ist stellvertretender Chefredakteur der WELTKUNST und von KUNST UND AUKTIONEN. Er kommentiert, was ihn aufregt oder erfreut im Kunstbetrieb.
Zum Blogist Style Director des ZEITmagazin. Er stellt jeden Monat herausragende Leistungen der Handwerkskunst vor.
Zum BlogAnnegret Erhard ist ehemalige Chefredakteurin von KUNST UND AUKTIONEN. Den Markt beobachtet sie seit vielen Jahren.
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Firmensammlungen spielen eine große Rolle auf dem Kunstmarkt. Doch oft werden nur Werke gesammelt, die nicht anecken. Es geht auch anders
Von
24.03.2016
Mit dem Erwerb von Kunst schaut ein Unternehmen über den Tellerrand seiner Branche hinaus und spiegelt die Gesellschaft. Mitarbeiter erfahren, wie die zeitgenössische Kunst tickt, Geschäftspartner lassen sich bei einer Vernissage elegant umgarnen, noble Coffee-Table-Books dokumentieren die auf dem Markt erworbenen Trophäen. Galerien und Messen leben von Privatsammlern, aber auch von Unternehmen. Sie sind eine wichtige Säule im internationalen Marktgeschehen. Jährlich dürfen Direktoren größerer Firmen sechsstellige Beträge für die Corporate Collection ausgeben.
Wer die herausragenden deutschen Firmensammlungen ins Auge fasst, stellt fest, dass es so etwas wie eine geheime Regel geben könnte. Kaufe so, dass sich kein Mitarbeiter schämen muss, dass die Sujets nette Gesprächseröffnungen nahelegen, aber niemanden in Verlegenheit bringen. In diesem Rahmen ist – selbstverständlich – Abstraktion Trumpf. Sie lässt alles offen und tut keinem weh. Dazu die Phalanx figurativer Maler, die seit den Siebzigerjahren Deutschland repräsentieren: Richter, Polke, Baselitz, Immendorff und Lüpertz. Bei solchen Sammelstrategien bleiben zwei Sujets so gut wie immer außen vor: politisch kämpferische Kunst und die Huldigung an den meist weiblichen unbekleideten Körper in der Aktmalerei. Und wenn es in einer Firmensammlung dann doch mal eine Nackte zu sehen gibt, dann verunklärt die malerische Geste, was die Mitarbeiterschaft beschämen könnte.
Es geht auch weniger bieder, weniger ängstlich, weniger konventionell. Der österreichische Stromanbieter Verbund leistet sich seit 2004 eine Kunstsammlung mit zwei Schwerpunkten: der feministischen Avantgarde und einem Komplex zu raumspezifischen Arbeiten. Als die Frauen während der Studentenrevolte gegen geschlechterspezifische Grenzen der Gesellschaft Sturm liefen, ersetzten sie den männlichen Blick auf den weiblichen Körper durch einen mal schonungslosen, mal komischen weiblichen Blick. Malerei und Bildhauerei waren Männerdomänen, also wurde der weibliche Körper zum künstlerischen Material für Foto, Film und Performances, die ein Ziel hatten: das vorherrschende Bild der Frau zu verändern. Das Mittel: Sexualität zu enttabuisieren, denn sie berührt jeden.
Verbund hat mittlerweile große Konvolute von Birgit Jürgenssen, Cindy Sherman, Francesca Woodman (Abb. oben) und Penny Slinger erworben. Meist, als die Preise noch niedrig waren. Denn der Marktwert für Künstlerinnen ist sowieso meist geringer als der für ihre männlichen Kollegen. Viele der feministischen Künstlerinnen haben längst keine Galerien mehr, und wenn doch, dann steigen sie nur langsam im Preis.
Systematische Ausstellungen und wissenschaftliche Publikationen machten zugleich die wiederentdeckten feministischen Künstlerinnen und das Unternehmen Verbund in der Szene bekannt. Die Folge: Die Preise ziehen an. Der Wert der Sammlung hat sich in acht Jahren um 80 Prozent erhöht. Die Entscheidung, Werke von zumeist übersehenen Künstlerinnen anzukaufen, war in jeder Hinsicht lohnend. Diese einmalige Erfolgsgeschichte zeigt, dass sich ein Unternehmen nicht nur mit üblichen Standardwerken schmücken, sondern mit Mut zu einem ungewöhnlichen Schwerpunkt profilieren und aus dem Mainstream der Firmensammlungen abheben kann.
Nix für ungut, Ihre Marktfrau
Das Selbstspiel-System »Spirio« von Steinway erneuert die alte Idee des automatischen Klaviers – mit digitaler Technik von heute
Von
24.03.2016
Klavier spielen zu können war einmal erste Bürgerflicht. Das Bildungsbürgertum definierte sich über die Musik, vor allem die Hausmusik, also musste in jedem Haushalt ein Instrument stehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es allein in Berlin 250 Klavierfabrikanten. Zu dieser Zeit hatte der heute berühmteste aller Klavierbauer das Land schon längst verlassen.
Der Tischlermeister Heinrich Engelhard Steinweg aus Seesen im Harz war 1850 in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Dort nahm er bald den Namen an, der heute eine Legende ist: Steinway. Die Firma Steinway&Sons, die er zusammen mit seinen Söhnen gründete, wurde bald zum Synonym für hochwertige Konzertflügel. 1880 gründete Steinway eine Gesellschaft in Hamburg, die noch heute Flügel in alle Welt liefert.
Um einen guten Flügel zu bauen, braucht man erfahrene Klavierbaumeister, hochwertige Materialien und viel Zeit. Für einen modernen Steinway werden Hölzer wie Ahorn, Whitewood, Fichte, Mahagoni und Bubinga verwendet. Die Fertigstellung eines Flügels dauert etwa ein Jahr. Für das Gehäuse des Instruments, die sogenannte Raste, müssen verschieden harte und weiche Hölzer in Schichten miteinander verleimt werden. Die weichen Schichten ermöglichen die Klangdynamik, das harte Holz gibt dem Flügel Struktur.
Die charakteristische geschwungene Gestalt des Flügels wird durch eine Form erreicht, in die die verleimten Panele gespannt werden. In diese Rast wird später der Resonanzboden eingefügt, das wohl wichtigste Stück Holz in einem Flügel. Dafür wird Fichte aus Höhenlagen verwendet. Die Bäume wachsen dort sehr langsam, entsprechend dicht ist das Holz. Bis es für einen Steinway bereit ist, muss es mehrere Jahre in einem klimatisierten Raum lagern. Der Resonanzboden mit dem aufgeleimten Hartholzsteg und den darunterliegenden Rippen wird mit der inneren Rast verleimt. So bilden alle Teile eine Einheit – den Klangkörper. Als Herz des Flügels wird die 150 Kilogramm schwere gusseiserne Platte eingesetzt, die mit bis zu 243 Saiten bespannt ist. Die Tasten des Instruments, über die die Saiten angeschlagen werden, sind heute nicht mehr aus Elfenbein, sondern aus einem Kunststoff.
Seit langer Zeit werden Flügel so gebaut. Und doch gibt es auch in diesem Handwerk immer wieder Innovationen. Bei Steinway hat man nun das Selbstspiel-System »Spirio« vorgestellt. Es ermöglicht, das eigene Wohnzimmer in einen Konzertsaal zu verwandeln. Dafür ist im Gehäuse des Flügels eine Mechanik verborgen, die digital gesteuert die Klanghämmer schlagen lässt. Und zwar genauso, wie es professionelle Pianisten tun würden. Diese spielen die Stücke nämlich auf einem Werks-Steinway ein, sodass sie später automatisch wiedergegeben werden können. Damit ist »Spirio« eine Neuschöpfung der alten automatischen Klaviere, der Pianolas. Sie wurden schon um 1900 hergestellt – allerdings mit Lochkartensystem. »Spirio« hingegen lässt sich über ein Tablet steuern. Damit kann ein Steinway nun die Interpretation eines Starpianisten wiedergeben. Einen Flügel im Wohnzimmer stehen zu haben ist noch heute ein Statussymbol. Und nun muss man nicht einmal mehr Klavier spielen können, um ihn zu hören.
Die Emailleure von Patek Philippe schaffen Uhrkunstwerke, die die Zeiten überdauern. Ihr wichtigster Verbündeter ist das Feuer
Von
14.03.2016
In Email zu malen bedeutet Malen für die Ewigkeit. Ist das Bild einmal gebrannt, erstarrt es zu einer glasartigen unverwüstlichen Oberfläche, die Jahrtausende überdauern kann. Die erste bekannte Emailarbeit ist 3500 Jahre alt und in mykenischen Gräbern auf Zypern gefunden worden. Auch die alten Ägypter kannten Email.
Im Mittelalter wurde Email im Rahmen der Goldschmiedekunst eingesetzt. Unter anderem wurden aus einem Golddraht Formen gebogen, die danach mit einen Schmelzpulver gefüllt wurden. Zellenschmelz oder Cloisonné nennt sich diese Kunst.
Beide Techniken, die Cloisonné und die freie Emailmalerei, spielen heute in der Uhrmacherkunst noch eine große Rolle. Mit hoher Kunstfertigkeit wird Email eingesetzt, um Zifferblätter zu gestalten. Bei der Traditionsmanufaktur Patek Philippe etwa werden beide Techniken gepflegt. Für die Zifferblätter von Armbanduhren – und für die Gehäuse prachtvoller Tischuhren.
Der Emailleur muss wie ein klassischer Künstler arbeiten, nur dass er kaum eine Möglichkeit hat, einen Fehler zu korrigieren. Er benutzt dabei Pinselchen, die so fein wie ein einzelnes Menschenhaar sind. Er muss die Zusammensetzung der glasartigen Emailsubstanz und der farbgebenden Metalloxide ebenso gut kennen wie die kritischen Temperaturen für den Brennofen. Bei der Email Cloisonné wird bei Pater Philippe stets Gold als Trägermaterial gewählt. Die Konturen einer Zeichnung werden mit Gold-Flachdraht nachgebildet, um die einzelnen Farbzellen zu formen. Der Golddraht wird dann mit einem feinen Klebstoff fixiert, der im Brennofen verdampft.
Nachdem die Flachdrähte geformt und festgeklebt sind, wird die Farbe und Art der Emailmasse ausgewählt, mit denen die einzelnen Farbzellen ausgefüllt werden sollen. Emailkünstler mischen ihre Masse selbst aus Glas-Basissubstanz und weiteren Komponenten zusammen, mit denen sie die gewünschte Farbe und Transparenz genau vorausbestimmen können. Hierzu verwendet jeder Künstler seine eigene Geheimrezeptur. Jetzt füllt der Emailkünstler die Zellen mit jener Emailmasse, die zuvor gemischt und vorbereitet wurde.
Nach jeder Farbschicht muss der Farbauftrag kurz im Ofen angebrannt werden. Danach ist er nicht mehr zu korrigieren. Alle Emailkünstler besitzen ihre eigenen Farbkarten, die sie selbst zusammenstellen und in ihrem Ofen gebrannt haben, um sicherzugehen, dass die Farben für die gegenwärtige Arbeit richtig zusammengesetzt sind. Dabei ist zu bedenken, dass die ursprüngliche Farbmischung der Einzelkomponenten in roher Pulverform nicht dem Endergebnis entspricht. Sie erhält erst nach dem Brand im Emailofen den endgültigen Ton, mit der ein neues Kunstwerk zum Leben erwacht. Der Emailleur muss also nicht nur die Mischung kennen – sondern auch, wie sie sich verändern wird. Nach sechs oder sieben Brennvorgängen bei 800 Grad kann das Kunstobjekt seine ganze Pracht entfalten.
Wenn das Bild fertig ist, kann es immer noch passieren, dass beim Brennen die Emailschicht zerspringt. Dann fängt der Emailleur wieder von vorne an. Es ist eben ein Kunsthandwerk, das eine Ewigkeit in Anspruch nehmen kann.