Kunsthandel

Alte Möbel sind das neue Recycling

Greta Thunberg würde ihre Wohnung mit alten Möbeln einrichten: Wer auf Nachhaltigkeit setzt, sollte Antiquitäten kaufen

Von Lisa Zeitz
16.10.2019

Wer bekommt eigentlich das Biene-Maja-Zimmer? Diese Frage hat vor rund einer Generation ein Kind beschäftigt, das mit seinen Geschwistern im Salon der Großmutter saß. Die drei schauten andächtig auf die schönen alten Möbel um sie herum und teilten unter sich schon das Erbe auf. Das Ensemble war der ganze Stolz der alten Dame, und es amüsierte sie, dass der jüngste Enkel sich besonders für das Biedermeierzimmer interessierte, das für Kinderohren wie Biene-Maja-Zimmer klingt. Diese Szene ist lange her, und die meisten Antiquitätenhändler leiden darunter, dass junge Leute ihren Waren immer weniger Interesse entgegenbringen. Geschmack, Status, Tradition und Gemütlichkeit sind als Argumente nicht mehr ausreichend. Wie kann man so unterschiedliche Bilder wie Greta Thunberg und die demonstrierenden Kinder von „Fridays for Future“ – eine wachsende Schar von Umweltschützern – mit den Schaufenstern des Antiquitätenhandels und den Angeboten der Auktionshäuser zusammenbringen? Es geht um ein Argument, das bisher von der Branche vernachlässigt wurde: Nachhaltigkeit. 

Auch aus Schweden, aber nachhaltig! Mit einer Taxe von 6000 bis 8000 Schwedische Kronen ist diese Kommode aus dem späten 18. Jahrhundert, angeboten von Uppsala Auktionskammare, schon eine größere Investition. Doch oft sind schöne Schätze bereits für zwei- bis dreistellige Preise zu haben, Foto: Uppsala Auktionskammare
Auch aus Schweden, aber nachhaltig! Mit einer Taxe von 6000 bis 8000 Schwedische Kronen ist diese Kommode aus dem späten 18. Jahrhundert, angeboten von Uppsala Auktionskammare, schon eine größere Investition. Doch oft sind schöne Schätze bereits für zwei- bis dreistellige Preise zu haben, Foto: Uppsala Auktionskammare

Die Möbelindustrie verschlingt wertvolle Wälder

Antiquitäten sind grün! Allein für Ikea werden jedes Jahr 200 Millionen Bäume gefällt. Zwar gibt das an sich umweltbewusste Unternehmen an, dass 77 Prozent davon aus nachhaltigen Quellen stammen, doch kürzlich hat der SWR recherchiert, dass der Konzern viele Tausend Hektar von Europas letztem Urwald in Rumänien gekauft hat und auch dort, in den Karpaten, Holz schlagen lässt. Wer den Bestseller des Försters Peter Wohlleben über „Das geheime Leben der Bäume“ gelesen hat, den schmerzt diese Vorstellung besonders. Doch Ikea braucht Holz. Allein das Billy-Regal, vor vierzig Jahren entwickelt und immer noch ein Kassenschlager, wurde mittlerweile weltweit mehr als 60 Millionen Mal verkauft.

Antiquitäten sind nicht unbezahlbar

Nun lernen Kinder schon in der Schule, dass das Überleben der Menschheit am Umgang mit der Erde hängt: ­„Reduce, reuse, recycle“ lautet ihr Mantra, und dieses Verhalten sollte auch auf die Einrichtung ausgeweitet werden: Schluss mit den Wegwerfmöbeln. Für einen Schrank von 1750 muss heute kein Baum mehr gefällt werden. Nun gilt es, Hemmschwellen abzubauen und Informationen zu verbreiten. Ja, es gibt feine Möbelstücke, die Millionen kosten, etwa aus den Werkstätten von Roentgen oder Chippendale, besonders auch bei den chinesischen Antiquitäten. Das Auktionshaus Nagel hat letztes Jahr einen Faltstuhl aus der späten Ming-Dynastie für einen Hammerpreis von 2,6 Millionen Euro versteigert, während der Londoner Kunsthandel eine museumswürdige Pietra-dura-Tischplatte aus dem 16. Jahrhundert, die Giorgio Vasari für die Medici-Herzöge entwarf, für 10 Millionen Dollar anbot. Das ist das eine Ende des Spektrums – am anderen Ende sieht es vollkommen anders aus. Doch ist noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gerückt, dass immer wieder antike, wenn auch nicht museumswürdige Stücke im drei- oder gar zweistelligen Eurobereich aufgerufen werden und damit sogar Ikea Konkurrenz machen können. 

Nicht unerschwinglich und bequem: Der Lounge­-Chair mit Fußhocker, entworfen 1959 von Charles und Ray Eames, wird bei Karrenbauer in Konstanz mit einem Limit von 800 Euro angeboten, Foto: Karrenbauer, Konstanz
Nicht unerschwinglich und bequem: Der Lounge­-Chair mit Fußhocker, entworfen 1959 von Charles und Ray Eames, wird bei Karrenbauer in Konstanz mit einem Limit von 800 Euro angeboten, Foto: Karrenbauer, Konstanz

Unser Redaktionskollege Jan Kohlhaas betreut für KUNST UND AUKTIONEN die beliebte Rubrik „Preisbild“, in der er aktuelle Auktionsergebnisse für bestimmte Kategorien vergleicht: Im jüngsten Preisbild für Biedermeierkommoden taucht bei Yves Siebers in Stuttgart ein schönes Stück für nur 400 Euro auf. Noch günstiger sind Betten des Biedermeier: Gerade erst ging eines bei Kastern in Hannover für 300 Euro unter den Hammer. 600 Euro kostete ein bemalter Bauernschrank aus dem Jahr 1823 im Allgäuer Auktionshaus in Kempten. Eine Kirschbaumgarderobe aus der Zeit um 1900 kletterte bei Von Zengen in Bonn von nur 60 Euro immerhin auf 170 Euro.

Neue Liebe für alte Möbel

Einer Studie der Auction Technology Group ist zu entnehmen, dass viele Briten auf Nachhaltigkeit achten und Antiquitäten schätzen. Manche Aristokraten schauen sogar auf jene herab, die überhaupt in die missliche Lage kommen, neue Möbel kaufen zu müssen. Doch dass „vintage“, „secondhand“ oder neuenglisch „pre-loved“ auch die umweltfreundliche Variante ist, ist 45 Prozent der britischen Möbelkäufer nicht bewusst. Wieso 17 Prozent sogar glaubten, eine neue Kommode belaste die Umwelt weniger als eine alte, ist schwer nachzuvollziehen. Der letzte Art Market Report von Clare McAndrew, herausgegeben von der Art Basel und UBS, erwähnt, dass nur ein Zehntel der Käufer von Antiquitäten jünger ist als vierzig Jahre. Aber die Händler werden immer älter – oder halten die Antiquitäten sie jung? Während Galerien zeitgenössischer Kunst im Durchschnitt 14 Jahre alt sind, beträgt das Alter der Antiquitätengeschäfte 35 Jahre, mehr als in jedem anderen Kunstmarktsegment. Aber vielleicht zeichnet sich jetzt eine Trendwende ab: Vergangenes Jahr, so Clare McAndrew, stieg die Anzahl der verkauften Antiquitäten pro Händler um sieben Prozent auf 75 Objekte. Es müssen keine Museumsstücke sein, mit denen man sich einrichtet. Wer Antiquitäten kauft, investiert in Individualität, Stil – und Nachhaltigkeit.

Service

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 162/2019

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