Chinesische Hinterglasmalerei

Im Auge des Betrachters

Eine Ausstellung im Museum Fünf Kontinente in München präsentiert chinesische Hinterglasbilder aus der Sammlung Mei-Lin

Von Gloria Ehret
23.10.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 232

Auf 70 Hinterglasbildern schauen uns Mädchen und Damen direkt an. Sie sind nach dem damaligen chinesischen Schönheitsideal gestylt. Ihr aufreizender Blick galt Männern, Verehrern und Liebhabern; denn es waren den Herren zur Freude dienende Geschöpfe, nennen wir sie „Kurtisanen“, die auf diesem Hinterglasbildtypus festgehalten sind.

Die chinesische Hinterglasmalerei geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Die Exponate der aktuellen Schau, die größtenteils aus der Privatsammlung von Rupprecht Mayer stammen, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre, mit einem letzten Beispiel von 1952. Mayer hat lange in Nordchina gelebt und ist mit einer Chinesin verheiratet. Viele seiner Hinterglasbilder hat er dort im Antiquitätenhandel erworben oder auch auf Flohmärkten entdeckt.

Trotz ihres erotischen Anspruchs sind die „betörenden Schönheiten“ ausnahmslos elegant und nach der geltenden Mode gekleidet, keine Pin-up-Girls mit nackten Beinen und zur Schau gestelltem Busen. Die sorgfältige Schminke mit hochgezogenen Augenbrauen und kleinem Kirschmund fällt ins Auge. Die idealisierte Schönheit bezieht sich auf die gesamte Erscheinung. Der jeweilige dramatische politische Wandel lässt sich am deutlichsten an den Frisuren ablesen: zuletzt Bubikopf mit Stirnfransen.

Die Schönen sitzen uns meist als Halbfigur in Innenräumen gegenüber, mitunter mit Landschaftsausblick. Blumen spielen eine zentrale Rolle: in der Haartracht, als Muster dekorativ bestickter Säume und Gewandaufschläge, in Vasen auf beigestellten Tischchen oder als Wandschmuck. Viele Blüten – wie etwa die der Päonien – dienten als erotische Anspielung. Übrigens: Alle Damen hielten immer eine Art Taschentüchlein bereit, vor allem um die kostbaren, spitzenverbrämten Ärmelbordüren beim Abstützen zu schützen. Als allzeit eingesetztes Accessoire dienten auch gerne verschiedenste, teils kostbar gestaltete Falt- oder Federfächer, die wiederum aufwendige Verzierungen aufwiesen. Haustiere – vor allem Schoßtiere – waren beliebt. Ihre Liebkosung durch die Dargestellten wird dank des Blickkontakts mit dem Betrachter zum erotischen Signal.

Hinterglasbilder entstanden in spezialisierten Werkstätten als Auftragsarbeiten oder nach standardisierten Entwürfen. Die Schönheiten in der Schau sind in der Regel als Paar entstanden, manche haben ihr Pendant verloren. Reizvoll sind die auf Spiegelglas, die die Betrachtenden ins Bild holen. Man sollte sich auf die Details einlassen, sie entführen uns in eine exotische, längst untergegangene Kultur. Die gebundenen Füße in kleinsten bestickten Schühchen zeigen, dass diese Chinesinnen aus besseren Kreisen stammten. Derart verkrümmte Füße belegen, dass die Frauen nicht arbeiten mussten. Echte, reich bestickte Schühchen sind in Vitrinen zu bestaunen. Handgestickte Borten wurden gekauft, die zusätzliche Feinarbeit dann häuslich ausgeführt. Lesende oder schreibende Frauen deuten auf ihre jüngst erworbene Bildung. Doch Maler wie Käufer waren damals nur Männer.

Service

AUSSTELLUNG

„Betörend schön. Chinesische Hinterglasbilder aus der Sammlung Mei-Lin“

Museum Fünf Kontinente

bis 19. Januar 2025

museum-fuenf-kontinente.de

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