Eine von Joel Coen kuratierte Ausstellung im Luma Arles präsentiert cineastische Fotografien von Lee Friedlander
ShareVielleicht lassen sich die Fotografien von Lee Friedlander ja wirklich als im Moment eingefrorene Mini-Filme verstehen. Hollywood-Regisseur Joel Coen zumindest vertritt diese These, wenn er bei Friedlanders Soloschau im Luma Arles Aufnahmen präsentiert, die das filmische Element betonen. „New Jersey“ von 1966 ist ein Paradebeispiel: Der schwarze Balken in der rechten Hälfte, der entweder von einem Laternenpfahl oder der Strebe eines Autofensters herrührt, wirkt wie die Leerstelle zwischen zwei Bildern auf einem Zelluloidstreifen. Verdeckt wird dadurch prägnanterweise ein junger Mann, der in Bewegungsunschärfe festgehalten ist. Die Komponente des Zeitlichen wird hier evoziert – genau wie bei der Frau im Rückspiegel, deren Präsenz das klassische Schuss-Gegenschuss-Verfahren des Kinofilms ins Gedächtnis ruft. Selten lassen sich die Fotografien von Friedlander mit einem einzigen Blick verstehen, zu verschachtelt sind viele seiner Bildräume, zu uneindeutig bleibt die Perspektive. In „Albany, New York“ von 1967 hat er die Fassaden zweier New Yorker Apartmenthäuser so geschickt eingefangen, dass man kaum realisiert, dass die linke Hälfte des Bildes eine Spiegelung ist.
Allerdings ist es nicht nur das Kompositorische, das Joel Coen an Friedlanders Werken fasziniert. Mehr noch auf inhaltlicher Ebene sind sich beide nahe: Das wache Auge des street photographer für das Skurrile des kleinbürgerlichen Amerikas, für all die lachhaften Tragödien, die sich hinter Schaufensterscheiben, auf Parkplätzen oder in Vorgärten abspielen, findet seine Entsprechung in den absurden Kinoerzählungen der Coen-Brüder. Manchmal ist das Leben wohl wie jene einsame Zypresse, die Friedlander 2004 in Texas eingezwängt zwischen zwei Telefonmasten ablichtete. In anderen Fotografien fällt sein eigener Schatten ins Bild und erzeugt die Spur eines Mysteriums, das auch in den Coen-Brüder-Filmen wie „Barton Fink“, „Fargo“ oder „No Country for Old Men“ nie ganz aufgelöst wird. Es ist nicht die einzige sehenswerte Ausstellung im Luma-Kunstzentrum in diesem Spätsommer. Bis 29. September wird die feministische Kunst der Amerikanerin Judy Chicago in einer Retrospektive gewürdigt, und der südafrikanische Künstler William Kentridge zeigt bis 12. Januar gleich fünf große Filminstallationen jüngeren Datums. Und doch bietet die Friedlander-Schau in ihrer Konzentriertheit von 70 Schwarz-Weiß-Fotografien das eindrücklichste Erlebnis.
„Lee Friedlander. Framed by Joel Coen“,
Luma, Arles,
bis 29. September