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Hans Ulrich Obrist unterwegs bei den "Engadin Art Talks"

Was machen gestickte Schneeflocken in der Galerie Tschudi, den italienischen Maler Giorgio Griffa und Ibrahim Mahama aus Ghana in der Schweiz?

Von Christoph Amend
15.03.2016

Herr Obrist, was haben Sie gesehen?

Ich komme gerade aus dem Engadin zurück, das immer ein inspirierender Ort war und ist. Nietzsche etwa hat dort »Also sprach Zarathustra« geschrieben …

…und Sie haben eine Ihrer ersten Ausstellungen im Engadin gemacht, mit Gerhard Richter in Sils-Maria.

Ja, damals haben wir erstmals seine übermalten Fotos ausgestellt, und es ist im Verlag Walther König ein Künstlerbuch von Richter erschienen. Das Engadin ist wieder stärker in den Blick geraten. Ich fahre seit meiner Kindheit hin, und es ist wirklich wahr, dass man dort oben im Hochtal auf 2000 Metern anders denkt: Das Licht des Sü­dens trifft das Licht des Nordens, Skandina­vien trifft auf Italien. Diese Situation reizt Künstler natürlich. Und Denker wie Alexan­ der Kluge und Habermas, die jedes Jahr da sind. Der Maler Albert Oehlen hat mir er­ zählt, dass er viel Zeit im Engadin verbringt, er ist mit seinem Atelier in die Voralpen ge­zogen, nach Appenzell, dorthin, wo Robert Walser seine berühmten Spaziergänge gemacht hat.

Zuletzt hörte man vom Engadin vor allem im Zusammenhang mit dem Kunstmarkt in St. Moritz und der Eröffnung von Vito Schnabels Galerie.

Das ist ein Aspekt und gleichzeitig ist das Engadin so viel mehr! Es ist Sils­Maria, das Nietzsche­Museum, wo man bis heute seine handschriftlichen Notizen einsehen kann, auch Giacometti spielt im Engadin eine große Rolle. Es gibt neben dem Ober­ engadin auch das Unterengadin, von dort kommt der bekannteste Künstler der Gegend, der Maler und Architekt Not Vital. Er hat im Unterengadin ein architektonisches Ge­samtkunstwerk gebaut mit Pavillons, Brü­cken, Stegen. Neben Sils gibt es Zuoz, wo ich in den letzten Jahren immer hingefahren bin und im Künstlerhotel Castell gewohnt habe. Dort sind Installationen von Pipilotti Rist und von Carsten Höller zu sehen. Und seit fünf Jahren finden die »Engadin Art Talks« statt, die Daniel Baumann, Beatrix Ruf, Philip Ursprung und ich gemeinsam leiten.

Diesmal ging es um Spuren und Fragmente.

Ja, zu Gast war unter anderem der groß­artige italienische Künstler Giorgio Griffs, der in seinen minimalen Gemälden seit über 50 Jahren Spuren und Fragmente malt. Er schafft dadurch eine besondere Form von Konversation. Aus Ghana war Ibrahim Mahama da, der auf der letzten Biennale den langen Korridor gebaut hat. Im Engadin hat er gezeigt, wie er in Ghana ganze Gebäude mit Spuren und Fragmenten bedeckt – und dadurch die Häuser reaktiviert. Koo Jeong A hat mit Magneteffekten gearbeitet, und Rachel Rose hat mit Filmen neue Formen des digitalen Editierens gezeigt, also digitale Fragmente. Ich will aber noch von weiteren Eindrücken aus dem Engadin berichten. Diesmal konnte man beispielsweise in der Galerie Tschudi in Zuoz Schneeflocken ent­decken.

Schneeflocken?

Ja, von Bethan Huws, es waren ge­stickte Schneeflocken, inspiriert vom Engadin, fantastisch. Bei Tschudi ist bis Ende März eine Gruppenausstellung zu sehen, die auf die dreißig Jahre seit Gründung der Ga­lerie zurückblickt.

Sie klingen wirklich euphorisch, wenn Sie vom Engadin sprechen!

Ich kann Ihnen nur sagen: Man kann dort besser denken. Die meisten meiner Ideen kommen aus diesem Tal.

Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb der Kunstwelt?

Ich lese gerade das Buch »Inside Out« des Architekten Richard Rogers, der gemeinsam mit Renzo Piano das Centre Pompidou in Paris gebaut hat. Seine Idee, dass wir eine schönere Stadt verlassen wollen als die, in die wir hineingeboren sind, hat mir sehr gefallen. Für mich ist es eine interessante Analogie zu meiner eigenen Tätigkeit, dem Kuratieren von Kunst.

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