Das Ludwig Museum for Contemporary Art in Budapest zeigt rund 80 Aufnahmen des renommierten Musikers und Fotografen Till Brönner
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15.04.2024
Bitte nicht schon wieder ein Doppeltalent, mag mancher gedacht haben, als sich Till Brönner vor Jahren als Fotograf outete. Begabungen sind in den seltensten Fällen ausbalanciert – und man wünscht sich oft ein bisschen mehr Einsicht von Prominenten in ihre kreativen Grenzen. Bei Brönner ist das nicht der Fall. Der Top-Jazztrompeter hat auch ein famoses Auge, seine Porträts bekannter Gesichter sind ebenso intensiv wie jene von Zechenkumpels, Fußballfans im Ruhrpott oder Kindern, deren Verletzlichkeit stets durchscheint.
Brönner kommt aus der Nähe von Düsseldorf, seine Affinität zur Region hat er schon in der Serie „Melting Pott“ bewiesen und die Bilder 2019 im Museum Küppersmühle ausgestellt. Ein Jahr lang war er mit Unterstützung der Essener Brost-Stiftung im Ruhrgebiet unterwegs, nahm Autobahnbrücken, Grillstuben, vor allem aber Menschen in den Fokus. Ihre kulturelle, unbedingt bereichernde Vielfalt stiftete ihn dazu an, seine Recherchen auszudehnen. „Melting Pott Europe“ hieß das nächste Projekt, das im Ludwig Museum Koblenz zu sehen war.
Die jüngste Ausstellung hat soeben im Budapester Ludwig Múzeum eröffnet, begleitet wird sie von Vorträgen und einem Musikprogramm. „Identity – Landscape Europe“ nimmt den europäischen Faden wieder auf und verbindet ihn mit der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Ungarns.
Kein leichtes Thema angesichts der politischen Verwerfungen im Land, das vor immerhin zwei Jahrzehnten Mitglied der Europäischen Union wurde. Brönner wird mit seinen 80 schwarz-weißen Fotografien, darunter zahlreiche neue Motive, ein bisschen zum Stachel im Fleisch. Seine Motivation, der europäische Gedanke, appelliert bei allem augenscheinlich Trennenden an das gemeinsame kulturelle Kapital, das es zu schätzen und zu bewahren gilt. Das gilt nicht zuletzt für „Vater und Sohn“, denen der Künstler dieses Jahr im „Ukraine Ankunftszentrum“ in Tegel begegnet ist. Zwei Generationen, die der russische Angriffskrieg aus ihrer Heimat vertrieb und nach Berlin brachte: entwurzelt, aber doch in der Hoffnung auf eine würdige Aufnahme.
Brönner bleibt divers und differenziert mit Sympathie für alle Seiten. Er stellt unberührte Landschaften neben urbane Szenerien und ergänzt seine Eindrücke um Porträts von Ai Weiwei, Bernard Venet oder Olafur Eliasson, deren Kunst nicht zuletzt zwischen Kulturen vermittelt. In Zeiten, die verbal hemmungslos aufrüsten und überall feindliche Einflüsse ausmachen wollen, ein Hoffnungsschimmer. Man kann Brönner dankbar für sein visuelles Engagement sein.