Muzeum Sztuki Nowoczesnej in Warschau

Edel, aber nicht elitär

Darauf musste Polen lange warten: In Warschau hat ein verheißungsvolles Museum der osteuropäischen Moderne und Gegenwartskunst eröffnet

Von Sebastian Preuss
27.12.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr 235

Strahlend weiß, so steht die Betonkiste mitten in Warschau, am Rand des Plac Defilad (Paradeplatz), dort wo sich der Kulturpalast aus stalinistischen Zeiten ausbreitet und seinen gewaltigen Turm in den Himmel reckt. Fast zwanzig Jahre hat es gedauert, bis die Vision des 2005 gegründeten Museums für Moderne Kunst – nach dem polnischen Namen Muzeum Sztuki Nowoczesnej allgemein MSN genannt – Realität wurde. Ende Oktober war es so weit, nach drei Architekturwettbewerben, der Vertragsauflösung mit dem Schweizer Architekten Christian Kerez, dem Neubeginn mit dem New Yorker Thomas Phifer und einer fünfjährigen Bauzeit. Für das MSN beginnt eine neue Ära in einem Gebäude, das alle Erfordernisse eines modernen Museums bietet und jedem internationalen Vergleich standhält. „Es bringt Weltklasse“, schwärmte der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski bei der Eröffnung. Rund 160 Millionen Euro ließ sich die Stadt den Bau kosten.

Noch ist das Museum weitgehend leer, die Präsentation der Sammlung wird Ende Februar eröffnet. So kommt nun erst einmal die Architektur zur Geltung, um die es so viel Streit und Diskussionen gab. Eine materialreiche Ausstellung im Erdgeschosses, das frei zugänglich und Teil des öffentlichen Raums sein soll, bietet hierzu die urbanistische Blaupause. Der 1955 eingeweihte Kulturpalast, Stalins Geschenk an Polen, ist bei vielen immer noch unbeliebt als monströses Symbol der Sowjetherrschaft, und der Plac Defilad ist bis heute ein städtebauliches Problem. Die Schau zeigt die Kundgebungen, die hier einst stattfanden, die Menschenmassen beim Besuch des Papstes, die beliebte Markthalle, deren Abriss 2009 zu Straßenschlachten führte, und die Ansätze nach 1989, der unwirtlichen Riesenfläche mehr Struktur und ein menschlicheres Antlitz zu geben.

Das Museum und das Theater TR Warszawa, das im rechten Winkel dazu einen schwarzen, ebenfalls von Phifer geplanten Kubus erhalten soll, sind zentrale Elemente in diesem Prozess. Weitere Bauten und eine Landschaftsarchitektur in der Mitte sollen ein zeitgenössisches Forum vor dem Palast bilden. Mit den weißen Betonflächen des Museums will Phifer ein Zeichen des Neuaufbruchs setzen. Es geht ihm um „Solidität“, um einen Bau, der sich in dem architektonischen Mischmasch des Warschauer Zentrums auf Dauer behaupten kann.

Vom Treppenhaus blickt man auf den Kulturpalast und die Warschauer Hochhäuser, davor Hanna Kadyrovas Asphaltkugel, 2011
Vom Treppenhaus blickt man auf den Kulturpalast und die Warschauer Hochhäuser, davor Hanna Kadyrovas Asphaltkugel, 2011. © MSN / Maja Wirkus

Die Qualitäten dieses zunächst etwas klotzig wirkenden Betoncontainers offenbaren sich nach und nach beim Durchwandern. So ist das Museum viel transparenter, als man zunächst glaubt, weil die umlaufenden Glasflächen raffiniert von den herabhängenden Fassadenflächen verschattet werden. Das zweiläufige Treppenhaus, die Durchblicke zur Stadt, kontemplative Zwischenräume in Eschenholz, die Deckenrasterungen, die im zweiten Obergeschoss wie Rahmen für das gefilterte Tageslicht wirken, der helle Terrazzoboden, die Gestaltung der Ausstellungssäle – alles ist bis ins letzte Detail durchdacht und äußerst qualitätvoll ausgeführt.

Es liegt jetzt an der Direktorin Joanna Mytkowska und ihrem Team, das edle Gehäuse mit Leben zu erfüllen. Seit 2007 haben sie in ihren provisorischen Quartieren gezeigt, dass sie das im kleineren Maßstab grandios können. Das Museum wurde zum Mittelpunkt der Szene, in unzähligen sozialen Aktionen kam es zum Austausch mit der Stadt und der Bevölkerung. Dazu gehörten auch ein Projekt mit Schulen in ganz Polen oder ein höchst aktives Hilfszentrum für geflüchtete Ukrainer. Dass dieser Spirit und diese Offenheit auch im Neubau funktionieren kann, war in der Eröffnungsnacht zu erleben, als Tausende Warschauer herbeiströmten, stundenlang Schlange standen, um dann alles zu begutachten. Und mit großer Begeisterung zeichneten und bastelten Jung und Alt in den Räumen des Schulprojekts.

Einen Vorgeschmack auf die Sammlungspräsentation geben zehn Werke von Künstlerinnen, darunter die Bronzeskulptur „Freundschaft“, die Alina Szapocznikow 1954 für den Kulturpalast schuf, ehe sie mit ihren experimentellen Arbeiten zu einer Säulenheiligen der polnischen Nachkriegsavantgarde wurde. Magdalena Abakanowicz und Cecilia Vicuña sind mit großen Textilarbeiten vertreten, die Ukrainerin Zhanna Kadyrova mit einer Asphaltkugel, die sie zuerst auf einem Bürgersteig in Kyjiw zeigte. International ist das Museum längst bestens vernetzt, etwa mit der Kontakt Sammlung in Wien, die einen bedeutenden Bestand nonkonformer Kunst aus Osteuropa aufgebaut hat. Zur Eröffnung ermöglichte sie eine Performance der Ungarin Katalin Ladik, die schon früh mit feministischen Nackt-Performances provozierte. Nun schritt die 82-Jährige in einem Lumpenkleid die Treppe des Museums hinab, während sie juchzende, gurrende Laute von sich gab. Wer sich ein bisschen mit ihr beschäftigt hat, weiß, unter welchen Schwierigkeiten sie in den Sechzigern ihre künstlerische Freiheit behauptete. Das MSN blickt in alle Himmelsrichtungen, aber es hat nun die Chance, zum wichtigsten Zentrum der Kunst in Osteuropa zu werden. Von der sozialistischen Zeit bis heute. 

Service

AUSSTELLUNG

„The Museum Between the Square and the Palace“,

Museum für Moderne Kunst (MSN), Warschau,

bis 5. Januar 2025

artmuseum.pl

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