Das Bauhaus Museum in Dessau zeigt zwei Videoarbeiten des französischen Künstlers Clément Cogitore, die die Beziehung zwischen Gemeinschaft, Körpern und Bewegung erkunden
ShareDumpf und bedrohlich hallen die Paukenschläge durch den schwarzen Raum. In seiner Mitte pulsiert eine Menschenmasse. Die Körper bewegen sich langsam zum Takt der Musik, Stimmfetzen und das Rascheln von Kleidung sind zu vernehmen. Ein Mann beginnt zu tanzen, nach und nach bildet sich ein tosender Kreis aus Leibern um ihn herum. Als dann eine Melodie erklingt, fängt der Tänzer an, Arme und Beine expressiv durch die Luft zu schwingen. Blitzartig lässt er seinen Oberkörper in die Höhe schnellen, stampft laut mit den Füßen auf den Boden.
„Krumping“ bezeichnet eine tänzerische Form des Protests gegen soziale Missstände. Entstanden in den Neunzigerjahren in den Vororten von Los Angeles, bot der Tanzstil der dort lebenden afroamerikanischen Bevölkerung Möglichkeiten Frust abzubauen sowie die Spannung und Gewalt auszudrücken, die nach der Niederschlagung der Rodney King Riots in den Vierteln herrschte.
In seiner Videoarbeit „Les Indes Galantes“ aus dem Jahr 2017 zeigt Clément Cogitore Krump-Tänzerinnen und -Tänzer, die zu Jean-Phillipe Rameaus gleichnamiger Ballettoper aufbegehren. Die Uraufführung des Werkes fand im August 1735 in der Pariser Académie royale de musique statt. Es war nicht nur die schöne Barockmusik, sondern auch der stark visuelle Ansatz der Ballettoper, die Liebesgeschichten aus „exotischen“ Ländern erzählt, die Cogitore dazu inspiriert haben, das Werk neu zu inszenieren. Gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern sowie den Choreografinnen und Choreografen hinterfragt der Künstler das heutige Erbe der Geschichte, dessen Text fest in einer kolonialen Weltvorstellung verankert ist. Durch den bestimmten, teils wütenden Tanz entfaltet sich dabei eine kathartische Wirkung. Die Kamera führt mitten durch die Menge und das Publikum hat das Gefühl, Teil der tanzenden Gruppe zu sein.
Das fünf Minuten lange Video wurde auf der digitalen Plattform der Opéra Garnier „3e Scène“ veröffentlicht. Im Jahr 2019 inszenierte Cogitore dann die gesamte Oper auf der Bühne und vor Publikum. Der Filmemacher, dessen Werk sich zwischen Kino und zeitgenössischer Kunst verorten lässt, erzählt im Gespräch: „Ich fühle mich nur wie ein Besucher in der Opernwelt.“ Besonders fasziniert habe ihn damals die Kraft auf der Bühne, die während der Aufführung entstanden ist.
Die Kraft des Kollektivs brodelt auch in Cogitores zweitem Video, das Teil seiner Ausstellung „Bodys in Sync“ im Bauhaus Museum in Dessau ist. Im Gegensatz zu „Les Indes Galantes“ ist das Bild in „Morgenstraich“ statisch. Clément Cogitore wurde 1983 im Elsass geboren, die Rituale der Basler Fastnacht, die größte Fastnacht in der Schweiz, sind fest in seinen Kindheitserinnerungen verankert. Der Umzug, der am Montag nach Aschermittwoch um 4 Uhr morgens beginnt, läutet die Karnevalszeit mit schrillen Pfeifen und Trommelschlägen ein. Alle Lichter der Stadt sind erloschen, wenn die sogenannten Cliquen in bunten Kostümen und Masken durch die Straßen marschieren.
Schon immer habe er dieses Spektakel filmen wollen, erzählt Cogitore. Als dann im Jahr 2020 alles für die Aufnahmen bereitstand, war der Morgenstraich eines der ersten Großevents, dass auf Grund der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Zwei Jahre später produzierte er schließlich das Video „Morgenstraich“ für die Lyon Biennale. Es wurde jedoch nicht wie ursprünglich geplant auf der Straße gedreht, sondern im Studio. Für das Projekt hat Cogitore zwei Basler Fastnacht-Cliquen eingeladen mit ihm zusammenzuarbeiten. Die Gruppen laufen der Kamera auf einem riesigen unsichtbaren Laufband entgegen, dabei wird musiziert, auf den Köpfen leuchten bunte Laternen. Wieder ist die Musik die kontinuierliche Kraft, die die Körper vorwärtstreibt. Vier Minuten lang marschiert die Gruppe durch die Dunkelheit. Die traditionellen Karnevalsprozessionen entstanden einst aus religiösen Ritualen und dienten im Mittelalter zur Abwehr von Epidemien. Noch heute manifestieren sie alte Spannungen in der Gesellschaft.
In Dessau werden nun diese beiden Videos im Wechsel auf zwei große Plexiglasflächen projiziert. Das Publikum steht zwischen den durchsichtigen Wänden in einem dunklen Raum und sieht die Protagonistinnen und Protagonisten der Filme in Lebensgröße vor sich stehen. Die Inszenierung scheint wie ein Frage-Antwort-Spiel, bei dem die Werke in Dialog miteinander treten. Doch am Ende bleibt offen, welches Video die Frage und welches die Antwort ist.
Clément Cogitore pendelt zwischen Berlin und Paris, wo er an der Ecole des Beaux Arts de Paris unterrichtet. Seine Videos liefen bereits im Programm der Filmfestspiele in Cannes und sind Teil institutioneller Sammlungen wie dem Centre Pompidou und dem Musée d’Art moderne et contemporain de Strasbourg. Wer versucht die filmischen Arbeiten des Künstlers auf Social-Media-Plattformen zu finden, wird vergeblich suchen. Cogitore hat sich bewusst dazu entschieden, soziale Medien nicht für seine Kunst zu nutzen, denn er möchte, dass seine Videos auf der großen Leinwand erlebbar werden und nicht im Miniaturformat auf dem Smartphone. Die Videoarbeiten sollen physische Erfahrung mit sich bringen. Denn erst durch das richtige Licht, guten Ton und ein großes Bild wird es möglich, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer gänzlich in das Geschehen eintauchen.
„Clément Cogitore. Bodies in Sync“
Bauhaus Museum Dessau
bis 2. Februar 2025