Gemälde, Grabmäler und die zweitgrößte Memling-Sammlung der Welt: Die UNESCO-Welterbe-Stadt Brügge beherbergt zahlreiche flämische Kunstwerke, die noch immer an Originalschauplätzen zu sehen sind. Dort und in ganz Flandern laden gut 100 Orte dazu ein, „Flämische Meister in situ“, also vor Ort und damit besonders intensiv, zu erleben
Von
10.04.2025
Große Namen wie Jan van Eyck, Peter Paul Rubens oder Pieter Bruegel der Ältere prägen das künstlerische Erbe Flanders. Dazu kommen Kreative, wie Paul Delvaux oder James Ensor, die im Surrealismus und Expressionismus verortet sind. Die alten Meister ebenso wie die modernen Künstler sind in Flandern aufgewachsen, haben dort gelebt und gearbeitet. Hier fanden sie ihre Inspiration – in einer Region voller Geschichte, Kulturerbe und Kunst und umgeben von einer malerischen Landschaft.
Zahlreiche Werke wurden für einen bestimmten Ort in Auftrag gegeben, etwa für Kirchen, Kapellen, Klöster, Schlösser oder Privathäuser wohlhabender Patrizier. Viele der virtuosen Arbeiten sind auch heute noch an diesem Platz zu bewundern. Ein faszinierendes Erlebnis, genau dort zu stehen, wo der geniale Maler, Schnitzer oder Bildhauer wirkte. Faszinierend, das Licht, die Geräusche und Gerüche aufzunehmen, die ihn bei der Erschaffung seines Meisterwerks begleiteten. Anderen Künstlern kommt man besonders nahe, wenn man ihre Ateliers oder Wohnhäuser besucht.
Die geschichtsträchtigen Handelsmetropolen Brügge, Gent und Antwerpen sind heute Schatzkammern flämischer Meisterkunst. Doch auch jenseits der berühmten Städte können Perlen entdeckt werden, wie etwa in Aalst, wo in der St. Martinskirche überraschenderweise ein echter Rubens hängt. Mehr als 100 Orte locken übers Land verteilt mit „Flämischen Meistern in situ“, also Werken am Originalschauplatz, wo sie sich zum Teil schon jahrhundertelang befinden.
Flandern gleicht einem einzigen großen Museum. Um die Erkundung zu erleichtern, wurden neun Touren zu „Flämischen Meistern in situ“ kuratiert. Neben den historischen Städten stehen auch Regionen im Fokus wie etwa die Nordseeküste oder die Flusslandschaften entlang der Leie mit ihrer jeweils ganz eigenen künstlerischen Entfaltung.
Eine der Meistertouren zeigt die Schätze Brügges. Vor allem das Sankt-Jans-Hospital lädt zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Der riesige Raum mit den hohen Sprossenfenstern fast wie in einer Kirche war bis ins 19. Jh. ein Krankensaal. Hier hängt das wunderbar komponierte und detailgetreue Triptychon von Hans Memling, das für den Altar der Kapelle in Auftrag gegeben wurde und heute nur wenige Meter vom Originalort entfernt zu sehen ist. Insgesamt gibt es hier sieben Exponate des Meisters und damit die zweitgrößte Memling-Sammlung der Welt.
Vier der virtuosen Arbeiten wurden eigens für das Hospital erschaffen und befinden sich seit gut 500 Jahren am selben Ort. Nebenan steht ein weiteres Bravourstück des Meisters, eine Miniaturkapelle zur Aufbewahrung von Reliquien zu Ehren der heiligen Ursula. Der hölzerne Schrein wurde rundum von Hans Memling mit sechs Szenen bemalt, die den Pilgerweg der heiligen Ursula von Köln nach Rom zeigen.
Zu einer Zeitreise lädt auch die Adornes-Domäne ein. In der mysteriösen Privatkapelle der einflussreichen Familie Adornes steht alles an seinem Platz wie im 15. Jahrhundert. Damals ließ Anselm Adornes, der prominenteste Familienspross, die Kapelle nach dem Vorbild der Grabeskirche in Jerusalem errichten. Tritt man heute ein und dreht sich im Kreis, verschwimmen Vergangenheit und Gegenwart. Liegt dort vor einem in dem von Cornelis Tielman gestalteten Grabmal tatsächlich das Herz von Anselm Adornes, der 1483 in Schottland ermordet wurde? Würde man tatsächlich die Gebeine seiner Gemahlin Margaretha van der Banck finden, wenn man die Hand ausstrecken und den Sarkophag öffnen könnte? Dazu fasziniert das Golgatha-Altarbild, das in kargem, weißem Kalkstein alle Folterwerkzeuge zeigt, mit denen Jesus auf dem Weg zur Kreuzigung gepeinigt wurde.
Eine weitere Sternstunde ist der Besuch der Liebfrauenkirche. Hier liegen die Gebeine der Maria von Burgund, die mit nur 25 Jahren nach einem Reitunfall verstarb. Künstlerischer Höhepunkt ist ihr Sarkophag, der von Jan Borman und Renier van Thienen direkt in der Liebfrauenkirche aus Materialien der Region erschaffen wurde und in seiner filigranen Ausarbeitung als Glanzstück flämischer Handwerkskunst gilt.