Monopolisten pflügen eine Schneise der Verwüstung durch den Kunstmarkt, ob im Messe- oder Galeriegeschäft
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Wer dachte, dass der Kunstbetrieb in diesem Jahr mit zusätzlichem venezianischem und Kassler Rummel endgültig überstrapaziert wäre, wer mit besorgtem Blick etwas von Messeüberdruss murmelte oder auf die rückläufigen Verkaufszahlen in den großen Auktionshäusern verwies, hat sich bei aller raunenden Zustimmung der Auguren des Markts und des Zeitgeists mächtig getäuscht. Sie lieben es. Sammler, Künstler, Händler, Vermittler, Kuratoren und Beflissene rauschen von hier nach dort, saugen begierig die An- und Aufregungen des weltweiten Kunstspektakels auf. Man inszeniert sich zu gern in einem permanent gesteigerten Lebensgefühl, das Kunstgenuss (und vielmehr noch den Kunstkauf) zum Elixier einer extrem beschleunigten Existenz macht. Mechanische Erschöpfung und Wiederholungsmüdigkeit sind stets rasch überwunden. Mag sein, dass dieses Phänomen – zusammen mit dem anhaltend mager bestückten Investitionssektor, der nur wenig Lukratives zu bieten hat – bislang jede Krise zum Intermezzo gemacht hat.
Die Art Basel lief wieder einmal blendend. Das Zugpferd der unersättlichen MCH Group, Spezialist für Großveranstaltungen der Luxusgüterbranche, ist mit seinen Dependancen Art Basel Miami und Art Basel Hongkong weltweit strategisch ausgezeichnet vertreten. Mehr von diesen Riesentankern müssen es gar nicht sein, um sich an der Spitze zu behaupten. Ein schönes Monopol lässt sich auch elegant etablieren, indem man sich regionale Messen einverleibt. Jüngster Coup der Basler ist die Beteiligung an der Art Fair International in Köln, der die Art Düsseldorf mit der Tochterschau Bloom gehört.
Daniel Hug, Direktor der Art Cologne, der Urmutter aller Kunstmessen, sprach bei so viel bedrohlicher Nähe prompt von Kolonialismus und verwerflichem Machtstreben. Das ist insofern schon interessant, weil er selbst gerade mit seiner Messe die alljährlich im Herbst stattfindende, in vielerlei Hinsicht überholungsbedürftige abc in Berlin unter die Fittiche genommen hat und damit eigenes Expansionsinteresse signalisiert. Hugs unverblümte, überraschend ethisch unterfütterte Kritik richtet sich wohl auch gegen die frisch aufgelegte Initiative „Art Basel Cities“. Sollte diese zum Erfolgsprojekt werden, könnte das daraus resultierende engmaschige Netzwerk die Konkurrenten langsam, aber sicher strangulieren. Geplant sind herausragende Kunstevents, die von der Art Basel das ganze Jahr über in ausgewählten Metropolen temporär installiert werden und die digital gesteuerte Karawane nicht zur Ruhe kommen lassen. Buenos Aires empfängt als erste Station die Kunstfreunde und ihre Marketender und erhofft sich Profit auch in anderen Luxussparten.
Innovation ist wichtig, doch dieses Rollkommando birgt ungute Nebenwirkungen. Eine Art-Basel-Paranoia wäre noch die geringste Irritation. Aber eine derartige Monopolisierung mit ihren unweigerlichen Begleiterscheinungen – Selektion der Aussteller, wettbewerbsfeindliche Preisgestaltung für die Teilnehmer, ein Angebot ausschließlich im hochpreisigen, gängigen Rahmen des sattsam Bekannten – macht die inspirierende Vielfalt der Messelandschaft kaputt. Wirtschaftswissenschaftler sehen in einer Zunahme der Monopolbildung ein Alarmzeichen des Niedergangs nach einer hypertrophen Hochphase. Hat man die Konkurrenz ausgeschaltet, steht man wahrscheinlich irgendwann allein auf weiter, allerdings leer gefegter Flur.
Ohne Messeauftritte – unerlässlich für Umsatz und die Akquise von neuen Kunden – sind die mittleren und kleinen Galerien aufgeschmissen. Können sie dem monopolistischen Kostendiktat nicht mehr folgen, sind sie eines lebenswichtigen Forums beraubt. Das ist ein wesentlicher Grund für das allerorten zu beobachtende Galeriensterben. Wer die Nerven behält, wirkt weiter als Art Consultant, und für die paar treuen Sammler muss man kein teures Etablissement unterhalten.
Hinzu kommt, dass die Großgaleristen Gagosian, Hauser & Wirth oder Zwirner inzwischen ein Gruppenmonopol bilden und mühelos alles, auch die internationale Museums- und Ausstellungspolitik, dominieren. Diese Stellung festigen sie, indem sie sich vielversprechende Nachlässe sichern und so den Markt für möglichst viele wichtige Künstler kontrollieren. Sie streuen die Werke, wie und wann sie es für richtig halten. Beileibe nicht jedem verkauft Hauser & Wirth eine Arbeit von Arshile Gorky oder Eva Hesse, sie diktieren Angebot und Preis, verknappen künstlich und bekommen, wie jetzt auf der Art Basel, 15 Millionen Dollar für ein Gemälde von Philip Guston.
Monopolisten pflügen, egal ob im Messe- oder im Galeriegeschäft, eine Schneise der Verwüstung durch den Markt – das ist keine Übertreibung. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die in der Ökonomie der Aufmerksamkeit keinen einigermaßen komfortablen Nischenplatz ergattert haben. Doch ohne sie funktioniert es auf Dauer nicht.
Wiederentdeckte Künstler verheißen Gewinne, doch die derzeit so beliebte Nischenpflege erschöpft sich schnell
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Der Blick über die Schulter, versonnen, die irritierende Gegenwart ausblendend, ist zweifellos eine ausgesprochen elegante, von Sehnsucht grundierte Haltung. In jeder Hinsicht. Dass sich der Kunstmarkt derzeit verstärkt der jüngeren Vergangenheit, den Jahrzehnten der Nachkriegszeit zuwendet, ist freilich eher Indiz einer fast kollektiven Übereinkunft, die Produktpalette neu zu sortieren. Das historische und kommerzielle Interesse am auszuschöpfenden Potenzial von (vermeintlich) Vergessenem und (schon seinerzeit zu Unrecht) Übersehenem ist überaus reizvoll. Nahezu alle Messen mit Gegenwartskunst haben spezielle Sektionen eingerichtet. „Rediscovery“ oder ähnlich heißen die Abteilungen aufmunternd mit leicht didaktischem Einschlag. Sie richten sich an eine Klientel, die sich nicht mit Pauken und Trompeten, aber in Teilen doch bereitwillig abkehrt von der bis vor Kurzem noch so berauschenden Szene der Gegenwartskunst.
Wer sich bisher die millionenschweren Blue Chips nicht leisten konnte oder wollte (das waren weit mehr als neunzig Prozent der Käufer), kaufte in niedrigeren Preissegmenten und setzte entschieden oder stillschweigend auf die Werke eines fantastischen Genies in den Mittzwanzigern. Das ging nicht immer gut, wie sich in etlichen, nach einer Zeit der Besinnung anstehenden Verkäufen zeigte, und raubte nicht nur finanzielle Ressourcen. Die in der jüngsten Vergangenheit oft himmelschreienden Gewissheiten des Kunstmarkts sind inzwischen arg ins Wanken geraten.
In Zeiten weltpolitischer Turbulenzen und allgemeiner Orientierungslosigkeit besinnt man sich gern und sehr barock auf eitlen Wahn und echte Werte. Man kramt in der jüngeren Kunstgeschichte, man pflegt (der Galerist) und betrachtet (der Kunstfreund) sorgfältig die Künstlernachlässe des 20. Jahrhunderts. Jeder Händler zeitgenössischer Kunst, der auf sich hält, hat mittlerweile mindestens eine solche Wiederentdeckung auf Lager. Diese Marktnischen werden dann fein ausstaffiert, der vorsichtige Sammler nähert sich schnuppernd, der Investor wittert Morgenluft. Die fast nie gesehenen, verschollen geglaubten, von Erben versteckten, von der Kritik nicht anerkannten, aber von Künstlerkollegen hochgeschätzten Werke aus der zweiten Riege der einstigen Avantgarde gelten heute allgemein als unterbewertet.
Das waren sie natürlich nicht, denn was auf dem Markt kaum gefragt oder gar nicht erst sichtbar war, kann schlicht keine spektakuläre Preisentwicklung vorweisen.
Doch kann sich die frisch installierte Nische bei guter internationaler Pflegestrategie (Presse, Marketing, solide Auftritte im richtigen Umfeld) zum Edelbrutkasten für satte Preise mausern? Da gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Die „verschollene“ Generation der Zwischenkriegskünstler, seit Jahren schon gehegt und gepriesen, ist nie über ein paar Achtungserfolge hinausgekommen. Die Liebe zu den Zero-Künstlern explodierte dagegen vor einigen Jahren nach langem, lediglich regional vor sich hindümpelndem Interesse. Nun feierten Uecker, Mack, Piene, Scheggi, Castellani und Schoonhoven Triumphe. Die bisherigen Eigentümer verkauften und belieferten die Auktionen, als gäbe es kein Morgen. Die Preise stiegen exorbitant; aber auf höchstem Niveau angelangt, wird es schon wieder frostiger.
Wie sieht es auf dem Antiquitätenmarkt aus? Der facettenreiche, einst maßgeblich und weltumspannend agierende Handel mit kostbarem Kunsthandwerk schrumpft stetig und unaufhaltsam. Wohlfeiler Kulturpessimismus soll hier nicht gefeiert werde, an eine zukünftige Nischenposition wollen wir gar nicht denken, aber wer die wenigen maßgeblichen Messen mit feinen Antiquitäten vergangener Jahrhunderte besucht, begegnet nicht sonderlich vielen jungen Sammlern. Auf der Suche nach einem (meist tatsächlich nur einem) distinguierten Möbel – was sich leicht finden lässt, denn die Preise sind auf einem sehr moderaten Level gelandet – bewundern sie etwas ratlos die Altmeistergemälde und Tapisserien, Skulpturen und Aufsatzsekretäre. Neugierig inspizieren sie dagegen die Kojen mit den Kunstkammer-Arrangements. Und entscheiden sich für eines der gut dokumentierten Objekte: gefilterte Zeitzeugen vergangener Jahrhunderte, die ästhetisch und formal von Abenteuern, Menschen, Dingen und Verhältnissen erzählen, von Handwerkskunst und Prestige. Und die besonders geeignet sind, im häuslichen Ambiente Bildung, Humor und Weltläufigkeit zu demonstrieren. Nur selten wird daraus eine fokussierte Sammelleidenschaft. Der heutige Zeitgeist sieht das einfach nicht vor.
Der klassische Porzellan-, Silber- oder Glassammler hingegen ist betagt und erfahren. Er sucht in einem stark geschrumpften, qualitativ übrigens durchweg diametral gestiegenen Angebot nur noch das eine, das herausragende Stück, das seine Leidenschaft krönen könnte. Sein Blick über die Schulter ist wissend und melancholisch, eine Spur Optimismus blitzt aber auf in seinen Augen. Es sind die Augen des kundigen Bewahrers.
Geschäfte laufen überall, auch auf den Biennalen und der Documenta. Dort ganz besonders, denn Galeristen können hier bequem und zudem gratis verkaufen
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Haben Sie sich bereits organisiert? Oder haben Sie jetzt schon genug gesehen, waren in Hongkong und São Paulo? Frieze und Tefaf Spring in New York wollten Sie auf keinen Fall versäumen. Wie war die Art Cologne? Haben Sie in Brüssel gekauft? Auf ein paar regionaleren Verkaufsevents waren Sie auch? Selbstverständlich, da kann man doch wunderbare Entdeckungen machen. Bald erscheinen die Kataloge von Grisebach und Ketterer, von all den anderen weltweit renommierten Auktionshäusern mit Werken der Gegenwartskunst ganz zu schweigen. Und Basel, die wichtigste aller Messen überhaupt! Und dann noch London (wieder Frieze) und die Pariser Fiac.
Wie wäre es eigentlich mit einer hübschen Übersprungshandlung? Sie holen tief Luft, lassen alles sausen, kaufen sich einen anstrengenden Hund – und genießen die Kunst in kleinsten Dosen. Aber das darf ja nun auf keinen Fall passieren. Stillstand, wo kämen wir da hin? Er muss rasend rasen, der Kunstbetrieb. Geld muss investiert werden, Nischen mit Potenzial müssen wiederentdeckt, neue Künstler und Konzepte gefeiert werden. (Meinetwegen auch verteufelt, Hauptsache, sie sind in aller Munde.) Es ist pure Industrie, mit unendlichem Wachstumspotenzial. Na ja, sagen wir lieber: mit großen Möglichkeiten und viel Innovationskraft.
Diejenigen, die weder sammeln noch investieren wollen oder können, betrachten diese Veranstaltungen allesamt als temporäre Museen. Als Impulsgeber, erfrischend oder ärgerlich, anregend oder gar verstörend. Epiphanie nicht ausgeschlossen, damit wäre allerdings tatsächlich das Äußerste an gewinnbringender Möglichkeit ohne pekuniären Einsatz erreicht. In diesem Jahr kommen nun noch die Biennale in Venedig und die 14. Ausgabe der Documenta hinzu. Sie wurden gleichsam als Leistungsschau nach dem Vorbild der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten Weltausstellungen konzipiert. Sie folgten – naturgemäß leicht abgewandelt – deren Ziel, die weltweit relevante, in ihrem Fall nun künstlerische Leistungsfähigkeit zu präsentieren und aktuelle Entwicklungen zu demonstrieren, um ein internationales Publikum zu beeindrucken. Freilich auch, um bestehende Märkte zu befeuern und neue zu erschließen.
Schon ab der ersten Biennale 1895 war Venedig ein Erfolg. Nach und nach wurden Länderpavillons errichtet, die dann alle zwei Jahre mit Kunst bestückt wurden. Dabei ging es gar nicht in erster Linie darum, der Avantgarde ein Forum zu geben. Prämisse war, gut zu verkaufen. Das ging so bis in die Sechzigerjahre. Erst dann gab es große zentrale Gruppenausstellungen mit thematischen Vorgaben. Kuratoren verantworteten die ambitionierten, von den Künstlern oft speziell für die Pavillons in den Giardini entworfenen Präsentationen. Der Anspruch stieg, das jetzt als vulgär empfundene Verkaufsargument war verschwunden. Und doch: Die Biennale in Venedig ist wahrscheinlich die erfolgreichste Verkaufsmesse weltweit. Die bestbesuchte mit stetig steigendem Ansturm sowieso. Die Galeristen reisen mit ihren Topsammlern an, führen hier ihre Verkaufsverhandlungen. Argumentationshilfe ist der geheiligte Ort, der Moment und die Aufmerksamkeit von Hunderttausenden Besuchern, die dem Kunstwerk so wohl nie wieder zuteil werden dürfte. Den Galeristen und Kunstvermittlern, auch den Kuratoren kann’s nur recht sein. Sie profitieren hier regelmäßig von einer staatlich organisierten und finanzierten Einrichtung, die ihnen ein kostenlos zu nutzendes, außerordentlich beeindruckendes Forum zur Verfügung stellt.
Die Documenta in Kassel (in diesem Jahr auch in Athen) steht dem in nichts nach. Künstler und Kunstwerke, die als teilnahmetauglich eingestuft wurden, erfahren eine Nobilitierung, die sich konsequent (übrigens nicht immer dauerhaft, da braucht es dann schon den mit allen Marketingwassern gewaschenen Galeristen) auf ihre Markttauglichkeit niederschlägt. Nicht selten finden sich schon in den ersten der hundert Tage währenden Schau neue Besitzer der Werke Die Übergänge sind fließend, der kommerzielle Aspekt der Biennalen, der Großereignisse wie einer Documenta ist nur notdürftig von einem gesellschaftspolitischen Kunst- und Kulturauftrag überwoben. Das tut der Kunst freilich nichts. Den Gepflogenheiten auf dem Kunstmarkt und seiner angeblich vorhandenen Bereitschaft zur Transparenz stellt diese absolut überflüssige Scheinheiligkeit jedoch – mal wieder – kein gutes Zeugnis aus.
Doch lassen Sie sich die Biennalen und Documentas nicht verdrießen. Stemmen Sie sich mitsamt der Kunst gegen aufkeimenden Überdruss, hervorgerufen durch schwer zu bewältigende Massen und durch einen manchmal atemberaubend dreisten Kunstbetrieb. Bleiben Sie neugierig auf die Kunst, und halten Sie Kurs. Als Sammler, der sich die bittersüße Erinnerung an eine verpasste Chance ersparen will. Oder als Freund temporärer Museen, der ausgiebig und begeistert die Möglichkeit genießt, seinen verinnerlichten Kunstschatz zu erweitern. Das darf dann auch ruhig mal ein bisschen anstrengend sein.
Außer Bürokratie und Unsicherheit hat das Kulturgutschutzgesetz nichts gebracht
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Bevor das neue deutsche Kulturgutschutzgesetz im August 2016 in Kraft trat, bedurfte es noch einiger Änderungen. Das Vorhaben, in einer unguten Mischung aus Gutsherrenart und Hauruckverfahren, Sümpfe trockenzulegen, die noch nicht einmal richtig geortet waren, hatte Handel, Sammler und Museen gleichermaßen empört. So musste Kulturstaatsministerin Monika Grütters Teile ihrer überambitionierten Pläne kassieren. Sammler brauchen nun nicht mehr ihre Bestände offenlegen, Museen keine Auskunft geben über private Leihgaben. Doch es bleibt dabei: Gemälde, die vor mehr als 75 Jahren entstanden und deren Wert über 300.000 Euro liegt, bedürfen nun innerhalb der EU einer Ausfuhrgenehmigung, denn es könnte sich um nationales Kulturgut handeln, das im Lande zu bleiben hat. Die Bemessungsgrenze bei Aquarellen und Gouachen ist 100.000 Euro und 50.000 Euro bei Fotografie. Möbel, Porzellan und Silber sind ab einem Alter von 100 Jahren und Wert von 100.000 Euro vor der Ausfuhr meldepflichtig.
Seit Jahrzehnten schon reguliert eine Vorschrift den Kunstexport in Drittländer wie die Schweiz, USA und China. Die zuständigen Behörden orientierten sich an recht kursorisch geführten Listen und an ihrem weit mehr von Nüchternheit und Vernunft als durch Sendungsbewusstsein unterfütterten Kunst- und Sachverstand. Dass dennoch viele Werke den geschmeidigeren Weg in Drittländer über London fanden, den absolut wichtigsten europäischen Marktplatz, wo die deutschen Exportvorschriften nicht mehr griffen, war bequem – und rechtens. Die Aussicht, dass sich durch den rigorosen Eingriff des Gesetzgebers der bisher gewohnt international agierende Markt für hochwertige Werke zum nationalen Märktlein verengen könnte, löste, wenig überraschend, eine Art Exodus hochwertiger Kunst in die Depots der Londoner Marktgiganten aus.
Derweil geht alles seinen holprigen Gang. Die Summe der Ausfuhranfragen hat sich drastisch erhöht, die per Gesetz zugesagte „Abfertigung“ innerhalb von zehn Tagen erweist sich – noch – als illusorisch. Auf ein prophylaktisch beantragtes Negativattest wartet man wochenlang. Das Verfahren ist Ländersache. So kann ein Objekt, das in Bayern durchgewunken wird, in Hamburg einer strikten Prüfung mit anschließend abschlägigem Bescheid unterliegen; und vice versa. Zahllose in der Novelle festgeschriebene und mit hoher Strafandrohung belegte Sorgfaltspflichten führen zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand. Auf vieles wird sich der Handel notgedrungen irgendwann einstellen – im Vertrauen auf realitätsnah arbeitende Behörden und mit Geschick im Umgang mit den teils recht verunsicherten Kunden. Bei manchen macht sich inzwischen eine Art schicksalsergebene Zuversicht bemerkbar, bei anderen jedoch nährt der Zorn die kreativen Überlegungen zur Vermeidung größerer Einschnitte. Wie sie aber konkret verfahren, darüber schweigen sich die meisten Händler noch aus.
Eine schier unüberwindliche Hürde, da sind sich mittlerweile alle Betroffenen einig, ist die fatale Zusammenführung des Ausfuhrgesetzes mit den Einfuhrbeschränkungen. Hehlerei und der Handel mit gestohlenen Antiken soll unterbunden, Raubkunst aus jüdischem Besitz die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Das ist ehrenhaft und löblich. Deshalb zur Einfuhr einen lückenlosen Provenienznachweis zurück bis zur Entstehung des Kunstwerks zu fordern – sei es in Asien, im Nahen Osten oder in flämischen Malerwerkstätten – ist freilich Unsinn. Und erzählt von Geschichtsvergessenheit und Praxisferne des Gesetzgebers. Kann man sich dort tatsächlich nicht vorstellen, dass etwa in den Wirren zweier Weltkriege alles drunter und drüber ging und dass Sammelleidenschaft sowieso nicht automatisch mit buchhalterischen Reflexen einhergeht?
Inzwischen wissen wir doch hinlänglich, wie schwierig es ist, die Wege von Kunstwerken zu verfolgen, die im „Dritten Reich“ den jüdischen Bürgern entzogen wurden, bevor man sie im KZ umbrachte oder ins Ausland jagte. Wie aber glaubt man mit Objekten verfahren zu müssen, die ein europäischer Diplomat einst in China (mit eurozentristischer Arroganz und viel Preisbewusstsein, das mag schon sein) gesammelt, aber nicht inventarisiert hat? Hinzu kommt: Ein Gesetz, das beim Kunstimport grundsätzlich die Ausfuhrgenehmigung des jeweiligen Landes vorschreibt, bewegt sich im luftleeren Raum, weil es ignoriert, dass in vielen Ländern – im Binnenmarkt der EU sowieso – Kunstwerke ohne gesetzliche Genehmigung exportiert werden konnten. Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen, das dem Standort Deutschland im Konzert des internationalen Kunstmarkts schadet.
Der Schutz nationalen Kulturguts ist keine deutsche Erfindung. Er wird in vielen Ländern sehr vernünftig gepflegt, in manchen durchaus vorbildlich. Aber der Blick über den Tellerrand war bei der Ausarbeitung der Novelle offenbar arg getrübt. Warten wir noch ein Jahr, dann wird sich zeigen, ob ein so schwach in der Wirklichkeit verankertes Gesetz sich einigermaßen bewähren kann. Sonst könnte es ein bisschen öde hierzulande werden
Kuratoren sind allgegenwärtig und mächtig im Kunstbetrieb. Neuerdings werden selbst Auktionen modisch „kuratiert“. Doch was bringt das?
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Neulich gab es Nachwuchs im Berliner Tierpark, in einer Tageszeitung war zu lesen, dass der Eisbärkurator die Öffentlichkeit nun regelmäßig über das Befinden im Gehege informieren werde. Da war sie also, die Ausweitung der Kampfzone für einen außerordentlich beliebten Berufszweig. Oder schleicht sich da lediglich eine Vokabel von einem Begriffsfeld ins andere? Vor zehn Jahren noch standen vergleichsweise wenige freischaffend tätige Experten dem Museumskustos bei der Ausstellungsvorbereitung zur Seite; heute sind all die Biennalen ohne eine Armada von Kuratoren kaum vorstellbar. Dem Zeitgeist verpflichtet, reisen und netzwerken Kuratoren ohne Unterlass. Sie sind die diplomatischen Attachés des Kunstbetriebs. Geschickt, gescheit, diskret, dabei eitel und ehrgeizig genug, um die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Strapazen (und Anfechtungen) auszuhalten. Was sie aber besonders auszeichnet, ist die Suggestivkraft, die ihrer Arbeit zugeschrieben wird. Wo sie Hand an- oder auflegen, ist Idee, Vision und Wirksamkeit. Irgendwie.
Von jeher waren die Kojen auf den Kunst- und Antiquitätenmessen kuratiert. Nur hieß das nicht so. Der Händler hat mit seinen kostbaren Objekten ein Ambiente arrangiert, das kultivierte Lebensart auf hohem Niveau simulierte. Heute funktioniert das nicht mehr so richtig. Wirkt auf Jüngere befremdlich, und Ältere sind nur noch schwer zu beeindrucken. Es genügt nicht mehr, Salonatmosphäre herzustellen. Das allerorten und von jedem bemühte respektive geforderte (wegen inflationären Gebrauchs wahrscheinlich bald wieder abgenutzte) Narrativ muss Funken sprühen.
Schwieriger wird das bei den Messen mit alten Meistern, moderner und zeitgenössischer Kunst. Außer einer Konzentration auf Epochen, Regionen, Motive oder Künstlerdialoge gibt es wenig Spielraum. Umso gelungener war der Coup der Galerie Helly Nahmad auf der Londoner Frieze Masters 2014. Sie verwandelte ihre Koje in ein Bühnenbild mit ziemlich runtergerocktem Sechzigerjahre-Interieur: Bücher- und Zeitungsstapel, Plakate mit sozialistischen Parolen, dazwischen ein Picasso, überquellende Aschenbecher neben der Schreibmaschine, darüber ein Miró, ein Fontana über dem Schwarz-Weiß-Fernseher – die Höhle eines intellektuellen Junggesellen, der gerade raus ist, um sich mit einem Freund auf ein Glas zu treffen. Ach, war das romantisch und so illusionistisch und so wahrhaftig und dabei so falsch (schon in den Sechzigern, mäkelten die Puristen und Märchenhasser unter den Besuchern, war Picasso ganz schön teuer und hätte nie so schlampig irgendwo gehangen). Ob sich die Bilder so besser oder überhaupt verkauft haben, war nicht zu erfahren; auch nicht, ob die Inszenierung den Erkenntnissen des Neuromarketings folgte, um bestimmte Gehirnareale des Konsumenten zu aktivieren.Neuromarketing soll bei den „Curated Sales“ die Entscheidung nun kräftig befeuen.
Versteht sich von selbst, dass auch die Auktionshäuser die Synapsen – nein, nicht der Konsumenten, sondern natürlich der kunstsinnigen Sammler – zum Glühen bringen wollen. Hatte es früher genügt, die wirklich hochpreisigen Werke in einer Abendauktion mit ausgewählten Werken zu versteigern und den ganzen großen Rest am nächsten Tag, so stellt man nun in New York diesem Evening Sale noch einen „Curated Sale“ voran. Das Motto des Spektakels ist lyrisch bis kryptisch („Looking Forward to the Past“), die Zusammenstellung der Werke nach Qualität und Taxen exquisit, ansonsten naturgemäß beliebig.
Diese Variante mit höchstens vierzig Losen ist ein aggressiv (auch mit Garantien) geführtes Akquise-Instrument. Mit fantasieberauschtem Gefuchtel, im Gedränge zwischen Exzellenz und Konkurrenz, suggeriert sie den abwägenden Einlieferern eine Sonderbehandlung und höchste Aufmerksamkeit des Markts. Ob die interessierten Käufer später tatsächlich einen gravierenden Entscheidungsschub erleben, sei dahingestellt. Picassos „Femmes d’Alger“ hätte es, das behaupten wir jetzt mal, auch ohne derartige Stimulanz zum Superrekord (knapp 180 Millionen Dollar) geschafft.
Die Auktionshäuser hierzulande könnten sich bei Nachahmungsversuchen schnell verheben. Für eine derart magische Veranstaltung fehlt es einfach an weißen Kaninchen, die sie aus dem Hut zaubern könnten. Ohnehin dürften sich die wenigsten Einlieferer allein mit dem Versprechen, die Offerte klangvoll zu kuratieren, zufriedengeben. Ausschlaggebend sind neben vorteilhaften Vertragsbedingungen immer noch so altmodische Beweggründe wie Vertrauen. Übrigens, auch in London und New York ist man sich nicht sicher, ob ein Versteigerungstermin mit Toplosen, anderntags gefolgt von einem weiteren Termin mit Toplosen, die beste aller Strategien ist. Vielleicht sollte man das Kuratieren jenseits von Ausstellungen und Eisbärgehegen doch eher den Online-Auktionshäusern überlassen. Die können dann eine Architekturfotografie von Axel Hütte mit einem Kinderbild von Margret Hofheinz-Döring und ein paar Designersachen auf dem Bildschirm zusammenpferchen und behaupten, es ginge um „Concrete Love“.