Interview mit Ulrike Groos

Geburtstagsparty mit Doppelkäseplatte

Das Kunstmuseum Stuttgart feiert ein Doppeljubiläum: 20 Jahre Kunstmuseum am Schlossplatz und 100 Jahre Städtische Sammlung. Im Zentrum steht dabei die große Ausstellung „Doppelkäseplatte“, in der ausschließlich Werke aus der eigenen Sammlung gezeigt werden – in überraschenden Konstellationen und Kontexten. Wir sprachen mit Direktorin Ulrike Groos über das Jubiläumsprogramm 

Von Matthias Ehlert
06.03.2025

Frau Groos, was erhoffen Sie sich von ihrem Doppeljubiläum in diesem Jahr?

Viele neugierige Menschen, die unser Museum besuchen! Und vor allem auch jene, die noch nie im Kunstmuseum waren, und für die der freie Eintritt ein verlockendes und schönes Angebot ist, dies zu ändern. Wir möchten mit unserer Jubiläumsausstellung und dem breit gefächerten Begleit- und Vermittlungsprogramm zeigen, dass Kunst und Kultur jeden Menschen ansprechen können, und wie aktuell, an- und aufregend unsere Museumssammlung heute ist.

Auf welche Highlights dürfen wir besonders gespannt sein?

Wo soll ich anfangen? Ich freue mich besonders, dass wir im Jubiläumsjahr unsere Sammlung in den Mittelpunkt stellen – und in einer Ausstellung in unerwarteten Konstellationen zeigen. Sie ist das Highlight 2025. Und unser Alleinstellungsmerkmal. Die meisten der gezeigten Werke sind Ankäufe aus den letzten Jahren und Schenkungen an uns. Parallel zur Jubiläumsausstellung „Doppelkäseplatte“ läuft bei uns „The Clock“ von Christian Marclay. Die noch immer mitreißende 24-Stunden-Videoarbeit von 2010 wird erstmals in Deutschland zu sehen sein, an zwei Terminen auch in ihrer vollen Länge. Dann im Juni eröffnen wir eine kleine Präsentation mit sämtlichen Werken von Joseph Kosuth aus unserer Sammlung, dem größten Bestand seiner Arbeiten in Deutschland. Den Anlass bildet sein 80. Geburtstag. Er kuratiert mit mir zusammen und wird auch für einen exklusiven Artist Talk nach Stuttgart reisen. Ungefähr zur Halbzeit unserer Jubiläumsfestivitäten im Juli veranstalten wir ein Musikfestival auf dem Kleinen Schlossplatz, der eine lange und wechselhafte Geschichte hat. Vor 20 Jahren eröffnete hier das Kunstmuseum Stuttgart. Wir wollen mit dem Festival an den für viele Jahrzehnte so wichtigen Ort als Keimzelle einer Stuttgarter Subkultur erinnern. Das Besondere wird sein, dass sich die eingeladenen Musikerinnen und Musiker in ihren Sets auf Kunstwerke der Jubiläumsausstellung beziehen.

Nevin Aladag „Traces“, 2015. © Kunstmuseum Stuttgart, VG Bild-Kunst Bonn 2025

Die Städtische Sammlung wird 100 Jahre alt. Haben Sie eigentlich ein Lieblingsbild in der Sammlung?

Das wechselt bei mir je nach Stimmung. Derzeit kann ich mich jedoch auf die Videoarbeit „Traces“ (2015) von Nevin Aladağ festlegen, die wir endlich wieder einmal zeigen. Die Künstlerin entwirft auf drei großformatigen Screens ein musikalisches wie bildgewaltiges Porträt Stuttgarts, der Stadt, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. In Parks, auf Spielplätzen und der Königstraße lässt Aladağ verschiedene Musikinstrumente erklingen, ohne dass Menschen sie spielen. Die Stadt selbst scheint das zu übernehmen. Triangel, Trommel, Mundharmonika, Trompete, Panflöte, Akkordeon stehen dabei mit ihren verschiedenen kulturellen Herkunftsgeschichten für die heterogene Bevölkerung der Stadt.

Vor 20 Jahren ist das Kunstmuseum in den Neubau gezogen. Wie hat sich in dieser Zeit die Aufgabe eines Kunstmuseums gewandelt?

Die klassischen Kernaufgaben eines Kunstmuseums – Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln – haben sich für mich nicht geändert, und werden sich auch nicht ändern. Allerdings kommt der Vermittlung heute ein ganz anderer Stellenwert zu als noch vor 20 Jahren. Unsere Anforderung besteht heute mehr denn je darin, Menschen für zeitgenössische Kunst überhaupt erst einmal zu interessieren, ein Verhältnis zu Kunst zu begründen, das ja oftmals gar nicht mehr vorhanden ist. Das Kunstmuseum Stuttgart hat hierfür etwa vor einigen Jahren das Projekt KuBUS ins Leben gerufen – eine Erfolgsgeschichte. Wir fahren mit dem von der Kunstvermittlung ausgestatteten Kunstbus an Schulen und realisieren mit den Kindern und Jugendlichen kreative Workshops vor Ort, die mit einem gemeinsamen Museumsbesuch verbunden werden. Das nimmt Berührungsängste. Zudem haben wir das Kunstmuseum Stuttgart als einen sozialen Treffpunkt etablieren können, als Ort der Begegnung und Teilhabe. Ich bin davon überzeugt, dass der Dialog mit Kunst das Gespür sowohl für unsere Geschichte als auch für die gegenwärtige Lebenswirklichkeit, gerade in ihrer Widersprüchlichkeit, stärken kann. Und natürlich hat auch der digitale Wandel seine Spuren im Museum hinterlassen. Diese Entwicklung ist nicht abgeschlossen, da ist Flexibilität und Kreativität gefragt. Kunstmuseen werden sich auch in Zukunft an Veränderungen anpassen müssen, und das wesentlich schneller, als dies in der Vergangenheit der Fall war, da sie mit einem enormen Freizeitangebot konkurrieren.

Kunstmuseum Stuttgart
Die Fassade des Kunstmuseum Stuttgart. © Foto: Brigida Gozález

Ein Jubiläum ist auch immer ein guter Anlass für einen Rückblick: Was war Ihnen wichtig?

Mir war immer wichtig, ein Haus über einen längeren Zeitraum hinweg so zu prägen, dass ein stringentes Konzept erkennbar bleibt. Als ich vor 15 Jahren ans Kunstmuseum Stuttgart kam, war es mein Ziel, die insbesondere regional verankerte Sammlung an zentralen Stellen zu schärfen und weiterzuentwickeln. Mir ist bewusst, dass eine Museumssammlung ein niemals abgeschlossenes Langzeitprojekt ist, bei dem einzelne allenfalls Akzente setzen oder Kurskorrekturen vornehmen können. Und das ist mir, denke ich, ganz gut gelungen. So fanden etwa verstärkt internationale Positionen und junge Kunst Berücksichtigung, die in Dialog treten mit den etablierten Sammlungsschwerpunkten – ich denke hier an Otto Dix, Willi Baumeister, Adolf Hölzel und sein Kreis, die Konkrete Kunst. Auch wurde unter mir der Anteil von Frauen in der Sammlung deutlich erhöht. Alles, was ich eingebracht habe, bezieht sich stets auf die DNA der Sammlung. Gute Beispiele sind Verena Loewensberg, Kara Walker, Katinka Bock, Andrea Büttner oder Birgit Brenner.

Und worauf sind Sie stolz?

Augenfälliger wird meine Handschrift, wenn man das so nennen mag, durch unsere vielstimmigen Ausstellungen, die in die Stuttgarter Stadtkultur hineinwirken. Vielstimmig ist hier buchstäblich zu verstehen: Mir sind Kooperationen mit anderen Kultureinrichtungen sehr wichtig, der Austausch, der dadurch entsteht, sowie die Vergrößerung der Zielgruppen, und ebenso Interdisziplinarität. Bereits in der Renaissance, über die promoviert habe, haben sich die Künste wechselseitig beeinflusst und durchwirkt, und dazu zählen neben den schönen Künsten, also Musik, Literatur, darstellende und bildende Kunst, ausdrücklich auch die Naturwissenschaften. Dieses frühe Modell – sicher, es ist mehr ein Ideal – fand ich immer sehr reizvoll, und hat in vielen Ausstellungskonzepten der vergangenen Jahre seinen Niederschlag gefunden oder auch in der Zusammenarbeit mit Universitäten und Akademien. Mit unseren Ausstellungen wollte ich immer auch Ereignisse schaffen, zu denen jeder hinwollte. Ich wünsche mir, dass außergewöhnliche Ausstellungen wie die von Ragnar Kjartansson oder „I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920“ oder Michel Majerus’ Skaterrampe direkt vor dem Museum noch lange im Gedächtnis bleiben und mit dem Kunstmuseum Stuttgart in Verbindung gebracht werden. Vielleicht gelingt uns dies ja auch mit der Jubiläumsausstellung „Doppelkäseplatte“.

Was wollen Sie noch erreichen?

In den nächsten Jahren stehen noch größere Projekte an, 2027 zum Beispiel, wenn in Stuttgart die Internationale Bauausstellung gastiert. Aber jetzt wird erst einmal gefeiert!

Service

AUSSTELLUNG

„Doppelkäseplatte“

8. März bis 12.Oktober 2025

kunstmuseum-stuttgart.de   

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