Maarten van Heemskerck zeichnete voller Bewunderung die antike Kunst in der Ewigen Stadt. Eine Berliner Schau zeigt diesen grafischen Schatz
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25.06.2024
Seit Jahrhunderten strömen Künstlerinnen und Künstler nach Rom. Sie ließen sich von den überall sichtbaren Spuren der Antike inspirieren, malten und zeichneten die Ruinen, schulten sich an der Naturnähe der Skulpturen, studierten die Proportionen der Säulen und Fassadenreste und betrachteten fasziniert die aufwendigen Dekorationen der Kapitelle und andere Baudekorationen. Nicht zuletzt stimulierte sie das klassische Pathos der mythologischen Szenen auf Reliefs, Sarkophagen oder monumentalen Bildträgern wie der Trajanssäule. Die große Sensation war 1506 die Wiederentdeckung der dramatisch verschlungenen Laokoon-Gruppe. In der Renaissance und im Barock wurde Rom wieder zum lebendigen Kunstzentrum. Unter dem Patronat der Päpste und adeliger Magnaten trieben die bedeutendsten Maler, Bildhauer und Architekten die Kunst zu immer neuen Blüten, zogen neben dem Vorbild der Antike die jüngsten Meisterwerke von Raffael, Michelangelo, Caravaggio, Bernini und all den anderen bis hin zu Canova die Kunstschaffenden aus zahlreichen Ländern in die Ewige Stadt.
Eine sehr schöne Ausstellung in Berlin erinnert jetzt an einen der Ersten, der nicht im Gefolge oder im Auftrag eines Herrschers nach Rom kam, sondern aus eigenem Antrieb eine reine Künstlerreise zum Studium der Antike unternahm. Maarten van Heemskerck war 34 und hatte sich als Maler im holländischen Haarlem schon einen Namen gemacht, als er 1532 den Weg nach Rom antrat. Er blieb bis 1536 oder 1537 und war ungeheuer produktiv. „Er hat seine Zeit auch nicht verschlafen, noch bei den Niederländern mit Saufen und dergleichen totgeschlagen, sondern eine große Menge von Dingen, sowohl antike Bildwerke als auch Schöpfungen Michelangelos abgezeichnet. Auch zeichnete er viel Ruinen und sonstige zu Beiwerk verwendbare Dinge sowie allerlei hübsche antike Einzelheiten, die in dieser Stadt im Überfluss zu sehen sind“, schrieb der Kunstschriftsteller Karel van Mander, der in Haarlem noch Zeitgenossen Heemskercks antraf, 1604 in seinem „Schilder-Boeck“ („Maler-Buch“), einer Sammlung von Künstlerbiografien.
Es gibt kaum andere Schriftquellen zu Heemskercks Rom-Aufenthalt als Karel van Manders Schilderung. Das wichtigste Zeugnis ist das, was er dort schuf: mehr als 200 Zeichnungen, von denen 179 auf 94 meist beidseitig genutzten Blättern im Berliner Kupferstichkabinett bewahrt werden. Dieser Schatz, 1879 und 1892 angekauft, ist seit Langem berühmt und vor allem für Archäologen und Erforscher der römischen Stadtentwicklung eine frühe und reichhaltige Bildquelle. Um den Künstler Maarten van Heemskerck ging es dabei selten. Erst die Kunsthistorikerin Tatjana Bartsch widmete vor einigen Jahren seiner zeichnerischen Methode eine dicke Studie. Hinzu kam, dass 2023 die Blätter aus dem „Album I“ herausgenommen wurden, weil sie dort konservatorisch nicht mehr adäquat aufbewahrt waren. Das ermöglichte eine intensive Erforschung der Zeichentechnik und jetzt erstmals, alle Zeichnungen nebeneinander aus Heemskercks Skizzenbuch im Original auszustellen. In einer eleganten Stahlgerüst-Rotunde lassen sich die 66 Blätter auf beiden Seiten bewundern. Hinzu kommen das „Album II“, das jede Woche umgeschlagen wird, um andere Ansichten Heemskercks zu zeigen, sowie seine Zeichnungen aus anderen Sammlungen.
So ausführlich wie noch nie ist jetzt zu erleben, wie der Mann aus Haarlem dem Zauber der Antike verfiel, wie er begierig – und um offenbar einen möglichst großen Motivfundus zurück mit in den Norden zu nehmen – die Ruinen isoliert und in der Stadttopografie festhielt, wie er architektonische Details akribisch aufnahm, Ansichten des Kolosseums, der Caracalla-Thermen oder anderer Stätten anfertigte. Am meisten war er aber von den römischen Skulpturen mit ihren Idealleibern fasziniert. Selten zeigt er sie ganz, sondern er geht mit dem Fokus nahe an den Torso, das Hinterteil, die Beine, Füße oder Hände. Auch Pferdestatuen nähert sich Heemskerck mit dieser Nahsicht.
Oft hat man den Eindruck, als wolle er den Marmor zum Leben erwecken. Vor allem wenn er den Rötelstift mit seinem warmen, sinnlichen Farbton verwendet, meint man, reale Körperteile vor sich zu haben. Was Heemskerck von den antiken Bildhauern lernte, ist in den ausgestellten Gemälden von ihm zu sehen, die er mit nackten Figuren in voller Muskelpracht bevölkert. Auffällig ist, dass er seine Körperstudien vor allem an männlichen Statuen betrieb. Weibliche Nacktheit spielt kaum eine Rolle.
Heemskerck scheint stolz auf seine authentische Rom-Erfahrung gewesen zu sein. Auf seinem Panorama des Forum Romanum setzte er an der prominentesten Stelle zwischen zwei Tempelsäulen seinen Namen. Es gibt eine ganze Reihe solcher wohlkomponierter Veduten, von einzelnen Bauten, von Ruinenanlagen, Stadtteilen oder Blicken über die Hügel Roms, auch aus den Häusern damaliger Sammler von antiker Kunst. Diese besonders aufwendigen Ansichten waren als Repräsentationszeichnungen womöglich für den Verkauf an Sammler gedacht.
Heemskerck zehrte bis zu seinem Tod 1574 in Haarlem von den Eindrücken in Rom, die er in seinen Zeichnungen immer vor Augen hatte. Er konzipierte erfolgreiche druckgrafische Zyklen zu unterschiedlichen Themen, in denen sich überall Erinnerungen an das Erlebnis der Antike finden. Das macht die Ausstellung ebenso anschaulich wie der Einfluss seiner Zeichnungen, die unter nachfolgenden Künstlergenerationen zirkulierten. So ging es in der Kunst jahrhundertelang, bis zum Anbruch der Moderne: einmal Rom, immer Rom.
„Faszination Rom. Maarten van Heemskerck zeichnet die Stadt“,
Kupferstichkabinett im Kulturforum, Berlin,
bis 4. August