Morgens zum Strand, nachmittags zur Messe: die 41. Ausgabe der Art Nocturne
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27.07.2016
„Stündlich fährt ein Zug in 90 Minuten von Brüssel nach Knokke.“ So steht es in Martin Kippenbergers dünnem Band mit dem Titel 1984: Wie es wirklich war am Beispiel Knokke. Geschrieben hat Kippenberger das Buch zwar nicht selbst, 1984 verbrachte er aber wirklich eine Woche im Seebad Knokke, wo sich Belgiens Oberschicht zum Baden traf. Während die Urlauber auf der Strandpromende ihre Hunde ausführten, notierte Kippenberger, was er unternahm, beschrieb den Ort und das Wetter. Nachdem er nach Köln zurückgekehrt war, vermachte er seine Aufzeichnungen Annette Grotkasten, einer befreundeten Künstlerin. Sie sollte auf seinen Spuren nach Knokke reisen und seinen Aufenthalt in allen Details nacherleben, um die Ereignisse anschließend als Ghostwriterin (in möglichst langweiligem Ton) zu Papier zu bringen.
Mehr als 30 Jahre später hat das Carlton, in dem Grotkasten und Kippenberger abstiegen, seinen Hotelbetrieb eingestellt. Die Finanzkrise ist an Knokke nicht folgenlos vorübergezogen: Zwar stehen in den Villenvororten nach wie vor die Jaguars vor den Anwesen, aber in den vergangenen Jahren häuften sich auch die Schilder der Immobilienmakler mit der Aufschrift „Te koop“. Mittlerweile scheint sich der Ort langsam zu erholen, neue Restaurants und Geschäfte mit jungem Design, sogenannte Conceptstores, eröffnen an der Küste. Die Belgier machen hier nach wie vor Urlaub, besuchen Reitturniere und gehen ins Casino. Auch die Kunstmesse Art Nocturne, die seit nunmehr 41 Ausgaben mit gewissenhafter Regelmäßigkeit an diesen Ort zurückkehrt, schlägt im Sommer ihre Zelte wieder auf. Wie der Name der Veranstaltung bereits vermuten lässt, folgt die Messe ihrem eigenen Rhythmus: Erst um 16 Uhr öffnen sich die Türen im Kulturzentrum CC Scharpoord und im Hotel la Réserve, das Publikum bleibt nicht selten bis zum Abend. In den Hallen versammeln sich vor allem Händler aus dem Ort – darunter Kristel Van den Eynden von der Galerij 8, die Arbeiten des katalanischen Bildhauers Jaume Plensa präsentiert. Gezeigt werden zwei Skulpturen, die an Plensas „Awilda“ im Innenhof der Universität Salzburg – einen fünf Meter hohen, aus 20 Scheiben weißen spanischen Marmors bestehenden Frauenkopf – erinnern.
Auch die übrigen Aussteller müssen keinen allzu weiten Weg auf sich nehmen: Knapp zwei Drittel der Teilnehmer reist aus Belgien an, der Rest aus den Nachbarländern Frankreich und den Niederlanden. Beim niederländischen Familienunternehmen The Old Treasury Antiques, das in den letzten Jahren ebenfalls vertreten war, darf man mit englischem und dänischem Silber rechnen, die belgische Gallery Ilunga hat sich auf Tribal Art spezialisiert. Schmuck findet man bei Frohmann aus Antwerpen und zeitgenössische Kunst bei Artelite, einer Galerie die 2013 in Montpellier gegründet wurde. Erstmals reist in diesem Jahr die Han Collection mit Sitz in London an. „Für uns stellt die Teilnahme an der Art Nocturne die erste Messebeteiligung überhaupt auf europäischem Festland dar. Wir möchten in Knokke ein neues Kundenklientel erreichen und uns als Spezialist für koreanische Kunst in Europa etablieren,“ erklärt der Galeriedirektor Jinsoo Park. Für eine Lackbox mit Perlmuttornamenten (Abb.) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts rechnet er mit 30 000 Euro, für das Gegenstück aus Silber mit 10 000 Euro.
Wenn die Messehallen um 21 Uhr schließen, ist die Art Nocturne noch lange nicht vorbei: Spaziert man durch die Stadt, weist die messebegleitende Skulpturenausstellung „Sculpture Link“ den Weg zur Strandpromenade. „Wie schön das Casino aussieht. Angestrahlt von vielen Scheinwerfern leuchtet es an der Promenade und ruft: Hier ist das Leben!“ So steht es bei Kippenberger. So würde man es vielleicht auch heute noch schreiben.
Han Collection, London