Erfolgreicher im Geldverdienen, mutiger im Geldausgeben: Wolfgang Ullrich analysiert das Zusammenspiel von Kunst-Superstars und Superreichen
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09.09.2016
Mit großer Leidenschaft und spitzer Feder seziert der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich fortdauernde Missstände im Hochpreissegment der zeitgenössischen Kunst. Der 160-Seiten-Essay „Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust“ (Verlag Klaus Wagenbach, 16,80 Euro) ist eine der anregendsten Neuerscheinungen des Jahres. Er befeuert die Diskussion über den Kunstbetrieb mit guten Argumenten.
Ullrich, Professor für Kunstgeschichte, der dem Universitätsbetrieb den Rücken gekehrt hat, um zu schreiben, liest nicht nur den Künstlern die Leviten, die leicht eingängige, aber exorbitant teure „Siegerkunst“ produzieren. Er kritisiert an dieser Kunst von Siegern für Sieger auch den Apparat, also die das Geschäft forcierenden Galeristen, Auktionatoren und Sammler. Die Superreichen suchen heute millionenschwere Kunst, mit der sie vor allem sich selbst repräsentieren können. Als perfekt auf diese Distinktionsbedürfnisse abgestimmt, führt Ullrich die Kunstkonfektion von Jeff Koons und Anselm Reyle vor, aber auch die Abstraktionen von Ólafur Elíasson, Katharina Grosse und Gerhard Richter. Ullrich geißelt, dass die Bedeutung von Kunst nur mehr über ihren astronomischen Preis entstehe und nicht mehr wie in der Moderne über den in der Komposition verdichteten Inhalt und seine Fähigkeit zur Transzendenz.
Die klassische Moderne hatte einst Kunst hervorgebracht, die weltverbessernd ideologisch war, Freiheit proklamierte, das Individuum meinte, auf Reinigung und Reflexion fixiert war. Heute aber fehlen Kritik und Tiefsinn, konstatiert Ullrich in seinem Abgesang auf die Moderne. Kunst habe keine ideelle Dimension mehr. Der Kunsthistoriker beobachtet sehr richtig, dass sie diese Leere mit dem Hang zum Superlativ kompensiert – etwa über teures Material, komplizierte Verarbeitung oder eben einen Weltrekordpreis im Auktionshaus. Die das Werk glorifizierende Katalogprosa aber entdeckt in der größten Banalität noch kritischen Geist. „Im Kauf von Siegerkunst kann der Superreiche also die Folgen seines kapitalistischen Agierens genießen und zugleich seine Unabhängigkeit von diesem beweisen, ja sich zum Kritiker von Profitstreben und Effizienzdenken stilisieren.“ In Ullrichs Gesellschaftsanalyse ist der Kauf von hochpreisiger Kunst dann eine doppelte Erhöhung. Er bringt es auf die schöne Formel: „Erfolgreicher als andere im Geldverdienen, mutiger als andere im Geldausgeben.“
Erfolgreiche Künstler verstehen sich heute als Marken, deren Image gehegt und gepflegt werden muss. Ullrich zeigt an den Beispielen von Gerhard Richter, Damien Hirst oder Takashi Murakami, wie diese Kritik und Rezeption peinlich genau steuern. Wie weit die Kontrolle geht, verdeutlicht auch Ullrichs Essay. Grau unterlegte Bildfelder markieren Werke, die abgebildet werden sollten, deren Rechteinhaber die Abdruckgenehmigung aber verweigerten. Da drängt sich dem Autor ein Vergleich der Siegerkunst mit Produkten der Luxusindustrie auf, bei denen die Marketingkosten die Herstellungskosten übersteigen.
Hart, aber viel zu kurz geht Ullrich mit den Museen ins Gericht. Denn die ehemaligen Gralshüter der Kunst hätten dem Paradigmenwechsel weg von kunsthistorischer Bedeutung hin zu finanzieller Potenz tatenlos zugesehen. Jenseits der Haltung des Lesers zu Ullrichs Thesen und seiner Marktschelte bleibt die große Frage, wie die Museen verlorenes Terrain zurückgewinnen können. Ob die einst kanonbildende Institution ihre alte Deutungsmacht wiedererlangen kann. In einer Epoche, in der Kunst nicht mehr eine Sache der Reflexion ist, sondern eine Frage des Geldes, ist das eine dringend nötige Diskussion.
Nix für ungut, Ihre Marktfrau.