Rund 90 Galerien versammelten sich bei der zweiten Ausgabe der Photo London. Sie ließen keine Sammlerwünsche offen
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24.05.2016
In einer Zeit, in der so viele von uns ihr Smartphone benutzen, um Bilder von Leuten und Orten um uns herum zu machen, sollten wir nicht die Bedeutung der Fotografie als eine dauerhafte Kunstform vergessen“, gab Londons ehemaliger Bürgermeister Boris Johnson zu bedenken und begrüßte die Fotomesse in seiner Stadt als „wonderful“. Und in der Tat, es ist ein Phänomen, dass sich die Fotografie als Kunst einer wachsenden Beliebtheit erfreut, obwohl zugleich die Menschen im Alltag selber stetig mehr Fotos produzieren. Die Massenhaftigkeit scheint das Medium nicht zu entwerten.
In London sind im Mai zum zweiten Mal rund neunzig Galerien zusammengekommen, die keine Sammlerwünsche offen ließen. Von den ersten Gehversuchen der Fotopioniere bis zu den neuesten Talenten der Szene – der Zeitrahmen war so groß wie das Spektrum der Stile. Das 19. Jahrhundert wurde vor allem durch britische Galerien wie Robert Hershkowitz (London), Roland Belgrave (Brighton) und Bernard Quaritch (London) würdig vertreten. Wer mit Henry Fox Talbot 1843 der Errichtung der Nelson Säule auf dem Trafalgar Square beiwohnen oder mit Robert Macpherson in den 1850er-Jahren durch das antike Rom schlendern möchte, der war hier richtig.
Die Pariser Galerie Caroline Smulders wartete mit intimen Porträts der New Yorker Kunstszene auf, in denen die Beat-Generation, Warhols Factory oder die Bad Boys von Mapplethorpe bis Basquiat wieder lebendig werden. Man spürt in diesen Bildern, dass Fotografen wie Gerard Malanga, Nat Finkelstein oder John Cohen wirkliche Insider waren. Sie hatten das gleiche Alter wie ihre Modelle, die gleichen Überzeugungen, waren weit mehr Teil des Geschehens als distanzierte Beobachter, sodass ihre Aufnahmen eine geradezu sprühende Sympathie atmen.
Doch es wäre angesichts der gegenwärtigen politischen Lage nicht angebracht, nur wehmütig die Vergangenheit zu zelebrieren. Tiwani Contemporary aus London konfrontierte die Besucher mit drei Positionen gebürtiger Afrikaner. Délio Jasse aus Angola und Dawit L. Petros aus Eritrea zeigen Grenzen auf, die sich verfestigen, personalisieren die Flucht in improvisierten Passbildern und machen die Reflexion über die „Idea of North“ selbst zum Thema. Der Nigerianer Andrew Esiebo hat derweil die Fußballbegeisterung seiner Landsleute dokumentiert, die nicht nur die Lust am Spiel vermittelt, sondern auch den Traum von einem besseren Leben. Und er hat in einer Porträtserie selbstbewusster schwarzer Schwuler ein Zeichen gegen die Homophobie gesetzt, die – einst als Krankheit von den Kolonialisten eingeschleppt – in weiten Teilen Afrikas grassiert.
Bei Magnum Photos (London) vermochte neben Klassikern wie René Burri, Robert Capa oder Herbert List ein Fotograf Akzente zu setzen, der sein wachsames und sensibles Auge auf die Brennpunkte des Globus richtet. Jérôme Sessini war im Irak, in Syrien, im Sudan und hat die zwischenmenschlichen Katastrophen in ihrem ganzen Schrecken und ihrer Absurdität festgehalten. Besonders packend sind seine Fotos von der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze aus Ciudad Juarez, wo vor den Augen der Ordnungskräfte täglich sechs Morde geschehen.
Die im letzten Jahr neu gegründete Ag Galerie aus Teheran präsentierte mit den erschütternd direkten Leichenbildern von Soldaten aus dem Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Irak, aufgenommen von Bahman Jalali, eine nüchterne Ergänzung aus anderem Blickwinkel. Der Kampf zwischen Systemen, Ideologien und Religionen, um Ressourcen, zwischen reich und arm: Hier manifestiert er sich. Geschichte und Zeitgeschichte gehen Hand in Hand und belegen eindrucksvoll, dass auch in der digitalen Ära, in der jedes dokumentarische Bild sofort in seiner Authentizität angezweifelt wird, die Fotografie nichts von ihrer Wirkkraft eingebüßt hat.
Photo London will diese Kraft des Mediums feiern. Und Photo London will mehr sein als eine Messe. So der Anspruch an sich selbst. Doch heute, wo jede Messe mehr ist als eine Messe und ein breites Spektrum an parallelen thematischen Ausstellungen und begleitenden Symposien bietet, ist dieses Mehr schon zur Normalität geworden. Es ist lange nicht mehr so, dass Kunstbegeisterte auf Entdeckungstour gehen, stattdessen besuchen sie Messen, wo sie alles auf einem Haufen finden und nicht mehr der Sammler die Kunst, sondern die Kunst ihre Sammler sucht und findet. Das führt in der Breite zu einem gewissen Überhang des Dekorativen und am Markt Bewährten zulasten von wirklichen Neuentdeckungen. Es ist inzwischen auch selbstverständlich, dass Verlage vor Ort sind, die die Bücher zu den Künstlern präsentieren, dass die Künstler vor Ort sind, um Signierstunden abzuhalten und mit Galeristen und Kunstwissenschaftlern auf Podien zu diskutieren. Martin Parr ist solch ein Künstler, der auf dieser Messe schier omnipräsent war. Nicht nur waren seine Arbeiten bei mehreren Galerien vertreten, auch er selbst trat auf der Messe wie ein Stargast in Erscheinung und ein von seiner Tochter betriebener Foodtruck versorgte vor dem Eingang die Besucher mit schnellem Essen auf die Hand.
Photo London, 2015 gegründet und damit das Küken im Kulturzirkus, hat sich rasant entwickelt. Dass die Messe im prestigeträchtigen, manchmal etwas unübersichtlichen Somerset House am Ufer der Themse schon an die Qualität und Relevanz der Photo Paris heranreicht, lässt sich noch nicht behaupten, aber sie ist auf einem guten Weg.