So war Frans Hals hierzulande noch nicht zu sehen. Eine grandiose Schau in der Berliner Gemäldegalerie bringt uns den Künstler so nahe wie die Menschen, die er malte
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18.09.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 231
Selten wird man im Museum so freundlich begrüßt wie aktuell von diesen beiden Gesichtern. Erwartungsvoll lächelt das reich ausstaffierte Kleinkind mit der Spitzenhaube, gütig und geduldig blickt seine Amme aus dem Bild heraus, auch sie mit einem Gesichtsausdruck, der damals in der Malerei alles andere als üblich war – einem eindeutigen Lächeln. Der Untertitel der rund 75 Werke umfassenden Frans-Hals-Ausstellung in Berlin, „Meister des Augenblicks“, ist gut gewählt, denn die Doppelbedeutung des Augenblicks birgt zwei Aspekte, die Frans Hals zu einer bis dahin ungekannten Meisterschaft brachte.
Da sind einerseits die Gesichter, die uns 400 Jahre nach Entstehung der Gemälde so lebendig anblicken, als würden wir sie heute im Supermarkt an der Käsetheke oder bei einer Geburtstagsparty treffen. Andererseits spielt der Titel auch auf den flüchtigen Moment an, den Frans Hals so virtuos mit seinen Kompositionen und einer immer freieren Pinselführung eingefangen hat. So hat er die Porträtkunst zum Beispiel damit bereichert, dass er den lässig über die Rückenlehne eines Stuhls hängenden Ellenbogen popularisierte, als drehe sich der Dargestellte im Erzählen spontan um, weil gerade ein Freund zur Tür hereinspaziert kommt. Auch das Lachen ist Ausdruck des Moments. Frans Hals hat es in seinem ganzen Spektrum erfasst, vom feinen Lächeln zum glucksenden, übermütigen Kinderlachen, vom schelmischen Grinsen zum dröhnend alkoholisierten Gröhlen. Der umfangreiche, empfehlenswerte Katalog nennt ein ganzes Kapitel nur „Lachen“.
Über den Werdegang von Frans Hals (1582/83–1666) ist nicht allzuviel bekannt. Kurz nach seiner Geburt als Sohn eines Tuchhändlers in Antwerpen floh die Familie während der spanischen Belagerung der Stadt und zog nach Haarlem. Hier ging Frans Hals wohl bei Karel van Mander in die Lehre und wurde 1610 in die Lukasgilde aufgenommen. Seine erste Frau starb jung, nachdem sie drei Kinder auf die Welt gebracht hatte. Bald heiratete der Künstler Lysbeth Reyniers, die Mutter von elf Kindern wurde. Wie damals leider üblich, erreichten nicht alle das Erwachsenenalter. Bei manchen der bezaubernden Kinderbildnisse geht man davon aus, dass es sich um Frans Hals’ eigenen Nachwuchs handelt. Fünf seiner Söhne bildete er ebenfalls zu Malern aus. Es ist aufschlussreich, nun sein „volck“ – so nannte der Künstler die Mitglieder der Werkstatt – nebeneinander zu erleben, was übrigens in den vorigen Stationen der Ausstellung im Rijksmuseum und in der Londoner National Gallery nicht der Fall war: darunter Philips Wouwerman, Adriaen Brouwer und Judith Leyster, deren Werke wie „der lustige Zecher“ oft für Arbeiten von Hals gehalten wurden. Auch ihr Mann Jan Miense Molenaer, der jetzt als ein Dargestellter in einem Berliner Bildnis von Frans Hals identifiziert wird, ist mit einem Gemälde vertreten.
„Catharina Hooft mit ihrer Amme“ von 1619/1620 ist nicht nur wegen der lieben Gesichter ein guter Einstieg in die Ausstellung. Frans Hals zeigt hier auch sein Interesse an der ganzen Gesellschaft, dem kleinen Kind aus wohlhabendem Haus ebenso wie der einfachen Angestellten. Die Schau präsentiert die ganze Bandbreite der sozialen Schichten, die Frans Hals in seinen Bildern festhielt, die reiche Kundschaft, frisch verheiratete Bürgerehepaare und Würdenträger der Schützengilde sind für ihn ebenso bildwürdig wie die fröhlichen Trinker, musizierende Jungen oder soziale Randfiguren wie die berühmte „Malle Babbe“.
Die Porträts des Getreidehändlers Isaac Massa, den Hals mehrfach malte (auch mit seiner Braut), oder »Der lachende Kavalier« laden ein, sich in den Details der Kleidung zu verlieren, nicht nur wo sich kostbare Goldstickereien über die Flächen ergießen. Die schwarzen Stoffe, glänzend, matt oder in sich gemustert, glatt gestrichen oder aufgebauscht, Samt oder Seide: Würde man alle anderen Bildpartien ausblenden und sich nur auf das Schwarz in Frans Hals’ Gemälden konzentrieren, allein das wäre ein Erlebnis. Das gilt genauso für das Weiß. Unfassbar, wie souverän der Künstler die viellagigen, gestärkten Kragen und die Ärmel aus kunstvoll geklöppelter Spitze malte, manchmal detailliert und manchmal wie hingehaucht, sodass sich die Feinheiten im Spiel von Licht und Schatten erst in unseren Köpfen zusammenfügen.
Das letzte Kapitel der Ausstellung widmet sich der Bedeutung des Künstlers für die Moderne. Mit Ellenbogen über der Stuhllehne ganz nach Hals-Art malte Max Liebermann 1878 den „Sanitätsrat Dr. Sachs“, und Lovis Corinth schrieb 1907: „Der Franz Hals hat genau so gemalt wie ich.“ Davor hatte er dessen Kasseler „Bildnis eines Mannes mit Schlapphut“ kopiert. Man erkennt sofort, was Corinth gefiel: der freie Pinselschwung, die lässige Pose.
„Frans Hals. Meister des Augenblicks“
Gemäldegalerie, Berlin
bis 3. November