Die Art Basel hält sich mit vorsichtigen Änderungen frisch
Von
12.06.2018
Bemisst man die Bedeutung der Art Basel an der Zahl ihrer „Follower“ in den sozialen Medien, erscheint ihre Position mehr als robust. 1,5 Millionen sind es allein bei Instagram. Auch wenn die jährlichen Besucherzahlen der Muttermesse und der zwei Ableger bei weniger astronomischen 250 000 liegen, erstaunt selbst der Zuspruch, den der eigene YouTube Channel verzeichnet. Mehr als 11 000 Abonnenten schauen sich Videos des Talk-Programms „Conversations“ oder Porträts von Galerien an. Damit die Marke nicht aus dem Blickfeld gerät, denkt sich Messe-Chef Marc Spiegler immer wieder neue Nebenstränge aus, etwa das Projekt Art Basel Cities, das vielversprechenden Marktplätzen unter die Arme greifen soll. Den Anfang in Sachen Ankurbelung der „kulturellen Entwicklung“ macht im Frühherbst Buenos Aires mit einer Kunstwoche, für die sich neben lokalen Größen bereits Künstler wie Barbara Kruger, Mika Rottenberg oder Maurizio Cattelan angekündigt haben. Innovation rund um das bewährte Basisprodukt kann nicht schaden.
Aber auch am eigentlichen Schauplatz in Basel gehört frisches Blut zur Strategie der ersten Wahl. Die 49. Ausgabe verzeichnet 16 Neuzugänge unter den 290 teilnehmenden Galerien, darunter gleich vier deutsche: Max Mayer, Barbara Gross, Jan Kaps und Sandy Brown aus Berlin, die im Sektor Statements mit einem Bettgestell der besonderen Art anrückt. Die Solo-Präsentation der 1983 geborenen Französin Aude Pariset zitiert Tracey Emin. Gleichzeitig erweist sie sich als willige Schülerin ihres tierliebenden Landsmanns Pierre Huyghe, erweitert um einen cleveren Ekelfaktor: Die in eine Vitrine gepackte Schlafstätte wimmelt vor lebenden Würmern.
Weniger berechnend gibt sich der Neuzugang White Space Beijing, der die 1980 geborene Amerikanerin Christine Sun Kim präsentiert. Die taub geborene Künstlerin hat sich als Schwerpunkt ihrer Installationen, Performances und Zeichnungen ausgerechnet die Materialität von Tönen ausgesucht. Einen weniger ungewöhnlichen Akzent setzt der Newcomer Richard Saltoun Gallery im Sektor „Feature“, der kuratierte Projekte von etablierten und historischen Künstlern anvisiert. Der Brite legt den Focus auf das Werk der 1996 verstorbenen Helen Chadwick. Sie war als erste Frau für den Turner Prize nominiert. Unter den deutschen Galerien, die sich innerhalb der Messe in die Hauptsektion „Galleries“ hochgearbeitert haben, finden sich KOW aus Berlin und Kadel Willborn. Nach acht Jahren bei Feature und Statements zeigen die Düsseldorfer einen Querschnitt ihres Programms, das junge Positionen mit Wiederentdeckungen kombiniert, darunter ein Triptychon von Barbara Kasten (50 000 Dollar) oder die Installation „Michaelerplatz“ aus Tapisserien und Stickereien von Shannon Bool (36 000 Euro). Bezeichnenderweise ist die Rotation in diesem exklusiven Sieger-Reservat gering. 99 Prozent der Galerien kehren zurück.
Dass es diesmal trotzdem neun junge Aufstiegswillige hierhin geschafft haben, spricht für die Bemühungen der Leitung, die Tendenz zur Überpräsenz der immer gleichen Blue Chips mit gelegentlichen Updates zu konterkarieren. Zu den zwei Vorhergenannten gesellen sich diesmal: 47 Canal (USA), Kate MacGarry (GB), mother’s tankstation limited (GB und Irland), Bergamin & Gomide (Brasilien), Casas Riegner (Kolumbien), Alexander Gray (USA), Mendes Wood (USA), Tokyo Gallery + BTAP (Japan). Lieb gewonnene Gewohnheiten aufbrechen möchte auch der Sektor „Unlimited“, der großflächigen oder performativen Arbeiten vorbehalten ist. Er zieht in die obere Etage der Halle 1 um. Kurator Gianni Jetzer bleibt hingegen zum siebten Mal dem traditionell spektakulären Parcours erhalten. Auf seine Auswahl ist Verlass, bei diesen Namen dürfte manch ein Sammler die Angst vor voluminöser Sperrigkeit beherzt ignorieren: Matthew Barney, Dan Graham, Carmen Herrera, Jenny Holzer, Richard Long, Yoko Ono, James Rosenquist, Carol Bove, Ai Weiwei oder James Turrell. Einen adäquaten Hingucker für Instagram-Flaneure gibt definitiv die begehbare Rieseninstallation aus Metalltreppen und grün-weißen Streifen-Stoffbahnen von Daniel Buren ab, mit der die Galleria Continua aus San Gimignano wohl den maximalen Gewinn in der Ökonomie der Aufmerksamkeit erringen möchte. Über dieses Stadium ist die Großgalerie Hauser + Wirth natürlich längst hinaus. Aber auch die Züricher lassen es sich nicht nehmen, mit einem Neuzugang zu überraschen. Sie bringen neben Louise Bourgeois und Eva Hesse zum ersten Mal Arbeiten der 1973 verstorbenen AuschwitzÜberlebenden Alina Szapocznikow mit, der die Kunsthalle Baden-Baden im Juli eine große Werkschau ausrichtet.
Überhaupt die Künstlerinnen: Ihnen fahren die Galerien in Zeiten der #MeToo-Debatte auffällig häufig den längst fälligen roten Teppich aus. Die Galerie Lelong & Co. (Paris, New York) mit Mildred Thompson, Zilia Sanchez, Kiki Smith, Nancy Spero und Yoko Ono, Kewenig (Berlin, Palma) mit Nan Goldin, Leiko Ikemura, Kimsooja und Elisabeth Friedberg, Buchholz (Köln, Berlin, New York) mit der frühen Skulptur „Erdmann“ von Isa Genzken und die Zeno X Gallery (Antwerpen) mit Marlene Dumas, die auf dem Gemälde „No Belt“ den palästinensisch-israelischen Konflikt aufgreift. Man kann es kaum glauben: Der Kunst-Globus wird weiblich. Und er dreht sich doch!