In der Hamburger Kunsthalle zeigt die Ausstellung „William Blakes Universum“ die eigensinnigen Bilderzählungen des Künstlers
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24.07.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 230
Das kleine Comicheftchen mit dem Titel „William Blakes Universum“, das am Eingang der Ausstellung nicht nur für Kinder griffbereit ausliegt, erzählt die Geschichte verlockend einfach: Noëlle Krügers Graphic Novel führt den 1757 in London geborenen William Blake als ein Wunderkind mit Engelsvisionen ein, das an der Engstirnigkeit seiner akademischen Lehrer scheitert. Später entwickelt er sich in unruhigen Zeiten zum künstlerischen Freigeist, findet eine kleine Zahl an Förderern und Freunden und stirbt dennoch 1827 verkannt und verarmt. Das stimmt alles – aber das Faszinierende an Blakes Bilderkosmos ist so noch nicht erklärt.
Dem bekannten Lauf der Kunstgeschichte folgte der englische Sonderling auf einem parallelen Seitenpfad. Ein Aquarell wie der „Der Tod auf dem fahlen Pferde“ (um 1800) etwa greift – vielen Werken der Epoche gleichend – ein biblisches Thema auf, in diesem Fall die Offenbarung des Johannes. Dennoch ist das Blatt geistig weit entfernt vom bühnenhaften Wirklichkeitsspiel des Klassizismus am Ende des 18. Jahrhunderts. Es ist vielmehr reine Fantasie, und das ganz offensichtlich: Der bärtige Todeskönig als Figur wirkt so kurios wie das Personal bei Matthias Grünewald, der Hintergrund mit dem Sonnenball ist dagegen dekorativ stilisiert wiedergegeben, wie es eigentlich erst der Jugendstil um 1900 zelebriert. In Blakes Kunst reichen sich die Märchenwelt der Gotik und das Abstraktionsvermögen der Frühmoderne direkt die Hände. Man kann in der Hamburger Kunsthalle an vielen Stellen sehen, wie diese Rezeptur seiner Kunst eine ätherische Leichtigkeit verleiht. Die Körperschwere der Renaissance kommt allerdings auch zum Tragen, wenn es ihrer bedarf.
Denn Blakes Auge war ja durchaus geschult an den Errungenschaften der Antike: Die Laokoon-Gruppe der Vatikanischen Museen zum Beispiel kopierte der gelernte Kupferstecher 1815 akkurat im Punktierstich, als Auftrag für ein Kunstlexikon. Aber er kannte sicher auch Lessings Schrift „Laokoon“ von 1766 über die Beschränktheit der Darstellungsmöglichkeit aufeinanderfolgender Ereignisse in der bildenden Kunst – im Gegensatz zur Literatur. Tatsächlich ist Blake heute besonders für seine im Eigenverlag publizierten Bücher berühmt, in denen er Bildern und eigenen poetischen Texten gleiches Gewicht beimaß: Wundervoll sind die handkolorierten, mit Gold erhöhten Relief-Radierungen (um 1821), die als Auszüge seiner Schriften „Amerika, eine Prophezeiung“ (1793) und „Europa, eine Prophezeiung“ (1794) an der Wand hängen. In diesen Werken entwickelte Blake seine eigene Mythologie weiter, setzte sich kritisch mit der christlichen Kirche auseinander und bezog sich positiv auf die Revolutionen in Amerika und Frankreich als Triumph des befreiten Menschen. Selbst wenn man den komplexen Inhalten nicht ohne Mühe zu folgen vermag, sind Blakes Bücher – und hier schließt sich der Kreis zum Eingang – Graphic Novels avant la lettre.
„William Blakes Universum“,
Hamburger Kunsthalle,
bis 8. September