Eine Fotografieausstellung und das Festival Les Rencontres de la Photographie in Arles – und das Meer vor dem Atelier von Pierre Soulages
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28.07.2016
Was haben Sie gesehen, Herr Obrist?
Ich war wie jeden Sommer in Südfrankreich, es ist unglaublich, was sich kulturell dort alles tut. Die Schweizer Philanthropin Maja Hoffmann gründet in Arles mit ihrer Luma-Stiftung ein Kulturzentrum …
… auf einem stillgelegten Bahngelände.
Im Mittelpunkt steht ein Gebäude von Frank Gehry, das 2018 eröffnet werden soll. In diesem Sommer wurde allerdings schon das Gebäude der New Yorker Architektin Annabelle Selldorf fertiggestellt: La Mécanique. Zur Eröffnung haben wir mit dem sogenannten Core Team des Projekts …
… was ist das Core Team?
Eine Gruppe, die Hoffmann berät: Tom Eccles, Direktor für Curatorial Studies am Bard College, die Künstler Liam Gillick und Philippe Parreno, Beatrix Ruf, die Direktorin des Stedelijk Museum in Amsterdam, und ich. Wir haben zur Eröffnung des Gebäudes die Fotografieausstellung „Systematically Open?“ zusammengestellt. Fotografie, weil zeitgleich das Fotografiefestival Les Rencontres in Arles stattfindet.
Welche Künstler sind zu sehen?
Es sind vier Projekte. Walead Beshty präsentiert seine konzeptionelle Arbeit über die Entwicklung der Bilderproduktion von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Hito Steyerl im digitalen Zeitalter. Elad Lassry stellt anonyme Bilder aus, und Zanele Muholi zeigt unter dem Titel »Somnyama Ngonyama« – auf Deutsch »Sei gegrüßt, schwarze Löwin« – eine neue Serie von Selbstporträts. Muholi ist eine der einflussreichsten Aktivistinnen Südafrikas, die gegen die Homophobie dort kämpft. Die vierte Arbeit stammt von der Fotografin Collier Schorr, die ihre Kollegin Anne Collier eingeladen hat: Da geht es um Akte und Studien, um gegenseitiges Fotografieren der beiden Fotografinnen, ein intensiver Austausch.
Die fünfte Arbeit, das entnehme ich gerade der Website der Stiftung, ist vom Architekten der Ausstellung, Philippe Rahm?
Genau. Er hat im Gebäude von Annabelle Selldorf eine subtile Ausstellungsarchitektur entwickelt, um ein Gleichgewicht zwischen den Arbeiten der vier Künstler zu finden. Er setzt das natürliche Licht ein, es gibt dunkle und helle Zonen.
Was haben Sie auf den Rencontres selbst gesehen?
Ein Highlight ist die Ausstellung des berühmten Kriegsfotografen Don McCullin. Die Schau in Arles zeigt die unbekannte Seite seiner Arbeit, Landschaften etwa und Sozialfotografie aus dem London der 60er-Jahre. Und der Künstler Maurizio Cattelan trifft auf die französische 68er-Satirezeitschrift Hara-Kiri, er macht heute etwas Ähnliches mit seinem Magazin Toiletpaper. Zwei ehemalige Hara-Kiri-Leute sind ja bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris ums Leben gekommen.
Südfrankreich ist im Sommer ein kulturelles Zentrum: Opern und klassische Musik in Aix-en-Provence …
… und das Theaterfestival in Avignon, wo auf der Bühne auch immer mehr bildende Kunst zu sehen ist. Im Zentrum meiner Reisen stehen ja immer Atelierbesuche. Diesmal war ich bei Pierre Soulages, dem französischen Maler und Grafiker, der wie viele andere Künstler früh vom Licht der Camargue angezogen wurde.
Soulages ist Jahrgang 1919, wie geht es ihm?
Er ist auf der Höhe seiner Schaffenskraft! Er hat sich bereits in den Fünfzigern dort ein Haus gebaut, mit einem Waldgrundstück davor, deswegen sieht man bis heute von seinem Haus aus nur Bäume und das Meer. Er arbeitet weiter an jedem Tag an neuen Bildern – wie immer ausschließlich in Schwarz!
Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb der Kunstwelt?
Passend zum Wald, den ich bei Soulages sah, lese ich von Cesare Leonardi »Die Architektur der Bäume«. Er zeigt, was Architektur von Bäumen lernen kann.
Les Rencontres, Arles
Christoph Amend, Herausgeber der WELTKUNST, befragt Hans Ulrich Obrist jeden Monat nach seinen Entdeckungen in der Kunst