Indigene Künstler erhalten die wichtigsten Preise der Kunstbiennale. Die Organisatoren setzen damit erneut ein Zeichen. Bei der weltbekannten Ausstellung feiert Venedig Kunst und Kultur
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22.04.2024
Schon bei dem ersten Blick auf das farbenprächtige Gebäude der Hauptausstellung bei der Kunstbiennale in Venedig wird klar, worum es den Organisatoren geht: Zeichen setzen. Eine brasilianische Gruppe, deren Künstler zu dem südamerikanischen indigenen Stamm Huni Kuin gehören, hat die Fassade gestaltet. Was die Biennale beim Betreten der Giardini verspricht, hält sie nun auch bei der Preisverleihung. Indigene Künstler haben am Samstag bei der offiziellen Eröffnung die wichtigsten Preise erhalten.
Die Tore des weltbekannten Kunstereignisses in der norditalienischen Lagunenstadt sind nun für alle Besucher geöffnet. Die Kunstbiennale ist eine der wichtigsten Präsentationen zeitgenössischer Kunst. Zahlreiche kunstinteressierte Besucherinnen und Besucher werden von nun an dort erwartet. Die Ausstellung ist bis zum 24. November geöffnet.
Bei der Preisverleihung am Samstag wurden der Australier Archie Moore und die neuseeländische Künstlergruppe Mataaho Collective von der internationalen Jury mit zwei Goldenen Löwen ausgezeichnet. Bei ihren Arbeiten beschäftigen sie sich mit der Geschichte und den Traditionen der Ureinwohner Australiens und Neuseelands. Insbesondere das Gefühl des Fremdseins, das Indigene in ihren eigenen Ländern häufig verspüren, nimmt bei ihnen eine herausragende Stellung ein.
Der Andrang zu den Ausstellungen von Moore und dem Mataaho Collective hielt sich in den vergangenen Tagen, als die Biennale schon für ein Fachpublikum und die Presse geöffnet war, in Grenzen. Das änderte sich jedoch schlagartig nach der Verleihung der Goldenen Löwen an sie. Lange Schlangen bildeten sich in den Giardini und im Arsenale.
Die Arbeiten von Moore und dem Mataaho Collective fügen sich in das Motto der Hauptausstellung der Biennale ein. Unter dem Titel „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“ (zu Deutsch: „Fremde überall“) befasst diese sich mit Fremdheit und marginalisierten Gemeinschaften. Auch die Themen Migration und Exil stehen dabei im Fokus, wie der Kurator der Hauptausstellung, Adriano Pedrosa, sagt.
Unter dem Titel „kith and kin“ (zu Deutsch aus dem Mittelenglischen etwa: „Freunde und Familie“) gestaltete Archie Moore den australischen Pavillon. Er erhielt den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag. In seiner Ausstellung in den Giardini beschäftigt sich Moore mit der Geschichte der Aborigines, zu denen er selbst gehört: An den Wänden und der Decke der Ausstellung ist handschriftlich mit Kreide ein Stammbaum aufgezeichnet.
Er ist Nachfahre zweier Stämme der Ureinwohner Australiens – den Kamilaroi und Bigambul. Der aufgezeichnete Stammbaum ist sein persönlicher. Er reicht Jahrhunderte zurück und umfasst fast 3500 Personen. Mit seinem Projekt wolle er frühere Familienmitglieder in die Gegenwart und Zukunft bringen, wo sie menschlicher behandelt würden, so Moore. So will er die Unterdrückung der Aborigines durch europäische Siedler anprangern.
„Wir sind alle eins und tragen gemeinsam die Verantwortung für alle Lebewesen – jetzt und in der Zukunft“, sagte Moore bei der Preisverleihung. Die Menschheit – egal zu welchem Volk oder Stamm gehörend – sei immer unausweichlich verbunden und müsse sich die Erde teilen.
Den Preis für den besten Künstler erhielt das Mataaho Collective. Die Künstlergruppe besteht aus vier Maori-Frauen. Als Maori werden die Ureinwohner Neuseelands bezeichnet. Im Arsenale zeigen die vier Künstlerinnen großformatige Faserinstallationen, die sich mit den Feinheiten des Lebens und den Wissenssystemen der Maori befassen.
Die vier Künstlerinnen Bridget Reweti, Erena Baker, Sarah Hudson und Terri Te Tau arbeiten bereits seit geraumer Zeit an ihren Faserinstallationen. Sie knüpfen damit an die Maori-Tradition des sogenannten Takapau an. Takapau ist eine fein gewebte Matte, die bei Zeremonien, insbesondere Geburten, verwendet wird. Takapau markiert den Moment der Geburt und steht für den Übergang zwischen Licht und Dunkelheit, wie sie erklärten.
Sie bedankten sich bei Kurator Pedrosa dafür, dass er so viele indigene und queere Stimmen auf dieser Biennale zu Wort kommen lasse. „Es ist wichtig, in Venedig eine Plattform zu haben, um sich auszudrücken“, sagte Baker.
Bei der 60. Ausgabe der Kunstbiennale Venedig stellen in verschiedenen nationalen Pavillons indigene Künstler aus. In dem Pavillon der USA präsentiert sich etwa erstmals ein Native American mit einer Soloschau. Jeffrey Gibson gehört den Cherokee an – dem heute größten noch existierenden indigenen Volk Nordamerikas. Der grönländische Künstler Inuuteq Storch vertritt Dänemark und Glicéria Tupinambá zeigt im brasilianischen Pavillon in den Giardini ihre Arbeiten.
Am Samstag wurden noch weitere Künstler ausgezeichnet. Den Silbernen Löwen für den besten Nachwuchskünstler erhielt Karimah Ashadu, die in Hamburg und Nigeria lebt. Die italienisch-brasilianische Malerin und Bildhauerin Anna Maria Maiolino sowie die türkische Grafikerin und Fotografin Nil Yalter erhielten den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.
Kurator Pedrosa hat 330 Künstler aus verschiedenen Ländern eingeladen. Daneben sind mehr als 80 Länder mit eigenen nationalen Beiträgen Teil der Biennale. Im Deutschen Pavillon in den Giardini stellen die israelische Künstlerin Yael Bartana und der Berliner Theaterregisseur Ersan Mondtag aus. Weltpolitik und Kriege überschatteten die Biennale: Der israelische Pavillon etwa blieb geschlossen. Die Künstlerin wolle erst öffnen, wenn es im Gaza-Krieg einen Waffenstillstand gibt und die Hamas-Geiseln befreit sind. (Robert Messer, dpa)