Neue Sachlichkeit in Wien, italienische Goldschmiedekunst in Hannover und ephemere Lichtskulpturen in London – unsere Ausstellungstipps für August
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30.07.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 230
Leopold Museum, Wien, bis 29. September
Richtig, die Erfindung des Stilrichtungsetiketts Neue Sachlichkeit jährt sich erst 2025 zum hundertsten Mal. Aber im Wettbewerb um die beste Jubiläumsgelegenheit muss es halt auch die Frühstarter geben. Hier ist es das Leopold Museum, das neusachliche Meisterwerke zusammenholt, darunter Christian Schads „Selbstbildnis mit Modell“ (1927) aus der Londoner Tate, Georg Grosz’ „Grauer Tag“ (1921) aus der Berliner Nationalgalerie oder Hans Grundigs „Schüler mit roter Mütze“ (um 1925–1928), ausgeliehen von einer Privatsammlung.
Berlinische Galerie, bis 14. Oktober
Was ist exotischer – ein Reiter am westafrikanischen Palmenstrand oder eine weggeworfene Toilettenschüssel unter einem Straßenbaum in Berlin-Neukölln? Die Antwort auf diese Frage hängt, natürlich, stark von der eigenen Perspektive ab. Bemerkenswert an Akinbode Akinbiyi ist, dass er alle Blickwinkel gleichermaßen gut zu beherrschen scheint – und deshalb unsere Vorstellung des „Fremden“ konsequent auf den Kopf stellt. Als Wanderer zwischen Ländern und Kontinenten fallen dem 1946 in Oxford geborenen Fotografen nicht nur in seiner einstigen Heimatstadt Lagos reizvolle Motive auf („Lekki Peninsula, Lagos, November 2002“, aus der Serie: „Black Spirituality“). Mit genauso wachem Auge schaut er auch auf Berlin, wo er seit den Neunzigerjahren lebt. Ja, selbst von Hannover hat Akinbiyi schon interessante Bilder gemacht.
Tate Modern, London, bis 27. April 2025
Das Werk „Line Describing a Cone“ des Engländers Anthony McCall aus dem Jahr 1973 fällt in die Kategorie „Unvergesslich“: In einem dunklen Raum rattert ein Filmprojektor. An der Wand leuchtet ein projizierter Punkt, der sich langsam zu einer gekrümmten Linie erweitert, die im Verlauf einer halben Stunde einen Kreis beschreibt. Die Dunkelheit ist mit einem anfänglich kaum wahrnehmbaren Nebel gefüllt – dieser reflektiert den Projektorstrahl ebenfalls, sodass sich der Lichtkreis an der Wand zu einem Kegel erweitert, der im Raum schwebt. Die Interaktion des staunenden Publikums mit den ephemeren Lichtskulpturen dieser Überblicksschau gehören zum Zauberhaftesten, was die Kunst an Anblicken bereithält.
Landesmuseum Hannover, bis 1. September
Als sich im 19. Jahrhundert die modernen europäischen Nationalstaaten ausdefinierten, suchten diese auch nach ihren identitären Wurzeln. In Italien blickte man auf die Etrusker, jene frühe Hochkultur also, in deren Einflussbereich einst die Stadt Rom entstanden war. Ein passionierter Sammler etruskischer Antiken war der Goldschmied Augusto Castellani (1829–1914), der die Werke des Altertums auch als Inspiration für eigene Kreationen nahm. Der gezeigte goldene Armreif mit einem Mikromosaik und den griechischen Inschriften „Psyche“ und „Eros“ ist beispielsweise eine Schöpfung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Castellani, der auch mit Antiken handelte, vermachte seine 6000 Objekte zählende Sammlung dem italienischen Staat. Viele schöne Stücke, darunter Keramiken oder goldene Fibeln, sind jetzt in Hannover zu sehen.
Albertinum, Dresden, bis 8. September
Den Beweis, dass das Ähnliche nicht automatisch das Gleiche ist, tritt Gerhard Richter in Dresden an. Dort sind dem Maler im Albertinum zwei dauerhafte Räume gewidmet, die jetzt über den Sommer mit einer Sonderausstellung zu Richters Auflagenwerken bespielt werden. Diese sind tatsächlich sehr variantenreich: Neben verschiedenen Anordnungen von 1260 Farbfeldern oder Fotografien von unterschiedlichen kanarischen Landschaften sind auch schemenhafte Abstraktionen wie „November (Edition 156)“ von 2008/2012 zu bewundern.
Museum Frieder Burda, Baden-Baden, bis 3. November
Wie der white cube attraktiv Moos ansetzen kann, zeigt die südafrikanische Künstlerin Bianca Bondi, indem sie Naturmaterialien ins Museum Frieder Burda hineinträgt und diese mit eigenen Wandteppichen und Tapeten zu einer Rauminstallation mit dem Titel „Salt Kisses My Lichens Away“ kombiniert. Unsere Umwelt spielt auch im Œuvre des Brasilianers Ernesto Neto eine Rolle, der mit dem Werk „Blue Tree“ (2024) aus handgehäkelten Baumwollstoffen und duftenden Kräutern eine Abenteuerhöhle für die Sinne schuf. Oder beim Amerikaner Sam Falls, der eine chemisch präparierte Leinwand im Schwarzwald auslegte, damit diese mit darauf drapierten Blumen und Zweigen reagierte.