Kunsthandel

Wie entwickelt sich der Markt für Tribal Art?

Anbieter von Tribal Art wehren sich gegen ethische Einwände und halten ihren Markt stabil.

Von Bettina von Lintig
12.07.2018

Archive und Museen wurden in der westlichen Welt erfunden; ebenso verhält es sich mit der Bezeichnung Tribal Art beziehungsweise „Stammeskunst“. Der Begriff ist Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, als materielle Kultur aus überseeischen Gebieten in größerem Ausmaß nach Europa kam – und in geistige Schubladen gesteckt wurde. Gesammelt und archiviert werden Artefakte aus Afrika, Ozeanien und den Amerikas, seit Expeditionen aus Europa aufbrachen, um die Welt zu erforschen, Horizonte zu erweitern und die „Wilden“ zu zivilisieren. Die ersten Begegnungen mit der Fremde waren in aller Regel konfliktreich. Und doch hat an dieser Stelle auch der interkulturelle Austausch begonnen – und mit ihm die frühe Neuzeit.

Neuerdings haben jene, die der Welt die Welt erklären wollen, nun das „Zeitalter der Dekolonisation“ ausgerufen. Mit diesem Narrativ geht ein leicht aggressiver Unterton einher: Alle Artefakte – so der Tenor –, die sich heute in ethnologischen Sammlungen oder auf dem Kunstmarkt befinden, wurden einst gewaltsam aus ihren Ursprungsländern entwendet. Daher soll die Vergangenheit jetzt nachträglich verbessert werden – auch wenn dies freilich gar nicht möglich ist. Aber wie kommt man nur auf die Idee, alles über einen Kamm scheren zu können? Die vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit den Sachverhalten im Einzelnen lässt sich durch simple Glaubenssätze nun mal nicht ersetzen.

Schwierige Objekte aus kolonialen Kontexten

„Ich finde es legitim“, teilte mir Serge Schoffel – französischer Kunsthändler und ehemaliger Präsident der BRUNEAF – in einem Gespräch mit, „dass die ehemaligen Kolonien heute die Kunst ihrer Ursprungskulturen besitzen wollen, aber ich hasse den Tonfall der diesbezüglichen Debatte – in den meisten Fällen sind die Objekte damals getauscht / verkauft worden. Als das geschah, hatten sie keinen großen Wert, wurden als Kuriosität oder Souvenir aufgefasst“. Er sei in einer ehemaligen Kolonialmacht zur Welt gekommen – das ließe sich nun einmal nicht ändern. Zum Glück sei Frankreich aber auch stets daran interessiert gewesen, etwas über andere Kulturen zu erfahren, Dinge zu sammeln und zu bewahren, die andernfalls vermutlich zerstört worden wären – sei es durch das tropische Klima, durch Termiten oder schlicht Gleichgültigkeit. „Die Leute, die sich wirklich für Tribal Art interessieren, leiden unter der Feindseligkeit, die ihnen aktuell entgegenschlägt.“ Die Objekte selbst hätten sicherlich so einiges zu diesem Thema zu sagen – wenn sie denn reden könnten…

Objekte erzählen von interkulturellen Kontakten

Christie’s, Paris, brachte am 21. November 2017 bei 1500 Euro einen runden Anhänger aus heller Muschelschale von den Salomon-Inseln zum Aufruf – den neuen Besitzern war das Stück, auf dem rätselhafte Mischwesen aus Mensch, Fisch und Vogel eingraviert sind, schließlich 10 000 Euro wert. Dass Objekt befand sich einst im Angebot einer Galerie am Montparnasse (Verité). Generell gehen Lots aus dem Kanon der Pariser Vor- und Zwischenkriegszeit mit höheren Taxen an den Start – und enttäuschen die in sie gesetzten Erwartungen in der Regel auch nicht. Bei der New Yorker Auktion des Hauses am 17. Mai („Origins“) konnten von 13 Lots, die nicht direkt diesen „französischen Vorlieben“ entsprachen, aber immerhin sechs verkauft werden. Darunter befand sich ein mit 60000 Dollar taxierter zeremonieller Halsschmuck „lei niho palaoa“ von einer der hawaiianischen Inseln, der am Ende für 55 000 Dollar weitergereicht wurde.

Die Sammlungsgeschichte des Stücks, das aus feinsten Menschenhaar-Kordeln und einem 10,4 Zentimeter langen Anhänger aus Walross-Elfenbein besteht, reicht in das Jahr 1850 zurück und ist mit einem liberalen englischen Admiral verbunden. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts haben Walfänger aus der westlichen Welt nämlich Pottwal- und Walross-Zähne auf Hawaii gegen beschnitzte Objekte eingetauscht. Somit entstand der Anhänger, den ranghohe Hawaiianer beiderlei Geschlechts zu feierlichen Anlässen trugen, um ihre vornehme – oder gar göttliche – Herkunft zu betonen, aus einem interkulturellen Kontakt heraus.

In der Auktion „Art of Africa, the Pacific and the Americas“ von Lempertz, die im Januar in Brüssel stattfand, wurde dann ein weiterer Halsschmuck „lei niho palaoa“ aufgerufen. Das Stück, das aus einer belgischen Privatsammlung stammte und einen 10 Zentimeter langen Anhänger (vermutlich) aus Walross-Zahn besaß, erzielte 27 000 Euro (Taxe 15000 Euro)– und blieb somit klar hinter dem New Yorker Ergebnis zurück. „Lei niho palaoa“ sind einander aber sehr ähnlich, da sie als royale Insignien formal stark stilisiert wurden – doch auch ein sehr gutes Objekt wie jenes bei Lempertz erzielt auf Versteigerungen eben nur den Wert, den die momentane Nachfrage auslöst.

Inszenierungsstrategien für Stammeskunst

Das Wiener Dorotheum versuchte im Oktober 2017 in der Auktion „Source – Tribal and Curiosity Sale“, Stammeskunst auf eine etwas andere Art zu inszenieren. „Kuriositäten“ – in diesem Fall wissenschaftliche und anatomische Modelle, Meteoriten, Expeditionsfotos – wurden zusammen mit Muschelgeldringen aus Ozeanien, Dan-Löffel-Skulpturen oder auch einem kubistisch wirkenden Izzi-Tanzaufsatz der Igbo aus Nigeria angeboten, der von 3500 auf 5000 Euro gehoben wurde. 

Auf vielen Versteigerungen ist es heute noch möglich, Hochwertiges zu vergleichsweise kleinen Preisen zu erwerben. Selbst in Tribal-Art-Galerien – und sei es mitten in Paris – sind schöne ältere Gegenstände schon oft ab etwa 800 Euro erhältlich. Auch das auf „Tribal-Art“ spezialisierte Versteigerungs-Haus Zemanek-Münster aus Würzburg generiert mehrmals im Jahr eine reichhaltige Offerte für kleine und große Geldbeutel.

Abgesehen von hohen Zuschlägen für Afrikanisches – beispielsweise erzielten der Kopf einer Benin-Königsmutter aus Gelbguss und eine Baule-Statuette je 38 000 Euro – wurden am 10. März beispielsweise Kinder-Mokassins von Native Americans für 1500 Euro zugeschlagen (Abb. 5, Taxe 450 Euro). Sogar ein menschlicher Schädel mit Gravierung aus den Alpen zählte damals zum Angebot – und wurde verkauft (Zuschlag 1200 Euro). Aus Westafrika stammte eine 41,5 Zentimeter hohe, anthropomorphe Ngil-Maske der Fang aus Gabun, die für 8500 Euro (Taxe 12 000 Euro) den Besitzer wechselte.

Neue Erkenntnisse über alte Bekannte

Selbst Objekte, die schon lange in der westlichen Welt unterwegs sind, können manchmal erst nach Jahren korrekt zugeordnet werden. So wurde beispielsweise die afrikanische Maske, die der Pariser Galerist Paul Guillaume 1919 auf den Titel seines Kunst-Magazins (Ausgabe 5) hob und anschließend zu seinem Logo machte, erst viel später durch Vergleiche als eine Ngbaka-Maske aus der Ubangi Region (DR Kongo) erkannt. Guillaume hatte die Publikation, in der er zumeist eigene Texte unter diversen Namen veröffentlichte, seinerzeit ins Leben gerufen, um sein Angebot – darunter Werke von Derain, Matisse, Modigliani, Picasso, Vlaminck etc. – bekannt zu machen. Die fragliche Ngbaka-Maske erzielte am 21. Juni 2017 bei Sotheby’s in Paris auf der Auktion „Face to Face“ 355 000 Euro (Taxe 200 000 Euro). Ende 2017 spielten in einer Auktion des Hauses dann vor allem Werke aus Ozeanien Top-Werte ein. Zwei über Jahrhunderte als Paar erhaltene zeremonielle Paddel („Rapa“) der spät entdeckten Osterinseln (Polynesien) erreichten mit 3,3 Millionen Euro (Taxe 1Million Euro) sogar einen Weltrekord auf ihrem Gebiet.

Service

Dieser Beitrag erschien in

Kunst und Auktionen Heft Nr. 11/2018

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