die Kolonialmacht kämpfte. Wasser erzählt Geschichten von der Kolonisierung, von der Vertreibung von Menschen und den Methoden der Vertreibung. Gleichzeitig erzählt das Wasser aber auch die Geschichte einer antikolonialen Auflehnung.
Das Projekt beinhaltet viele verschiedene Technologien: Video, 3D-Animation, Künstliche Intelligenz, Fotomontage, Fotogrammetrie, aber auch Wissenschaften, Mythologie und viele weitere Aspekte. Ich hoffe, dass die Studierenden an der Accademia sich von einigen dieser Methoden inspirieren lassen und einen anderen Blickwinkel auf ihre eigene Arbeitsweise finden. Als Künstlerin ist es mir wichtig, neue Räume zu schaffen, und ich hoffe wirklich, dass die Besucher:innen sie als nourriture de l’esprit sehen, als Nahrung für ihren Geist und ihr Denken. Als ich studierte, war eine sehr denkwürdige und entscheidende Ausstellung für mich die von Pierre Huyghe im Centre Pompidou Paris. Er mischte Performance mit Video und Mythologie, es war verrückt. Zwölf Jahre später bin ich sehr stolz darauf, eine Ausstellung zu eröffnen, die ganz in der Nähe von Huyghe’s aktueller Show in der Punta della Dogana zu sehen ist. Ich unterrichte an der HEAD in Genf, und was ich als Künstlerin tue, ist dasselbe wie als Dozentin: ein neues Netzwerk von Referenzen schaffen.
Das Istituto di Scienze Marine ISMAR hat mir den Zugang zu einer enormen Datenbank an Planktonbildern ermöglicht, die von Wissenschaftler:innen mit verschiedenen Methoden aufgenommen wurden. Diese habe ich in meiner Arbeit zur Erstellung der neuen, mythologischen Plankton-Charaktere verwendet. Es ist erstaunlich und selten, Zugang zu diesen Wissenschaftler:innen und ihrer Forschung zu haben. Die Zusammenarbeit mit den Planktonforscher:innen vom ISMAR hat eine neue „Interspecies” hervorgebracht, ein Plankton, das aus einer Mischung von westafrikanischen und zentralafrikanischen Statuen sowie Fotos von echtem Plankton entstanden ist. Die interaktive, KI-basierte App, die wir den Besucher:innen der Biennale im ISMAR präsentieren, generiert fiktives Plankton aus Datensätzen, die Mythologien und echten wissenschaftlichen Datenbanken miteinander verschränken. Es ist etwas Besonderes, die Schauplätze meiner Arbeit auch auf das ISMAR auszuweiten. Es ist ein Beispiel dafür, wie Wissenschaftler:innen und Künstler:innen zusammenarbeiten können, um neue Welten zu schaffen. Ich glaube wirklich, dass die Zusammenarbeit zwischen Kunst, Wissenschaft und Science Fiction neue Möglichkeiten eröffnet.
Josèfa Ntjam: „swell of spæc(i)es“
Accademia di Belle Arti di Venezia
bis 24. November 2024