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Wider die Biederkeit

Firmensammlungen spielen eine große Rolle auf dem Kunstmarkt. Doch oft werden nur Werke gesammelt, die nicht anecken. Es geht auch anders

Von Susanne Schreiber
24.03.2016

Mit dem Erwerb von Kunst schaut ein Unternehmen über den Tellerrand seiner Branche hinaus und spiegelt die Gesellschaft. Mitarbeiter erfahren, wie die zeitgenössische Kunst tickt, Geschäftspartner lassen sich bei einer Vernissage elegant umgarnen, noble Coffee-Table-Books dokumentieren die auf dem Markt erworbenen Trophäen. Galerien und Messen leben von Privatsammlern, aber auch von Unternehmen. Sie sind eine wichtige Säule im internationalen Marktgeschehen. Jährlich dürfen Direktoren größerer Firmen sechsstellige Beträge für die Corporate Collection ausgeben.
Wer die herausragenden deutschen Firmensammlungen ins Auge fasst, stellt fest, dass es so etwas wie eine geheime Regel geben könnte. Kaufe so, dass sich kein Mitarbeiter schämen muss, dass die Sujets nette Gesprächseröffnungen nahelegen, aber niemanden in Verlegenheit bringen. In diesem Rahmen ist – selbstverständlich – Abstraktion Trumpf. Sie lässt alles offen und tut keinem weh. Dazu die Phalanx figurativer Maler, die seit den Siebzigerjahren Deutschland repräsentieren: Richter, Polke, Baselitz, Immendorff und Lüpertz. Bei solchen Sammelstrategien bleiben zwei Sujets so gut wie immer außen vor: politisch kämpferische Kunst und die Huldigung an den meist weiblichen unbekleideten Körper in der Aktmalerei. Und wenn es in einer Firmensammlung dann doch mal eine Nackte zu sehen gibt, dann verunklärt die malerische Geste, was die Mitarbeiterschaft beschämen könnte.

Es geht auch weniger bieder, weniger ängstlich, weniger konventionell. Der österreichische Stromanbieter Verbund leistet sich seit 2004 eine Kunstsammlung mit zwei Schwerpunkten: der feministischen Avantgarde und einem Komplex zu raumspezifischen Arbeiten. Als die Frauen während der Studentenrevolte gegen geschlechterspezifische Grenzen der Gesellschaft Sturm liefen, ersetzten sie den männlichen Blick auf den weiblichen Körper durch einen mal schonungslosen, mal komischen weiblichen Blick. Malerei und Bildhauerei waren Männerdomänen, also wurde der weibliche Körper zum künstlerischen Material für Foto, Film und Performances, die ein Ziel hatten: das vorherrschende Bild der Frau zu verändern. Das Mittel: Sexualität zu enttabuisieren, denn sie berührt jeden.

Verbund hat mittlerweile große Konvolute von Birgit Jürgenssen, Cindy Sherman, Francesca Woodman (Abb. oben) und Penny Slinger erworben. Meist, als die Preise noch niedrig waren. Denn der Marktwert für Künstlerinnen ist sowieso meist geringer als der für ihre männlichen Kollegen. Viele der feministischen Künstlerinnen haben längst keine Galerien mehr, und wenn doch, dann steigen sie nur langsam im Preis.

Systematische Ausstellungen und wissenschaftliche Publikationen machten zugleich die wiederentdeckten feministischen Künstlerinnen und das Unternehmen Verbund in der Szene bekannt. Die Folge: Die Preise ziehen an. Der Wert der Sammlung hat sich in acht Jahren um 80 Prozent erhöht. Die Entscheidung, Werke von zumeist übersehenen Künstlerinnen anzukaufen, war in jeder Hinsicht lohnend. Diese einmalige Erfolgsgeschichte zeigt, dass sich ein Unternehmen nicht nur mit üblichen Standardwerken schmücken, sondern mit Mut zu einem ungewöhnlichen Schwerpunkt profilieren und aus dem Mainstream der Firmensammlungen abheben kann.

Nix für ungut, Ihre Marktfrau

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