Gemeinsame Leidenschaft für das weiße Gold: Drei starken Frauen aus drei Generationen ist es zu verdanken, dass Langeloh diesen Oktober auf 100 Jahre Firmengeschichte zurückblicken kann
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21.10.2019
Für das kostbare, zart schimmernde, wunderbar bemalte, fragile höfische Porzellan des Rokoko kann man sich keine idealere Vermittlerin als Friedel Kirsch vorstellen. Ihre Eleganz und feine weibliche Ausstrahlung stehen im Einklang mit ihren erlesenen Objekten. Denn frühes Porzellan und Fayence sind ihr Metier. Weit über Europas Grenzen hinaus zählt ihre Firma Langeloh Porcelain zu den führenden Spezialisten. Zum 100. Jubiläum gewährt Friedel Kirsch, die seit 1981 das Geschäft führt, einen facettenreichen Blick zurück bis zu den Anfängen und macht mit der Familien- und Firmenentwicklung ein Stück deutscher Kunsthandelsgeschichte lebendig.
Die Gründerin Elfriede Langeloh, ihre Großmutter, war eine ungewöhnliche Frau: 1882 in Pinneberg geboren, entfloh sie der heimatlichen Enge in Richtung Frankreich mit Stationen in Bordeaux und Paris, wo sie ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen und Hausdame bestritt. Nach ihrer Rückkehr wurde sie ledig Mutter, ziemlich skandalös zu dieser Zeit, zumal in einer Kleinstadt. Die junge Frau gab ihre Tochter Paulette zu Pflegeeltern nach Paris, wo sie eine glückliche Kindheit verbrachte. Nach dem Tod des Vaters im Ersten Weltkrieg wurde Paulette von dessen Familie als leibliche Tochter anerkannt. Elfriede Langeloh, zeitlebens unverheiratet, arbeitete als Hausdame beim Arzt und Porzellansammler Dr. Salomon in Köln und kam so mit internationalen Händlern und Sammlern in Kontakt. Ihre Leidenschaft für das Metier war geweckt – und sie eröffnete 1919 ihr erstes Geschäft in der Kölner Cäcilienstraße. Zwar ging ihr Haus im Bombenhagel 1944 unter, doch hatte Elfriede Langeloh sich vor Ausbruch des Kriegs samt ihrer Habe nach Wiesentheid in Franken gerettet, wo sie in einem Schlossturm der Grafen von Schönborn logierte. Bis Kriegsende lebte vis-à-vis auch Paulette mit ihrer Familie. Nicht zuletzt dank des Weins aus der gräflichen Schlosskellerei, den sie gegen Fayencen eintauschte, konnte sie sich auch in Wiesentheid dem Antiqutiätenhandel widmen.
Mit 63 Jahren wagte Elfriede Langeloh einen Neuanfang in Köln mit großem Geschäftshaus, Wohnung und Garten am Hohenstaufenring 57. Damit brach ihre erfolgreichste Zeit an, denn nach den Verwüstungen des Kriegs war der Wunsch groß, das Verlorene zu ersetzen. Sie engagierte sich für die Gesellschaft der Keramikfreunde in Köln, schrieb für Keramos und gelegentlich auch für die WELTKUNST. Großindustrielle wie Grundig, Thyssen, Erich Zschocke oder Peter Ludwig gehörten ebenso zu ihren Kunden wie die berühmten Meissen-Sammler Ralph Wark aus Jacksonville, Florida, oder Edward Pflueger aus New York. Auch das Auswärtige Amt in Bonn erwarb Staatsgeschenke bei Langeloh: Friedel Kirsch erinnert sich gut an einen Satz Schokoladentassen mit farbigem Chinoiseriedekor für Dwight D. Eisenhower anlässlich seines Besuchs 1959 in Deutschland. Zum Damenprogramm gehörte ein Abstecher an den Hohenstaufenring, wo ihre Großmutter die Ehre hatte, die Präsidentengattinnen Mamie Eisenhower und Pat Nixon bei sich zu begrüßen.
Wenn Neuerwerbungen zu begutachten waren, floss reichlich Champagner. Dass Sammler es mit ihrer Leidenschaft in der eigenen Familie oft schwer hatten, zeigt folgende Episode: Wenn die Händlerin an einen befreundeten Porzellanliebhaber einen Brief mit verkehrt aufgeklebter Briefmarke schickte, ging es um eine Offerte: „Heuss verkehrt“ diente den beiden als Geheimcode vor der Gattin. Das Geschäft stand stets im Mittelpunkt, für die beiden Enkelinnen wurde es dann interessant, wenn Peter und Irene Ludwig zur Großmutter kamen. Da gab es als Mitbringsel immer eine Kilopackung Trumpf-Pralinen.
Mit Elfriede Langelohs Tod 1960 endete die Ära am Hohenstaufenring 57. Paulette Neuhaus entschied sich, den Kunsthandel weiterzuführen und sich in kleineren Räumen in der Komödienstraße nahe dem Dom ganz auf Porzellan und Fayence zu spezialisieren. Als wichtigstes Erbteil übertrugen sich freundschaftliche Beziehungen zu Kollegen, Museumskuratoren und Sammlern auf Paulette mit ihrem fröhlichen Wesen und unerschütterlichen Optimismus. Geprägt durch ihre Kindheit in Paris, erweiterte sie ihre Kontakte zu namhaften Händlerkollegen dort und in Basel, Zürich, London oder New York. Die Komödienstraße entwickelte sich zum beliebten Treffpunkt der Porzellanliebhaber mit Sammlern, Museumsleuten, Kollegen und Freunden beim Champagner, mit dem die Chefin nie geizte. Auch diese Ära kann Friedel Kirsch mit herrlichen Episoden würzen. So überraschte ein Kunde die Runde gelegentlich mit einer Opernarie. „Monsieur retour“ wurde er genannt, weil er wiederholt eine Fayence kaufte, wieder zurückbrachte, umtauschte, um dann doch beim ersten Stück zu bleiben. Ob der Direktor des Deutschen Klingenmuseums in Solingen Hanns-Ulrich Haedecke oder die Fayence-Spezialisten und Autoren Konrad Strauß oder Walter Oesterle; ob Erich Köllmann, Direktor des Kunstgewerbe-Museums in Köln, oder Barbara Beaucamp-Markowsky, deren Karriere als Kustodin damals dort begann – sie alle gingen bei Paulette Neuhaus ein und aus. Es war Kölns Glanzzeit als Kunsthandelsmetropole mit Händlergrößen wie Eberhard Giese oder Hans H. Mischell und dem bis heute bedeutenden Auktionshaus Lempertz, damals von Rolf Hanstein geführt. Mit ihm war Paulette auf dem Neumarkt Rollschuh gelaufen. Köln war ein Dorado für Sammler alter Kunst: Im repräsentativen Aachen-Lütticher Vitrinenschrank prunkten kostbares Porzellan und Fayence. Als Wandzier dienten Teller und Platten.
Ein Meilenstein unter der Ägide von Paulette Neuhaus war das von Bartholomäus Seuter signierte Kofferservice mit Augsburger Goldchinesen. Heute ist das Prachtstück der Sammlung Ludwig in Bamberg zu bewundern. Auch der großartige Neptunbrunnen von J. G. Kirchner mit von Johann George Heintze bemalten Chinoiserien im Hetjens-Museum wurde bei ihr erworben. Die Eröffnung der ersten Deutschen Kunst- und Antiquitätenmesse in München 1956 traf den Nerv der Zeit. Die Westdeutsche Kunstmesse in Köln und Düsseldorf und die Herrenhäuser Messe in Hannover folgten.
Um dem Absolutismus der Großmutter etwas entgegenzusetzen wandte sich Friedel Kirsch anfangs der modernen Kunst zu und begann ihre Laufbahn in der Galerie Boisserée in Köln. Doch bald wechselte sie „die Fronten“ ins mütterliche Geschäft. 1979 wurde es ihr übertragen, ohne dass sich grundsätzlich etwas änderte. Welch glückliche Fügung, dass ihr Mann, der Jurist Christoph Kirsch, schnell der Faszination des Porzellans erlag. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit wurde er alsbald Schatzmeister im Vorstand der Keramikfreunde sowie des Freundeskreises der Dresdner Porzellansammlung im Zwinger. Als Christoph Kirsch in die Zentrale der Deutschen Bank nach Frankfurt wechselte, zog die Familie mit. Als er Vorstand im Südzucker-Konzern in Mannheim wurde, bezogen sie das Haus in Weinheim, in dem sie bis heute leben. Für Friedel Kirsch anfangs eine unruhige Zeit, musste sie doch Frankfurt, Köln und Weinheim familienverträglich verbinden.
Die Zeiten änderten sich auch im Kunsthandel spürbar. Dekoratives Porzellan war weniger gefragt, die Preise sanken ebenso wie die Nachfrage. Das Interesse der wenigeren Sammler fokussierte sich auf bedeutende, sehr frühe Exemplare; Forschung und Erforschung der Objekte traten in den Vordergrund. Zahlreiche Kollegen schlossen ihre Läden. Da die Laufkundschaft kaum mehr eine Rolle spielte, verlagerte sich der Trend „auf die Etage“. Zwar war es für Paulette Neuhaus lange unvorstellbar, das Kölner Geschäft aufzugeben, doch im Jahr 1985 war es so weit. In ihren letzten Lebensjahren machte sie sich in Weinheim bei der Familie unentbehrlich. Dort wurde die untere Etage des Hauses zur Galerie umgebaut, doch das Porzellan und die dazugehörige Fachbibliothek breiteten sich peu à peu über die weiteren Stockwerke aus.
Weinheim liegt strategisch günstig wenige Kilometer von Heidelberg und Mannheim entfernt. Auch Schwetzingen ist nahe. 1998 hoben die beiden Mannheimer Peter Bausback, Spezialist für Teppiche und Textilien und Vorstand des süddeutschen Kunsthändlerverbandes, und Volker Brinkmann gemeinsam mit Friedel Kirsch die Kunstmesse Schloss Schwetzingen aus der Taufe. Über ein Jahrzehnt war sie in den eleganten Zirkelsälen des Jagdschlosses von Kurfürst Carl Theodor ein besonderes Kunstereignis. „Wir machten alles in Eigenregie“, so Friedel Kirsch, „Fotos, Flyer, Katalog, Pressekonferenzen, Interviews, TV-Auftritte, Publicity.“ Und die beiden Kirsch-Töchter arbeiteten gern als Standhilfen mit. „Zusammen mit Bernd Hackenjos, dem damaligen Direktor des Hetjens-Museums, und anderen Experten habe ich die Messen in Köln und Düsseldorf juriert, das war sehr lehrreich.“ Monatlich traf sich der Vorstand des DK (Deutscher Kunsthändlerverband), später KD (Kunsthändlerverband Deutschland), zu Sitzungen in München. „In den zwölf Jahren, in denen ich dabei war, kämpften wir für das Ziel, dem Handel den verminderten Mehrwertsteuersatz zu erhalten – damals leider ohne Erfolg. Heute ist es endlich so weit, dass alle Kunsthandelsverbände und Auktionatoren zusammenstehen gegen Benachteiligungen, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters dem Kunsthandel aufzubürden sucht.“
Stets reisebereit zu sein, wenn ein interessantes Objekte angeboten wird, gehört zu ihrem Geschäftsalltag. „Mir war es immer am liebsten, bei meiner Mutter oder Großmutter erworbene Stücke zurückkaufen zu können. Gelegentlich tauchte dasselbe Stück gleich mehrfach wieder auf“, erzählt Friedel Kirsch. Sie freut sich, dass die Keramik auch ihren Schwiegersohn Christian Kirsch, der diplomierter Grafikdesigner und Fotograf ist, von Anfang an in ihren Bann gezogen hat. „Unser im Hinblick auf neue Medien veraltetes Unternehmen hat er in die Neuzeit geführt. Im Verein mit unseren beiden Töchtern sind wir nun zu einem richtigen Familienunternehmen mutiert.“ Die 90 Jahre währende Alleinherrschaft der Damen ist damit beendet. Das 100-jährige Firmenjubiläum wird während der Münchner Messe Highlights gefeiert: Profession und Vergnügen gehören in der Firma Langeloh traditionell zusammen.