Rudolf Schlichters Porträt von Bertolt Brecht befindet sich schon lange im Lenbachhaus in München. Nun kommt auch sein Bildnis von Helene Weigel dazu: die Geschichte einer großen Liebe
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02.02.2018
Seit einigen Jahrzehnten besitzt das Lenbachhaus ein Porträt von Bertolt Brecht. Es stammt von der Hand Rudolf Schlichters und hat das Bild des Dichters so nachhaltig geprägt, dass wir ihn uns bis heute so vorstellen, wie ihn Schlichter um 1926 gemalt hat: mit Lederjacke und Zigarre. Wie kaum ein anderer beeinflusste der Künstler unsere Vorstellung vom Erscheinungsbild der Menschen der Weimarer Republik. Seine Kollegen, Christian Schad, Otto Dix oder George Grosz, haben die von ihnen Porträtierten eher überzeichnet und schärfer dargestellt. Schlichters Porträts hingegen funktionieren fast wie die Fotografien von August Sander: Ihren ikonischen Status erreichten sie durch ihre sachliche Realitätstreue. Für Sanders’ Bilder war dies in der Technik der Fotografie bereits angelegt, für Schlichters Malerei keineswegs.
Das „Realistische“ an Schlichters Malerei entsprang der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, der seine Sicht auf die Welt und den Menschen radikal veränderte. Zutiefst erschüttert distanzierten sich viele Künstler von den formalen Experimenten der Avantgarde, von Kubismus, Expressionismus und Abstraktion und konzentrierten sich auf eine nüchtern-realistische Wiedergabe der Wirklichkeit. Die Weimarer Republik und ihre Kunst, die Neue Sachlichkeit, ist heute wieder zu einer Projektionsfläche unserer Gegenwart geworden. Viele Museen zeigen aufwendige Ausstellungen, die Preise in den Auktionen steigen.
Berlin war damals wie heute Europas Metropole, die vor allem dann besucht oder bewohnt wurde, wenn es um Kunst, das Feiern oder ein freies, extravagantes oder queeres Leben jenseits der bürgerlichen Enge ging. Oder um all das gleichzeitig – wie oft im Leben der Boheme. Rudolf Schlichter hat dieses Leben in seiner Widersprüchlichkeit festgehalten. War doch die zarte Pflanze der Freiheit und des Andersseins bedroht durch die ökonomischen Wirren und die erstarkende radikale Rechte in Gestalt der NSDAP. Oft waren die Künstler selbst ideologisch indifferent, wie Schlichter, der sich als ehemaliges Mitglied der KPD ab 1927 von den Ideen der Kommunisten entfernte und sich dem Katholizismus und den sogenannten Neuen Nationalisten zuwandte. Zu dieser Zeit, 1928, hat Schlichter auch die Schauspielerin Helene Weigel gemalt, Brechts Lebensgefährtin und Mutter seines Sohnes.
Schon vor ihrer Beziehung mit Brecht hatte Helene Weigel eine erstaunliche Karriere. Ab 1949 hat sie erfolgreich bis zu ihrem Tod 1971 ein Theater geleitet. Aber immer wenn von Helene Weigel die Rede ist, dauert es nicht lange bis die „vielen Affären“ ihres Geliebten und späteren Ehemannes Brecht zur Sprache kommen. Doch sie ging mit ihm durch dick und dünn, bis zu seinem Tod 1956. „Es ist kompliziert“ – das ist heute dankenswerter- und realistischerweise sogar bei Facebook eine Beschreibung für den Beziehungsstatus. So war es auch bei Weigel und Brecht ein Leben lang, wie es eben oft Komplikationen gibt, wenn sich Familie, Leben, Politik und Arbeit in einer Beziehung überschneiden. So wie bei den Brechts: Sie hatten gemeinsame Kinder, sie haben gemeinsam gearbeitet, gestritten, eine Diktatur überlebt, im Exil überdauert und wohl genau deshalb so große und schöne Dinge geschaffen.
All das hat Schlichter in seinen Porträts der beiden eingefangen. Wir sehen zwei Menschen, für die etwas auf dem Spiel steht: Lederjacke und Zigarre, ein einfaches Kleid und ein Bühnenbild. Die „schaffenden Hände“ sind in beiden Porträts überproportional ins Bild gesetzt. Schlichter erzählt aber noch mehr und tut dies, ganz klassisch, über Accessoires und Hintergründe. Hinter Brecht sehen wir ein Automobil, die Lüftungsschlitze der Motorhaube und den Kotflügel. Brecht mochte Autos. Er war ein viel gereister Mann, der sich auf langen Fahrten im Cabriolet auch schon mal einen Sonnenbrand zuzog. Fast meinen wir, leicht gerötete Stellen in seinem Gesicht zu sehen. Im Entstehungsjahr des Porträts benutzte Brecht das Auto sogar als Metapher im von ihm gemeinsam mit Elisabeth Hauptmann entwickelten Lustspiel „Mann ist Mann“. „Hier wird heute Abend ein Mensch wie ein Auto ummontiert, ohne dass er irgendetwas dabei verliert“, heißt es in dem Stück. Der Mensch ein Automobil, eine Maschine ohne tiefere dauernde Eigenschaften.
1926 ist aber auch das Jahr, in dem sich Brecht ein Automobil kaufte. Einen gebrauchten englischen Daimler, Baujahr 1921 für 1500 Mark. Er hatte dafür ein Darlehen aufnehmen müssen. Das gab Ärger, als seine damalige Ehefrau Marianne davon erfuhr. Erstens: 1500 Mark waren sehr viel Geld, der durchschnittliche Wochenlohn betrug damals 100 Mark. Zweitens: Das teure Stück gehörte offiziell Helene Weigel. Brecht schreibt an seine Frau Marianne: „Ich habe 1.500 M für ein Auto entliehen, Otto und Weigel haben es gekauft, auf den Namen der Weigel, da ich nicht da bin, es gehört mir, das heißt ich verkaufe es wieder, da ich die 1.500 M nicht zurückzahlen könnte, wie ich geglaubt habe. Dieses Geld (1.500 M) habe ich also nicht in Form eines Autos der Weigel geschenkt!“ Das Geld stammte anscheinend von Brechts Schulfreund Otto Müllereisert, der Brecht sehr verbunden war und ihm nicht nur mit Geld als Freund zur Seite stand. Was auch immer sich Schlichter mit dem Auto im Hintergrund gedacht hat, es ist mehr als nur ein Automobil. Es war schon damals Statussymbol, stand für Modernität, Zukunft und (technische) Extravaganz.
Auch Helene Weigel mochte Automobile. Nach Brechts Tod kaufte sie einen Mercedes Ponton und benutzte ihn privat und als Intendantin des Berliner Ensembles. Das Auto war kein bescheidenes Gebrauchsobjekt, nicht in der damaligen Bundesrepublik und in der DDR schon gar nicht.
Während Brecht von Schlichter um 1926 mit einem Automobil als sprechendem Accessoire gemalt wurde, wählte er für Helene Weigels Porträt 1928 das Bühnenbild des Lustspiels „Mann ist Mann“. Brechts Porträt zeigt also das Auto, das Helene Weigel gehörte, und Weigels Porträt zeigt das Bühnenbild des Stücks, das Brecht just in dem Jahr schrieb, in dem er ihr das Auto gekauft hatte. Was er jedoch abstritt, denn er war ja noch verheiratet. 1930 heiratet er wieder, diesmal Helene Weigel. Jetzt hängt auch ihr Porträt, das Ende November bei Grisebach in Berlin versteigert wurde, im Lenbachhaus. Die Wiedervereinigung verdanken wir der Ernst von Siemens Kunststiftung und ihrem Generalsekretär Martin Hoernes. Die Porträts zeigen zwei Menschen, an die wir uns erinnern sollten. Und an Rudolf Schlichter sowieso.
Karin Althaus ist Kuratorin am Lenbachhaus in München, Matthias Mühling ist der Direktor