Die Finanzierung des „Islamischen Staats“ durch Antikenschmuggel war ein wichtiges Argument für das ungeliebte Kulturgutschutzgesetz. Jetzt kommt eine Studie, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgestellt wurde, zu einem verblüffenden Ergebnis.
Von
23.02.2017
Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz wurde am vergangenen Wochenende eine Studie des King’s College, London, über die Finanzierungswege des „Islamischen Staates“ präsentiert. Die Studie trägt den zuversichtlichen Titel „Kalifat im Verfall“ und belegt beträchtliche Einnahmerückgänge für die Kassen der islamistischen Krieger in den letzten Jahren. Im Wesentlichen finanziert sich „ISIS“ aus drei Quellen: aus Steuern und Gebühren, die er in eroberten Gebieten erhebt, aus dem Ölhandel und aus Plünderungen.
Für eine Form der Finanzierung jedoch, die von Anfang an in den westlichen Ländern große Betroffenheit ausgelöst hatte, fanden die Autoren der Studie keine Belege. Offensichtlich stimmt es nicht, dass sich „ISIS“ substantiell am Handel mit geraubten Antiken aus der Region bereicherte. Es trifft nicht zu, dass Museen und Ausgrabungsstätten systematisch geplündert wurden und deren Objekte gut organisiert den westlichen Kunsthandel erreichten, wo sie blitzartig in illegalen Sammlungen verschwanden. Diese Einsicht macht „ISIS“ nicht weniger unmenschlich, aber es schwächt ein Argument in der kulturpolitischen Auseinandersetzung in Europa ab, insbesondere in Deutschland, und zwar nachhaltig. Denn mit dem (sichtbaren) Hinweis auf die kulturelle Zerstörungswut des „Islamischen Staats“ und mit dem (unsichtbaren) Verweis auf dessen groß angelegten Antikenschmuggel wurde in Deutschland der Umgang mit antikem Kulturgut, eigenem wie fremdem, tiefgreifenden Veränderungen unterzogen.
Das Kulturgutschutzgesetz war in seiner jetzigen Form vom August 2016 als bloße nachträgliche Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens von 1970 nicht zu rechtfertigen gewesen. Um seinen restriktiven Charakter zu legitimieren, zumal in jenem Teil, der die Einfuhr von ausländischem Kulturgut regelt, war ein sinnfälliger, ja ein ebenso schockierender wie unwidersprechlicher Legitimationsgrund vonnöten: Die Unterstellung, „ISIS“ finanziere sich zu einem Drittel aus Antikenverkäufen, und die Bundesrepublik gehöre zu den wichtigsten Märkten und Transfernationen für diesen nahöstlichen Schmuggel. Als Beleg dienten zwei ältere Studien der UNESCO, die jedoch nie zitiert wurden.
Mit dieser Behauptung wurden im Gesetz Fristen definiert, neue Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln festgelegt, was Sammlern, Auktionshäusern und dem Kunsthandel heute Kopfzerbrechen bereitet. Seither steht der Eigentümer antiken ausländischen Kulturguts unter Verdacht, einen illegalen Besitz zu verwahren. Der Sammler muss jetzt dessen Legalität nachweisen, die Beweislast liegt bei ihm, nicht länger, wie im Rechtsstaat üblich, bei einer strafverfolgenden Behörde, die Belege für einen Verdacht beibringen muss. Proteste gegen Einfuhrregeln, die nicht zu erfüllen sind, wollte der Gesetzgeber nicht hören. Am Ende geriet das Gesetz zur politischen Überlebensfrage der verantwortlichen Kulturstaatsministerin. Die Regierungsfraktionen drohten auch ein wenig ihr Gesicht zu verlieren. So wurde von Kulturpolitikern und Museumsleuten in der Öffentlichkeit wieder und wieder beteuert, das Ausmaß des Schmuggels sei ungeheuer, Märkte und Sammler beuteten Syrien und den Irak kulturell aus, und zwar mit Hilfe von „ISIS“. Wer wollte sich schon an der Zerstörung Palmyras nachträglich mitschuldig machen?
Kenner des Kunstmarktes in Deutschland zuckten bei dieser These nur ratlos mit den Achseln, denn ein namhafter Handel mit nahöstlichen Antiquitäten war nirgends zu beobachten, nicht einmal dort, wo nichts zu sehen ist, man aber für gewöhnlich viel hört. Es gab parlamentarische Anfragen im Bundestag: Was die Bundesregierung über die Finanzierung des „Islamischen Staates“ wisse, besonders über seinen Kunsthandel? Nichts wusste die Regierung. Auch der Zoll, mehrfach befragt, konnte keine Auskünfte erteilen, er hatte schlichtweg nichts gefunden. Die massenhafte kriminelle Praxis musste äußerst klandestin sein. Der kritische Hinweis, man treffe mit den gesetzlichen Restriktionen vor allem Sammler und Händler afrikanischer, asiatischer oder südamerikanischer Kunst, Felder, auf denen die moralische Dringlichkeit einer Gesetzesnovellierung ganz anders gelagert war, zählte nicht. Das Gesetz wurde am Maßstab des Syrienkrieges ausgerichtet. Dabei stand der Handel mit irakischen und syrischen Antiquitäten längst schon unter Verbot. Auch dieser Umstand fiel unter den Tisch.
Richtig, es gab Fälle von illegalem Handel nahöstlicher Artefakte. Sie waren unschön, aber letzten Endes marginal, bedeutendes Kulturgut tauchte nie auf. Auch hat „ISIS“ anscheinend an einzelne Grabräuber „Lizenzen“ zur Ausbeutung von Grabungen verkauft. Es ist auch unstrittig, dass archäologisches Material aus umkämpften Gegenden in den Handel gelangte, vielleicht sogar nach Europa und in die USA. Nur erreichte all das ganz offenbar nicht im Entfernten jene Dimension, die in Deutschland versucht wurde zu beschwören, und schon gar nicht machte sie eine deutsche Gesetzgebung alternativlos, geschweige denn, dass sie genau diese bestimmten Einfuhrregeln erzwang.
Die Dramatisierung des „ISIS“-Schmuggels war letzten Endes Propaganda, ein Karnickel aus dem Zylinder des Postfaktischen avant la lettre. Mit dem Kulturgutschutzgesetz, so die Einschätzung von Experten, werden in Deutschland viele Sammeltraditionen abreißen. Provenienznachweise sind hierzulande, wo ältere Akten von Händlern und Versteigerern im Krieg vernichtet wurden, schwerer zu erbringen als in anderen Ländern. Der Handel mit ausländischen Antiquitäten flieht die Bundesrepublik jetzt schon. Gewinner werden die ohnehin starken Auktionshäuser in Großbritannien sein.
Ruinen in Palmyra (Foto: inigoarza/RooM The Agency/Corbis)