In einer Ausstellung der Amerikanerin Tracey Snelling im Berliner Haus am Lützowplatz zeigen Architekturen im Miniaturformat mit dem Finger auf gesellschaftliche Missstände
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25.10.2024
Fällt die schwere Tür hinter einem ins Schloss, befindet man sich gleich in einer ungeahnten Stresssituation. Umgeben von Klicken, Summen, Sprachfetzen oder einfach nichtidentifizierbaren Lauten führt einen die kleine Treppe hinab in eine Miniaturkulissenstadt. Hier, hinter abgehangenen Fenstern, wird Tracey Snellings bislang umfassendste Ausstellung in Berlin gezeigt. In ihrer Kunst setzt sich die 54-Jährige, die in in Oakland, USA geboren wurde, mit voyeristischen und soziologischen Themen auseinander.
In dem kreisrunden Ausstellungsraum im Haus am Lützowplatz in Berlin-Tiergarten finden nun sich auftürmende Fassadenattrappen, begehbare Höhlen und Mikrohäuser, sowie selbst gedrehte Filme und eine verkaterte Schaufensterpuppe, die in der Ecke ausnüchtert, ihren Platz. Fotografien und Videos bewegen sich hinter klitzekleinen Balustraden und Fensterscheiben der Architekturen, die einen zum Näher- oder besser Hineintreten animieren.
Der am Rande Neapels gelegene Wohnkomplex „Vele di Scampia“ (2024) steht hier nun als Erinnerung an das im Sommer eingestürzte Gebäude. Das Versagen einer Verbindungsstege riss am 22. Juli drei Menschen in den Tod und zwang weitere 800 in die Wohnungslosigkeit. Die geplante Infrastruktur mit Bildungseinrichtungen und Gemeindezentren blieb letztlich Utopie, und der Komplex wurde stattdessen für seine steigende Kriminalität bekannt, wie 2006 im Buch „Gomorrha“ von Roberto Saviano beschrieben.
Snellings Konstruktionen bilden eine Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion – mit soziologischem Ansatz. Wer wortwörtlich hinter die Fassade tritt, entdeckt alles vom Nazar-Amulett bis zu blinkenden Festplatten und anzüglichen Fotografien. Indem sie das Verborgene und Verdrängte der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt, provoziert die Wahlberlinerin die Besuchenden auf ausgesprochen atmosphärische Weise, gesellschaftliche Prekarität nachzufühlen. Ob sozialer Wohnungsbau, brutalistische Tierversuchseinrichtung oder Lovehotels, im Kulturzentrum finden zumindest die Miniaturversionen einen kulturell angesehenen Platz. Skulpturen wie „Sozialwohnungen Admiralstraße“ (2020) oder Bondage-Hotels wie „Hotel Rochelle“ (2022) werden in White Cubes selten in den Mittelpunkt gerückt. Gerade deswegen erscheint die beinahe aufdringliche Konzeption des Themas so spannend und gut umgesetzt.
„Tracey Snelling How We Live “
Haus am Lützowplatz, Berlin
bis 9. Februar 2025