Interview mit Kathleen Ryan

„Es hat etwas Viszerales, den Raum mit einem Objekt zu teilen“

Eine Einzelausstellung in Hamburg zeigt Kathleen Ryans monumentale Skulpturen von verfaultem Obst. Wir sprachen mit der Künstlerin über Lebensmittelverschwendung, Verfall und Vergänglichkeit

Von Antonia Eggers
13.05.2024

Die Weintrauben in Ihren Arbeiten sind aus schwerem Beton gegossen, die Schale einer Melone ist aus einem demontierten Airstream-Wohnmobil gefertigt, die Oberfläche einer Zitrone mit Hunderten von Edelsteinen nachgebildet: Für Ihre Skulpturen wählen Sie Materialien, die oft im Widerspruch zur Natur der Objekte stehen. Was hat es damit auf sich?

Dieser Konflikt oder die Spannung zwischen dem, was man erwartet, was man assoziiert, und dem, was man vorfindet, ist für meine Arbeit sehr wichtig. Ich interessiere mich für diesen Bruch auf mehreren Ebenen: das Material betreffend, die skulpturale Form und das Bild oder die Sache, die das Objekt repräsentiert.

„Bad Melon“ (2020), Installationsansicht in der François Ghebaly Gallery, Los Angeles, 2020
„Bad Melon“ (2020), Installationsansicht in der François Ghebaly Gallery, Los Angeles, 2020. © Kathleen Ryan / Courtesy the artist and and François Ghebaly, Foto: Jeff McLane

Ihre erste Überblicksausstellung wird am 17. Mai in der Hamburger Kunsthalle eröffnen. Was können wir erwarten?

Ich werde eine Auswahl von 30 Skulpturen aus den letzten zehn Jahren zeigen. Die ältesten habe ich in der Kunstschule gemacht, und die neuesten habe ich gerade letzte Woche fertiggestellt. Kurator Jasper Sharp und ich haben Werke aus all meinen verschiedenen Serien ausgewählt, aber auch einzelne Arbeiten, die die Entwicklung meiner Ideen und Formen zeigen. Es wird Keramikvögel, schlechtes Obst, Betonballons, Bowlingkugel-Perlen, Werkzeuge, Autos, Gänseblümchen, Kristallkugeln und Austern geben. Ich habe es vermieden, an der Wand zu arbeiten: alles steht entweder auf dem Boden oder hängt von der Decke herab.

„Daisy Chain“ (2021)
„Daisy Chain“ (2021). © Kathleen Ryan / Courtesy the artist and Karma, Foto: Lance Brewer

Sie schaffen Ihre Skulpturen aus gesammelten und wiederverwendeten Materialien. Wo finden Sie diese?

Überall – auf der Straße, auf Schrottplätzen, in Gebrauchtwarenläden, bei eBay, Craigslist, Facebook Marketplace, im Grunde überall dort, wo Menschen Dinge loswerden, die sie nicht mehr wollen. Manchmal suche ich ein bestimmtes Objekt, weil ich eine bestimmte Idee dafür habe, und manchmal stolpere ich über etwas, das mich anspricht, wie zum Beispiel eine Motorhaube. Wenn ich etwas zufällig finde und nicht sofort weiß, was ich damit machen soll, nehme ich es mit ins Atelier und lasse es eine Weile in Ruhe. Manchmal integriere ich ein Fundstück erst Jahre später in eine Skulptur.

Wie setzen Sie danach den kreativen Prozess für eine Skulptur fort, welche Techniken und Werkzeuge bevorzugen Sie?

Das hängt von der jeweiligen Arbeit ab. Oft wähle ich eine bestimmte Technik, weil meine Idee für die Skulptur sie erfordert, oder ich probiere verschiedene Ansätze aus, bis es Klick macht. Im Allgemeinen geht es um das Sammeln, Arrangieren, Nebeneinanderstellen und Experimentieren. Vielleicht bringe ich mir unterwegs eine neue Technik oder die Verwendung eines bestimmten Werkzeugs bei, aber hauptsächlich möchte ich von Anfang mit meinen Hände arbeiten.

„Generator II“ (2022)
„Generator II“ (2022). © Kathleen Ryan / Courtesy the artist and Karma, Foto: Lance Brewer

Wie sehen Sie die Rolle der Skulptur in der zeitgenössischen Kunstszene?

Für mich hat es etwas Viszerales, den Raum mit einem Objekt zu teilen. Ich habe einen stärkeren Bezug zur Skulptur, weil sie wie ich einen Körper hat – sie ist aus denselben Dingen gemacht, aus denen die Welt besteht.

Ihre Serie „Bad Fruits“ besteht aus Skulpturen in Form von verschimmelten Früchten. Welche Rolle spielt die Vergänglichkeit in Ihrer künstlerischen Arbeit und was hat Sie dazu inspiriert, sich künstlerisch mit dem Prozess des Verfaulens auseinanderzusetzen?

Ich bin zuerst auf das Material gekommen – ich war daran interessiert, mit Edelsteinperlen zu arbeiten, und sah die Fäulnis als Gegenstück zu den Steinen, als eine Möglichkeit, etwas kulturell und materiell Wertvolles für etwas zu verwenden, das als abstoßend oder abscheulich gilt. Die Ideen von Edelsteinen und Schimmel sind zwar gegensätzlich, aber sie ähneln sich. Deshalb funktioniert es. Themen wie Geburt, Verfall, Tod oder Zeit tauchen in meiner Arbeit immer wieder auf, aber bei den „Bad Fruit“-Skulpturen geht es mehr um materielle und assoziative Gegensätze und Spannungen.

„Bad Cherries“ (2021)
„Bad Cherries“ (2021). © Kathleen Ryan / Courtesy the artist and Karma, Foto: Lance Brewer

Sie leben und arbeiten heute in New York. Wie können wir uns Ihr Atelier und die Umgebung, in der Sie Ihre Skulpturen schaffen, vorstellen?

Seit 2019 befindet sich mein Atelier in einem Lagerhaus in Jersey City, New Jersey, in einem Viertel mit Blick auf den Hudson River und Lower Manhattan. Das Gebäude wurde im neunzehnten Jahrhundert als Sodafabrik genutzt.

„Bad Melon (Big Chunk)“, Detail, 2020
„Bad Melon (Big Chunk)“, Detail, 2020. © Kathleen Ryan / Courtesy the artist and and François Ghebaly, Foto: Jeff McLane

Wie wichtig ist es für Sie, dass Ihre Kunstwerke auch eine Diskussion über Themen wie Verfall, Lebensmittelverschwendung oder Vergänglichkeit anregen?

Ich denke, einer der Gründe, warum die Werke von „Bad Fruit“ so viel Anklang finden, ist, dass sie Themen berühren, die den Menschen wichtig sind – Lebensmittelverschwendung, Klimawandel, Alterung, Tod – sie sind in den Köpfen vieler Menschen präsent. Ich hoffe, dass dies eines der vielen Dinge ist, über die die Leute nachdenken, wenn sie die Arbeiten betrachten.

Service

Ausstellung

KATHLEEN RYAN,

Hamburger Kunsthalle,

17. Mai – 11. August 2024,

www.hamburger-kunsthalle.de

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